Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bombenecho auf Friedensplan

Genfer Konferenz fordert Übergangsregierung für Syrien

Von Karin Leukefeld *

Die Außenminister der fünf UN-Vetomächte gaben am Sonnabend in Genf vor, sie hätten die Grundlage für eine politische Lösung gelegt. Derweil dauert das Sterben in Syrien an und die Opposition will ihren militärischen Kampf verstärken.

Die Genfer Syrien-Konferenz schlug am Wochenende die Bildung einer Übergangsregierung der nationalen Einheit für Syrien »auf der Grundlage beiderseitigen Einvernehmens« vor. Zu der Konferenz waren die Außenminister der USA, Russlands, Chinas, Frankreichs und Großbritanniens sowie der Türkei, Iraks, Kuwaits und Katars zusammengekommen. Auch die Generalsekretäre der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, Ban Ki Moon und Nabil Alaraby, sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nahmen daran teil. Russland hatte kritisiert, dass Iran, Saudi-Arabien, Libanon und Jordanien als wichtige Akteure in der Region nicht eingeladen wurden.

Auch sonst kann von Einvernehmen der Konferenzteilnehmer kaum die Rede sein. Die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton machte nach dem Treffen klar, dass eine Übergangsregierung nur ohne den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad möglich sei. Ihr russischer Kollege Sergej Lawrow dagegen unterstrich, dass der Plan eine Amtsenthebung Assads nicht erforderlich mache. Es gebe »kein Bestreben, dem syrischen Volk irgendeine Art des Übergangsprozesses aufzuerlegen«. Chinas Außenminister Yang Jiechi rief Syriens Konfliktparteien auf, ohne Vorbedingungen die Waffen ruhen zu lassen.

Vergebens: Während sich die Regierung in Damaskus zunächst nicht äußerte, sagte der 82-jährige oppositionelle Menschenrechtsanwalt Haitham Maleh dem US-Radiosender NPR, die Syrer selbst würden »die Schlacht entscheiden, nicht wer in Genf, New York oder sonst wo sitzt«. Das Treffen sei »Zeitverschwendung« gewesen. Auch Bassam Ishak, führendes Mitglied des oppositionellen Syrischen Nationalrats, sagte dem Sender »Al-Arabija«, man setze nun vorrangig auf den bewaffneten Kampf. Verschiedene Oppositionsgruppen wollen sich am heutigen Montag in Kairo treffen, um eine »gemeinsame Vision« für die Zukunft Syriens zu entwickeln. Ein ähnliches Treffen vor einer Woche in Brüssel war ohne Ergebnis geblieben.

Im Lande selbst dauerte die Gewalt unvermindert an. Während einer Trauerfeier in Samalka bei Damaskus soll am Sonnabend eine Autobombe explodiert sein, die nach Angaben von Regierungsgegnern mindestens 41 Menschen in den Tod riss. Offizielle syrische Medien berichteten unterdessen vom Vorgehen der Armee gegen »Terroristen« in verschiedenen Regionen. Dabei seien in Duma 13 und in Idlib vier Aufständische getötet worden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 2. Juli 2012


Syrien im Teufelskreis

Standpunkt von Karin Leukefeld **

Die gute Nachricht: Die Veto-Mächte des UN-Sicherheitsrats sind sich in der Beschlusslage zu Syrien erneut einig. Die schlechte Nachricht: Es ist absehbar, dass sich für die Syrer wieder nichts ändern wird. Bereits im April wurden die UN-Beobachtermission in Syrien und der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan einstimmig beschlossen. Doch wie schon zuvor die Beobachtermission der Arabischen Liga wurden sowohl die Mission als auch der Annan-Plan vom Syrischen Nationalrat niedergemacht. Schützenhilfe im wahrsten Sinne des Wortes erhielt der Rat von seinen bewaffneten Verbündeten, die als »Freie Syrische Armee« firmieren und deren Finanziers in den Golfmonarchien sitzen. Die UN-Mission musste die Arbeit einstellen, weil sie immer wieder Ziel von Angriffen wurde.

Nun also wieder eine einstimmige Entscheidung der Mächtigen der Welt. Eine Übergangsregierung aus Regierung und Opposition wäre sinnvoll und entspricht - wie die Beobachtermission und der Sechs-Punkte-Plan - einem Vorschlag der politischen Opposition in Syrien. Doch kaum ging man in Genf auseinander, meldete sich der Nationalrat und zerriss den Vorschlag in der Luft. »Zeitverschwendung« sei es gewesen, die bewaffneten Gruppen müssten gestärkt werden. Mit »Henkern« und der »Assad-Bande« werde nicht verhandelt. Wer aber Reformen in Syrien will, muss verhandeln. Nicht mit sich selber und seinen Verbündeten, sondern mit dem Gegner. Davon ist Syrien auch nach Genf weit entfernt.

** Aus: neues deutschland, Montag, 2. Juli 2012 (Kommentar)

Weitere Kommentare

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz befasst sich mit der internationalen Syrien-Konferenz in Genf, die auf Drängen Russlands eine Übergangsregierung unter Beteiligung des Assad-Regimes gefordert hat:
"Die Tauglichkeit der Schlusserklärung lässt sich erst in Wochen oder wohl eher in Monaten wirklich ermessen. Derzeit wiegen sich das syrische Regime wie auch die Opposition in Siegesgewissheit. Russland verfügt über den Einfluss, Assads Regime zum Einlenken zu zwingen und den am stärksten belasteten Figuren einen diskreten Abgang zu ermöglichen. Und die USA, Saudi-Arabien und Katar hätten es in der Hand, den von ihnen ausgerüsteten Widerstand in die Pflicht zu nehmen. Die Alternative zu Annans Plan ist düster. Syriens Zersplitterung zeichnet sich ab. Die bürgerkriegsähnlichen Verhältnisse drohen zu eskalieren und könnten über die Grenzen schwappen. Das Genfer Treffen als letzte Chance, eine anscheinend unausweichliche Entwicklung aufzuhalten? Man wagt zu hoffen".


Pessimistisch äußert sich die türkische Zeitung STAR:
"Der in Genf angenommene Syrien-Plan des UNO-Sondergesandten Kofi Annan ist eine Totgeburt. Er wird für noch mehr Ungewissheit sorgen und weitere blutige Konflikte unter den verfeindeten Lagern nach sich ziehen. Bereits vor langer Zeit hatte der oppositionelle Syrische Nationalrat angekündigt, dass er keine Lösung akzeptieren werde, an der Assad und seine Gefolgsleute beteiligt seien. Aber wer soll dann die Übergangregierung stellen? Hinter Annans Plan steckt offenbar die Absicht, Assad zu retten. Das syrische Volk wird das niemals akzeptieren".


Die panarabische Zeitung AL HAYAT sieht nun die syrische Opposition in der Pflicht:
"Sie muss auf die fortgesetzten Opfer der Oppositionsbewegung eine angemessene Antwort finden. Zudem muss sie zeigen, dass sie ihre Spaltung überwinden kann. Darüber hinaus muss sie klare Ziele für die Zeit nach dem diktatorischen Unterdrückungsregime formulieren. Die tiefen Wunden der syrischen Gesellschaft gilt es zu heilen".

(Quelle: Presseschau des DeutschlandRadios, 02.07.2012; www.dradio.de)


Für „Kommersant“ (Russland) steht nach der Genfer Konferenz fest: Assads Zukunft entzweit Russland und den Westen

Die russischen Teilnehmer bewerten die Ergebnisse des Treffens als „moderat positiv“: Drei der vier von Russland eingebrachten Änderungsvorschläge wurden dabei berücksichtigt. Unter anderem wurde die These hinzugefügt, dass die Syrer selbst die Zukunft ihres Landes bestimmen müssen. Dennoch ist der Westen von seinem bisherigen Standpunkt nicht wirklich abgerückt: Die USA fordern weiter den Rücktritt von Präsident Baschar al-Assad, was Moskau jedoch ausschließt.

Für den russischen Außenminister Sergej Lawrow hatte die Syrien-Konferenz bereits am Freitagabend mit den Verhandlungen mit US-Außenministerin Hillary Clinton in St. Petersburg begonnen. „Hillary Clinton hat ihre Position geändert. Es gab keine Ultimaten mehr. Es gab kein Wort darüber, dass das in Genf zu besprechende Dokument nicht geändert werden kann“, sagte Lawrow bei der Pressekonferenz nach dem Gespräch mit Hillary Clinton.

In Moskau wurde zudem die Tatsache positiv bewertet, dass Clinton wider Erwarten nicht auf das Thema einging, dass Russland modernisierte Hubschrauber Mi-25 an Syrien liefern will. „Das Thema ist abgeschlossen. Wir werden die Hubschrauber rechtzeitig liefern“, sagte eine Quelle in der russischen Delegation.

Die USA bewerten die Ergebnisse des Treffens in St. Petersburg weniger optimistisch. Wie eine Quelle im US-Außenministerium am Freitag mitteilte, gibt es weiter Kontroversen zwischen den USA und Russland, so dass keine Vereinbarung in Genf erreicht würde. Die Bestätigung kam in der Nacht auf den Samstag. Der russische Vize-Außenminister Gennadi Gatilow twitterte, dass keine Einigung bei der Ausarbeitung des Schlussdokuments erreicht worden sei.

In Genf unterbreitete Russland vier Änderungsvorschläge zum Text der Erklärung. Erstens forderte Russland den Verzicht auf einen Aufruf an den UN-Sicherheitsrat, weitere Maßnahmen gegenüber Syrien zu treffen. Moskau schlug zudem vor, ein striktes Verbot gegen illegale Waffenlieferungen an die Konfliktlager in Syrien einzuführen. Russland forderte darüber hinaus, den Journalisten den freien Zugang zu Informationen über den Konflikt in dem Land zu sichern.

Moskau besteht außerdem auf einem neuen Verfahren zum Waffenstillstand. „Im Entwurf stand geschrieben, dass eine gleichzeitige Waffenruhe erfolgen soll, wenn die Regierung die Truppen aus den Städten abzieht. Doch in diesem Fall werden die Oppositionellen alle verlassenen Stellungen einnehmen“, sagte Lawrow. Nur ein Änderungsvorschlag Russlands wurde abgelehnt - über illegale Waffenlieferungen.

Trotzdem hielt der Westen an seiner Hauptforderung im Syrien-Konflikt fest. Clinton war freimütig gewesen. „Assad muss in jedem Fall abtreten“, sagte die US-Außenministerin.

Laut dem Sondergesandten der UNO und der Arabischen Liga, Kofi Annan, sind die Teilnehmer zu einem Einvernehmen in Bezug auf die Situation in Syrien gekommen und haben sich verständigt, die Konfliktseiten mit dem Ziel unter Druck zu setzen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, um eine Übergangsregierung zu schaffen. Annan will demnächst nach Damaskus und Teheran reisen, dessen Teilnahme an dem Genfer Treffen von den USA verhindert worden war. Die Ergebnisse der Mission werden bei dem nächsten Treffen der Aktionsgruppe besprochen. Nach „Kommersant“-Informationen hat Russland vorgeschlagen, das Treffen in Moskau abzuhalten und den Iran, Saudi Arabien und alle Syrer einzuladen.

Nach RIA Novosti, 2. Juli 2012; http://de.rian.ru


Für Sonja Zekri in der Süddeutschen Zeitung war die Genfer Konferenz "von vorherein zum Scheitern verurteilt", denn die Konfliktparteien seien noch lange nicht soweit, sich an einen Tisch zu setzen.
Die bewaffneten Aufständischen haben Genf als Provokation verstanden und neue Angriffe angekündigt. Gleichzeitig melden die Assad-Gegner Hunderte Tote in einer Woche. Die Illusion einer politischen Lösung lässt den bewaffneten Kampf eskalieren. Dieses Ergebnis liegt sogar noch unter den niedrigen Erwartungen an die Konferenz in Genf.
Russland riskiert viel, um mit der erzwungenen Öffnungsklausel für Assad Treue gegenüber seinem Verbündeten zu beweisen und dem Westen die Stirn zu bieten. Richtig aber ist, dass niemand wirklich weiß, wie groß der Rückhalt für Assad in Syrien wirklich ist. Bombenanschläge in Damaskus sind kaum dazu angetan, die Zögernden auch unter Minderheiten wie Christen und Alawiten von den friedlichen Absichten der Aufständischen zu überzeugen. Syrien ist ein Land, das von der Welt verlassen ist.
(SZ, 2. Juli 2012)




Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage