Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Amnestie nicht ausreichend"

Syrien: Trotz Entlassung Gefangener kritisieren Muslim-Brüder Staatschef Assad

Von Karin Leukefeld *

Rund 300 Teilnehmer einer Konferenz im südtürkischen An­talya zum Sturz der syrischen Regierung haben am Donnerstag (2. Juni) eine Generalamnestie des Präsidenten Baschar Al-Assad kritisiert.

Dieser hatte am Mittwoch (1. Juni) über 500 politische Gefangene freigelassen. Unter diesen haben sich nach Angaben des Syrischen Observatoriums für Menschenrechte auch Häftlinge befunden, die an den seit März laufenden Protesten gegen die Regierung Assad teilgenommen hatten.

Die Amnestie käme »zu spät und sei unzureichend«, hieß es auf dem Treffen, deren Teilnehmer zum Großteil von der in Syrien verbotenen Muslim-Bruderschaft gestellt wurden.

Deren in Schweden erstellte Webseite »Syrische Revolution 2011« war in den vergangenen Wochen von internationalen Medien zum Sprachrohr der syrischen Opposition befördert worden. Bei der Konferenz ging es darum, wie die Proteste weiter finanziell, logistisch, juristisch und per Internet unterstützt werden könnten. Der Versuch von syrischen Turkmenen – die angegebenen Zahlen schwanken zwischen 50 und 400 –, an der Konferenz teilzunehmen, wurde von türkischen Polizeikräften verhindert. Die Turkmenen, die in Antakia und Iskenderun in der Provinz Hatay leben, sprachen sich für den Reformkurs von Präsident Assad aus. Hatay gehörte früher zu Syrien, war aber in den 1930er Jahren von der in Syrien herrschenden Kolonialmacht Frankreich der Türkei überlassen worden.

Parallel zur Generalamnestie der Gefangenen hat Präsident Assad die Syrer zur Teilnahme an einem »Nationalen Dialog« aufgefordert. Dem Komitee unter Leitung von Vizepräsident Faruk Al-Scharaa gehören auch Mitglieder der herrschenden Baath-Partei und der Nationalen Fortschrittsfront an, außerdem ein Schriftsteller und ein Lehrer. Sie sollen über die Ausweitung und die Umsetzung des Dialogs beraten, der sich unter anderem mit einem neuen Wahlgesetz und einem Gesetz zur Gründung neuer Parteien befassen soll. Die Bevölkerung solle an dieser Diskussion beteiligt werden und ihre Vorschläge und Vorstellungen einbringen, sagte Assad.

Eine Propagandaschlacht ist derweil um den Tod eines 13jährigen Jungen aus Deraa entbrannt, dessen Leichnam Ende Mai seinen Eltern übergeben worden war. Der Vater des Jungen Hamza Al-Khateeb hatte während einer Schießerei auf einer Demonstra­tion am 29. April seinen Sohn aus den Augen verloren. Ein Arztbericht bescheinigte den Tod des Jungen durch drei Kugeln, seine Identität blieb allerdings lange unklar, weswegen er seinen Eltern Wochen später übergeben worden war. Oppositionskräfte haben Handyaufnahmen von dem Leichnam des Jungen ins Internet gestellt und behauptet, er sei von Sicherheitskräften festgenommen, schwer mißhandelt und verstümmelt worden. Mit der Webseite »Wir sind alle Hamza Al-Khateeb« und großformatigen Fotos des Jungen, vor und nach seinem Tod, wird weiter zu Protesten mobilisiert.

Nach Agenturberichten ging die Regierung unterdessen weiter gewaltsam gegen Demonstranten vor, die seit Monaten den Rücktritt von Präsident Assad fordern. Am Donnerstag soll es Angriffe der Streitkräfte auf die zentralsyrische Stadt Rastan gegeben haben.

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF mahnte erneut, daß Minderjährige von politischen Konfrontationen ferngehalten werden müßten. Seit Beginn der Proteste in Syrien Mitte März seien mindestens 30 Kinder erschossen worden.

* Aus: junge Welt, 3. Juni 2011


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage