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Zweiter Anlauf des Revolutionärs

Ex-Militär und Ex-Rebellenchef wollen künftig gemeinsam Surinam regieren

Von Harald Neuber *

Mehr als 30 Jahre sind seit der »Revolution der Sergeanten« vom 25. Februar 1980 in Surinam vergangen, die von Oberstleutnant Bouterse angeführt wurde. Diesmal schickt er sich an, auf legalem Wege an die Macht zurückzukehren.

In Surinam zeichnet sich zwei Wochen nach den Parlamentswahlen eine ungewöhnliche Regierungsbildung ab. Nach Angaben der Landespresse hat der ehemalige Militär Desiré Bouterse ein Koalitionsabkommen mit seinem einstigen Widersacher und Rebellenführer Ronnie Brunswijk geschlossen.

Beide Politiker hatten sich in den 80er Jahren einen mehrere Jahre währenden bewaffneten Konflikt geliefert, der rund 500 Menschenleben forderte. Desiré Delano Bouterse war am 25. Mai als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen. Seine Allianz Mega Combination (MC) erreichte 23 der 51 Parlamentssitze. Um Bouterse erneut als Staatschef einzusetzen, benötigt die MC eine Zwei-Drittel-Mehrheit, das heißt elf Stimmen mehr. Für die Bildung einer Regierung sind nur drei Stimmen mehr oder die einfache Mehrheit nötig. Durch das Bündnis mit Brunswijk, dessen Partei »A-Combination« sieben Parlamentssitze erlangt hat, ist Bouterse der Staatsführung ein Stück näher gekommen.

Der 64-jährige war fünf Jahre nach der Befreiung des Landes von der niederländischen Kolonialherrschaft im Jahr 1980 nach einem Militärputsch erstmals zum Präsidenten aufgestiegen. Der Umsturz war in der Bevölkerung zunächst mehrheitlich begrüßt worden, auch weil die bis dahin bestehende Regierung mit der Exkolonialmacht in Verbindung gebracht wurde. 1987 musste Bouterse auf internationalen Druck jedoch abtreten. Der Ex-Präsident und enge Familienangehörige werden – zum Teil nachweislich – mit organisierter Drogenkriminalität in Verbindung gebracht.

Nach dem Wahlsieg des Bündnisses MC war die Regierungsbildung zunächst unklar. Die Partei Niew Front Coalition (NFC) des scheidenden Präsidenten Ronald Venetiaan erteilte Gesprächen mit der MC von vornherein eine Absage. Die NFC war bei der Abstimmung nur noch auf 14 Parlamentssitze gekommen. Die Organisation Amerikanischer Staaten bestätigte nach einer Wahlbeobachtung einen sauberen Ablauf der Abstimmung.

Sollte die Regierungsbildung scheitern, könnte Bouterse noch immer die »Vereinigte Volksversammlung« anrufen. Diesem Gremium, das mit der deutschen Bundesversammlung vergleichbar ist, gehören 868 Delegierte an. Die MC hat eine Mehrheit von 567 Mitgliedern.

Die ehemalige Kolonialmacht Niederlande kündigte indes an, dass sie Bouterse nicht empfangen werde, weder als Präsidenten noch als Mitglied einer künftigen Regierung. Die niederländische Justiz hat gegen ihn einen internationalen Haftbefehl ausstellen lassen. In Abwesenheit war er wegen Kokainschmuggels zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Derzeit läuft gegen ihn im eigenen Land zudem ein militärrechtliches Verfahren wegen des Mordes an 15 Oppositionellen im Jahr 1982. Auch Brunswijk, der künftig womöglich zweite starke Mann im Staat, könnte das Land nur schwer im Ausland vertreten. Gegen ihn liegt ebenfalls ein Interpol-Haftbefehl wegen Drogenhandels vor.

Surinam ist mit 164 000 Quadratkilometern und rund 500 000 Einwohnern der kleinste Staat Südamerikas. Die Bevölkerung der ehemaligen Kolonie setzt sich aus gebürtigen Afrikanern, Hindus, Europäern, Chinesen und Ureinwohnern zusammen. Surinam ist Mitglied mehrerer Regionalorganisationen wie der Rio-Gruppe. und der Union Südamerikanischer Nationen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Juni 2010

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