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Die Lage in Syrien bleibt gespannt

Neue Gewaltakteure, Anschläge und uneinige Opposition. Zwei Artikel von Karin Leukefeld


Syriens Opposition bleibt uneins

"Al-Nusra-Front" bekannte sich zu Anschlägen in Damaskus

Von Karin Leukefeld *


Der Syrienkonflikt lässt die Nachbarländer nicht unberührt. Am Sonntag wurden in Libanon zwei Menschen bei Kämpfen zwischen libanesischen Anhängern und Gegnern des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad getötet. Die libanesischen Streitkräfte hätten die Ruhe wieder hergestellt, berichteten die Sicherheitsbehörden.

Eine »Al-Nusra Front zum Schutz der Levante« hat die Verantwortung für den schweren Anschlag übernommen, der Damaskus am Donnerstag erschüttert hatte. Bei zwei kurz aufeinanderfolgenden Explosionen im morgendlichen Berufsverkehr waren auf einer Hauptzufahrtstraße 55 Menschen getötet und 372 Personen zum Teil schwer verletzt worden. Die Nähe eines Gebäudes des Luftwaffengeheimdienstes war von Medien als Indiz dafür gewertet worden, dass dieses Gebäude eigentliches Ziel des Anschlags war. In ihrem per Video verbreiteten Bekenntnis erklärte die Al-Nusra-Front, die syrische Führung solle ihre »Massaker gegen die Sunniten stoppen«, sonst werde es »noch mehr Elend geben, so Gott will«. Die Gruppe wird dem Spektrum der salafistischen Dschihadisten der Al-Qaida zugerechnet. Bisher hat sie die Verantwortung für Anschläge in Idlib, Aleppo und Damaskus übernommen.

Die syrische Führung hatte »Terroristen« für den Anschlag verantwortlich gemacht. Der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNR) erklärte dagegen am 11. Mai, die syrische Führung selbst habe die Explosionen veranlasst, »um Chaos zu verbreiten, die Arbeit der UN-Beobachter zu behindern und die Aufmerksamkeit von Verbrechen abzulenken, die ihre Truppen in anderen Teilen des Landes verüben«. Ein »Koordinationskomitee der syrischen Revolution« erklärte, selbst wenn es in seinen Reihen Terroristen gäbe, würden sie eher Anschläge auf Großveranstaltungen des Präsidenten verüben, als wahllos Passanten zu töten.

Der im Ausland agierende Syrische Nationalrat hatte sich zum Jahreswechsel für die Zusammenarbeit mit der Freien Syrischen Armee (FSA) ausgesprochen und dafür eigens ein militärisches Verbindungsbüro eingerichtet, um Gelder und Waffen an die unter der FSA-Fahne kämpfenden Gruppen verteilen zu können. Zu diesen Gruppen zählen auch salafistische Kämpfer, die schon in Afghanistan, Irak und Libyen im Einsatz waren. Die Regierung in Damaskus hat bereits mehrfach darüber geklagt, dass die Opposition Waffen und Kämpfer für den Aufstand gegen Assad über die libanesische Grenze nach Syrien schmuggelt.

Andere im Lande selbst aktive Oppositionsgruppen lehnen den Einsatz von Waffen jedoch ab, wie Abdulaziz Al-Khair vom Präsidium des Nationalen Koordinationskomitees für demokratischen Wandel (NCB) in Damaskus im Gespräch mit der Autorin erklärte. Die Militarisierung werde den »alten Wunsch nach Demokratie« in Syrien nicht voranbringen, sagte Al-Khair, in Syrien müsse ein »demokratisch gewähltes, pluralistisches System« geschaffen werden, das aber gehe nur ohne Gewalt. Al-Khair, der 2005 nach 14-jähriger Haft aus dem Gefängnis entlassen worden war, bezeichnete den 6-Punkte-Plan Kofi Annans als »wichtig und wertvoll«. Jede nur mögliche Anstrengung müsse unternommen werden, »damit er gelingt«.

Eine Oppositionelle, die anonym bleiben wollte, bezeichnete sich gegenüber der Autorin in Damaskus als Unterstützerin der Muslimbruderschaft und der »Damaskus-Erklärung«. Beide Gruppen sind im SNR vertreten. Das NCB dagegen ist ihrer Meinung nach »vom Regime gesteuert«, dessen Vertreter seien »große Lügner«. Wer für Gewaltfreiheit eintrete, bediene »die Interessen des Regimes«.

Derweil trat das Präsidium des Syrischen Nationalrats in Rom zu dreitägigen Beratungen zusammen. Der Vorsitzende Burhan Ghalioun gab an, er wolle die unterschiedlichen Fraktionen der syrischen Opposition vereinen, um eine »glaubwürdige Alternative zu Präsident Assad« zu bilden. Mehr »Elemente von politischen Gruppen und der Zivilgesellschaft« müssten einbezogen werden. Für den 16. Mai hat die Arabische Liga die syrische Opposition nach Kairo eingeladen. Dort soll es erneut um eine Vereinigung der unterschiedlichen Gruppierungen gehen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 14. Mai 2012


Gespannte Lage in Syrien

Islamistische Terrorgruppe bekennt sich zu Doppelanschlag in Damaskus

Von Karin Leukefeld **


Zu dem schweren Doppelanschlag in Damaskus, bei dem am vergangenen Donnerstag im morgendlichen Berufsverkehr offiziellen Angaben zufolge 55 Menschen getötet und 372 verletzt worden waren, hat per Videoerklärung eine »Al-Nusra-Front für den Schutz der Levante« die Verantwortung übernommen. In der Aufnahme heißt es, die syrische Führung solle ihre »Massaker gegen die Sunniten stoppen. Falls nicht, werdet ihr die Sünde der Alawiten ertragen müssen. Was dann kommt, wird noch mehr Elend bringen, so Gott will«.

Der syrische Innenminister hatte unmittelbar nach dem Anschlag »Terroristen« verantwortlich gemacht. Das im Ausland agierende »Komitee der syrischen Revolution« beschuldigte die Regierung, den Anschlag selbst fabriziert zu haben. Der Deutschlandfunk zitierte am Freitag aus einer Erklärung des Komitees, in der es hieß: »Selbst wenn es in den Reihen der Opposition Terroristen gäbe, würden sie eher Anschläge auf Großveranstaltungen des Präsidenten verüben, anstatt wahllos Passanten zu töten.«

Die angeblich im Dezember 2011 in Homs entstandene Gruppe »Al-Nusra-Front« wird von dem BBC-Journalisten und Al-Qaida-Experten Frank Gardner dem Spektrum salafistischer Dschihadisten und möglicherweise der Al-Qaida zugerechnet. Erstmals rief die Gruppe Ende Januar 2012 zum bewaffneten Kampf gegen die syrische Regierung auf. Sie übernahm die Verantwortung für Anschläge in Idlib, Aleppo und Damaskus (Januar, März) bei denen Dutzende Menschen starben. Im April kritisierte die Gruppe den Waffenstillstand von UN-Vermittler Kofi Annan als »Trick«, um die Protestbewegung zu demoralisieren und die Revolution zu beenden.

Beobachtern zufolge sind Dschihadisten und salafistische Kampfgruppen aus Irak und Libyen nach Syrien gezogen. Jordanische Grenztruppen hatten nach eigenen Angaben vor wenigen Wochen sieben Dschihadisten am illegalen Grenzübertritt nach Syrien gehindert. Die Versorgung der Kämpfer mit Waffen und Munition wird über die Türkei und den Libanon gesteuert. Die libanesische Marine beschlagnahmte kürzlich das Frachtschiff Lutfullah II, das drei Container mit Waffen aus Libyen und Ägypten an Bord hatte. Die waren aller Wahrscheinlichkeit nach für bewaffnete Gruppen in Syrien bestimmt.

Der militärische Leiter der UN-Beobachtermission in Syrien, Robert Mood, erklärte am Samstag vor Journalisten in Damaskus, bisher seien 157 militärische und zivile Beobachter in Syrien angekommen. 50 Staaten würden die Mission bisher unterstützen. Am Wochenende waren 19 schußsichere Fahrzeuge nach Syrien eingeflogen worden, nach Angaben eines UN-Beamten in Damaskus handelte es sich um einen Beitrag der EU zu der UN-Beobachtermission. Am Freitag waren UN-Beobachter in Dumair, einer Vorstadt von Damaskus, mit Steinen beworfen worden. Dabei ging die Heckscheibe eines der Fahrzeuge zu Bruch.

Nicht bestätigten Angaben eines »Syrischen Netzwerks für Menschenrechte« zufolge soll die syrische Armee am Wochenende das Dorf Tamanaa in der Provinz Hama beschossen und sieben Personen getötet haben. Häuser seien niedergebrannt, Menschen hingerichtet worden, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters aus den Angaben des Netzwerks. Von anderer Seite gibt es dazu keine Angaben.

Erneut hat der innersyrische Konflikt zu tödlichen Auseinandersetzungen im Libanon geführt. In der Hafenstadt Tripoli, einer Versorgungsbasis für Kämpfer, Verletzte und Flüchtlinge aus Syrien, sind bei Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern der syrischen Regierung mindestens zwei Menschen getötet und zehn weitere verletzt worden. Einer der Toten war ein Soldat, der am Rande einer Demonstration von Islamisten getötet wurde. Anlaß der Demonstration war die Festnahme eines 27jährigen Mannes, der laut libanesischer Behörden Verbindungen zu einer terroristischen Vereinigung haben soll. Nach Angaben seiner islamistischen Unterstützer ist er ein Sympathisant der Protestbewegung in Syrien.

** Aus: junge Welt, Montag, 14. Mai 2012


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