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Auf Vermittlung in Damaskus

UNO-Emissär Annan bei Vertretern beider Seiten *

Ein Waffenstillstand sei schwer zu erreichen, aber er bleibe optimistisch, sagte Kofi Annan nach einem zweiten Treffen mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad am Sonntag. Der von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und der Arabischen Liga ernannte Sondergesandte für Syrien war am Samstag (10. März) in Damaskus eingetroffen, wo er zwei Mal mit Präsident Assad, Außenminister Walid Muallem, Vizeaußenminister Feisal Mekdad sowie Assads Beraterin Bouthaina Schaaban zu mehrstündigen Gesprächen zusammentraf. Annan sprach auch mit - namentlich nicht genannten - Vertretern der Opposition, mit »Jugendaktivisten«, Religionsführern und Geschäftsleuten, bevor er am Sonntagnachmittag (10. März) in das Emirat Katar weiterflog.

Weil Syrien Veränderung und Reformen brauche, habe er Assad ein afrikanisches Sprichwort mit auf den Weg gegeben, sagte Annan kurz vor seiner Abreise vor Reportern: »Man kann den Wind nicht ändern, also muss man die Segel anders setzen.« Zunächst müssten »das Töten, das Elend und die Misshandlungen aufhören, dann braucht man Zeit für eine politische Lösung«, so Annan. Er habe Assad einige »konkrete Vorschläge« zur Lösung der Krise vorgelegt, sagte er, ohne diese auszuführen.

Nach Angaben von Oppositionsvertretern soll die syrische Armee am Freitag eine Offensive in der im Nordwesten Syriens gelegenen Stadt Idlib und ihrer Umgebung begonnen haben. Für diese Angaben gibt es von staatlicher Seite keine Bestätigung.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow erneuerte am Wochenende bei einem Außenministertreffen der Arabischen Liga in Kairo seine Kritik an der »Einseitigkeit« bisheriger Stellungnahmen zu Syrien. In einem Fünf-Punkte-Plan schlug er einen Weg zum Dialog zwischen der syrischen Führung und den Aufständischen vor. Demnach sollten beide Seiten einem sofortigen Waffenstillstand zustimmen, ein ausländisches Beobachterkomitee müsste diesen dann überwachen. So könnte humanitäre Hilfe Bedürftige erreichen und die Basis für einen politischen Dialog gelegt werden. Ausländische Einmischung lehnte Lawrow erneut kategorisch ab.

* Aus: neues deutschland, 12. März 2012


Offene und umfassende Gespräche

Früherer UN-Generalsekretär Kofi Annan vermittelt im Syrien-Konflikt

Von Karin Leukefeld *


Bei einer zweiten Gesprächsrunde mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad und Vertretern seiner Regierung hat der Sondergesandte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, Kofi Annan, Damaskus »verschiedene konkrete Vorschläge« unterbreitet. Das sagte ein Sprecher Annans, der sich besorgt über die Lage im Land geäußert hatte. Bei den Vorschlägen geht es offenbar um einen Waffenstillstand, die Freilassung von Gefangenen, die Arbeit des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und anderen Hilfsorganisationen sowie um einen politischen Dialog »mit allen Seiten«.

Ein erstes zweistündiges Treffen am Samstag hatte Annan als »offen« und »umfassend« gelobt. Assad hatte dabei bekräftigt, zu Dialog und Veränderungen bereit zu sein. Allerdings könne die Gewalt in Syrien nicht gestoppt werden, solange »bewaffnete terroristische Gruppen Chaos verbreiteten und das Land destabilisierten«, hieß es bei der syrischen staatlichen Nachrichtenagentur SANA. Vor dem zweiten Treffen der beiden Politiker am Sonntag war Annan mit Vertretern der Opposition, jungen Aktivisten und Geschäftsleuten zusammengetroffen, teilte sein Sprecher mit. Am Sonntag nachmittag flog der frühere UN-Generalsekretär dann weiter nach Katar. Noch vor einem Jahr schien dieser Golfstaat ein enger Verbündeter Syriens zu sein, nun jedoch führt das Emirat die Front gegen Sy­rien in der Arabischen Liga an und sorgt mit Geld, Waffen und Kommunikationstechnologie für die Ausrüstung von Gruppen, die in Syrien kämpfen.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle plädierte am Wochenende bei einem Besuch in Sanaa für eine »jemenitische Lösung« des Konflikts in Syrien. Damit dürfte der Rückzug von Präsident Assad aus der Politik und aus dem Land gemeint sein, wie es im Jemen mit dessen langjährigem Präsidenten Ali Abdullah Saleh geschehen war. Im Gegenzug will man Assad Straffreiheit anbieten. Bei einem anschließenden Treffen mit dem saudischen Außenminister Feisal in Riad warnte Westerwelle vor einem militärischen Eingreifen in Syrien. Auch Saudi-Arabien, das mit einem Volumen von 152,5 Millionen Euro auf Platz 10 der Empfängerliste deutscher Rüstungsexporte steht, bewaffnet syrische Kämpfer. Zuletzt hatte ein Vertrag über die Lieferung von 270 deutschen Kampfpanzern vom Typ Leopard II an Saudi-Arabien für Aufsehen gesorgt.

** Aus: junge Welt, 12. März 2012


Annan nicht willkommen

Von Roland Etzel ***

Kofi Annan, der von der UNO ernannte Sondergesandte für Syrien, hat seine Visite dort allen »Gastgebern« ziemlich aufdrängen müssen. Präsident Assad desavouierte ihn, bequemte sich dann doch, ihn zu empfangen - um ihm mitzuteilen, dass er mit Terroristen, so nennt er die bewaffnete Opposition, nicht verhandle. Hier treffen sich Assads Ansichten mit denen seiner Gegner im Exil. Auch sie wollen keine Verhandlungen - und demzufolge keine Feuerpause -, verlangen im Gegenteil schwere Waffen, besser noch eine Flugverbotszone nach libyschem Muster.

Auch bei der Arabischen Liga, deren Gesandter Annan offiziell ebenfalls ist, zeigt man sich offen verstimmt über dessen Vorschlag zum innersyrischen Dialog. Es ist kein Geheimnis, dass die Lautsprecher der Liga, Katar und Saudi-Arabien, ihn nicht wollten und lieber einen gesehen hätten, der die Schuldfrage zügig in ihrem Sinne klärt. Warum dann trotzdem Annan, der frühere UN-Generalsekretär aus Ghana? Afrika wollte ihn, das zählt wenig, aber neben Russland auch die USA, und das zählt viel, in diesem Fall alles.

Die Golfmonarchen müssen - so wie bereits Israel im Falle Iran - zeternd zur Kenntnis nehmen, dass Washington in keinen weiteren Krieg verwickelt werden will, jedenfalls nicht vor den Wahlen im November. Und so gäbe es jetzt mit Hilfe des ebenso erfahrenen wie honorigen Diplomaten Annan eine echte Friedenschance. Den Syrern ist zu wünschen, dass er daran länger arbeiten darf als ein Wochenende.

*** Aus: neues deutschland, 12. März 2012 (Kommentar)


»Wir bestehen auf Souveränität«

Die syrische Frauenrechtlerin Mouna Ghanem über die Konfliktlösung in ihrem Land ****

Mouna Ghanem ist Mitbegründerin der oppositionellen syrischen Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen«. Über die Rolle der Arabischen Liga gegenüber Syrien sprach mit ihr in Damaskus für »nd« Karin Leukefeld.


nd: Die Beobachtermission der Arabischen Liga ist gescheitert, offen plädieren einige Staaten für Luftschläge gegen Syrien. Sie fordern weiter eine friedliche Konfliktlösung. Wie kann das gehen?

Ghanem: Wir haben die Beobachtermission der Arabischen Liga begrüßt, weil sie für die Konfliktlösung wichtig und nützlich war und noch immer sein kann. Ja, sie hätte sich besser organisieren müssen, sie hätte Unterstützung gebraucht. Vor allem hätte sie den Kontakt zu den verschiedenen Oppositionsgruppen hier in Syrien herstellen müssen, um diese in die Konfliktlösung einzubeziehen. Wir hatten vorgeschlagen, syrische Aktivisten in ihre Teams einzubeziehen, so hätte sie Leute gehabt, die sich vor Ort auskennen.

Das alles hat aber nicht stattgefunden.

Man hätte den Beobachtern Zeit einräumen müssen. Ein oder zwei Monate braucht man allein, um sich überhaupt in einer neuen Gesellschaft zurechtzufinden. Teams, die in Programmen der Konfliktlösung arbeiten, brauchen Jahre! Sie sehen das überall, wo solche Gruppen arbeiten. Nein, den Beobachtern wurde nicht die notwendige Zeit eingeräumt. Darin waren sich die Unterstützer der Opposition und die Unterstützer des Regimes einig, beide Seiten haben die Beobachter angegriffen, sie wollten ihnen keine Chance geben.

Und dennoch plädieren Sie für diese Mission?

Wer ernsthaftes Interesse an einer friedlichen Lösung in Syrien hat, sollte in diese Mission investieren und dazu beitragen, dass der Konflikt in Syrien von der militärischen, der sogenannten Sicherheitslösung, auf die politische Ebene verlagert wird. In diesen Prozess müssen alle oppositionellen Gruppen hier in Syrien ebenso einbezogen werden wie Kräfte aus dem Regime. Konfliktlösung bedeutet, die Interessen aller Seiten zu berücksichtigen, auch die des syrischen Systems. Berücksichtigt werden müssen die Minderheiten in Syrien, die nationale Sicherheit und Souveränität.

Vor wenigen Tagen wurde der Syrische Nationalrat von den EU-Regierungschefs als legitime Vertretung Syriens bezeichnet. Es ist offensichtlich, dass dieser Rat der westlichen Gemeinschaft vorgibt, mit welchen Forderungen und auf welche Weise sie in Syrien vorgehen soll.

Die Lösung dieses Konflikts ist Sache der Syrer, die hier im Land leben. Die historische Rolle der Opposition ist, den Willen der Syrer zu unterstützen, die den Kampf hier führen. Dieser Kampf, auch der politische Kampf, findet in Syrien statt. Er findet nicht in den Medien oder irgendwo außerhalb Syriens statt. Die Aufgabe der Auslandsopposition ist immer gewesen und sollte es auch heute sein, die Opposition im Inland zu unterstützen. Wenn der Syrische Nationalrat es ernst meint, sollte er dem Willen der Syrer in Syrien folgen, nicht umgekehrt.

Nun hat der Syrische Nationalrat ein militärisches Verbindungsbüro eröffnet und bekommt Waffen aus den Golfstaaten. Das sieht nicht nach einer friedlichen Lösung aus.

Wir sehen täglich, dass die militärische keine Lösung ist. Niemand darf dabei helfen, dass die Syrer sich Tag für Tag gegenseitig töten. Wir waren die ersten im vergangenen Jahr, im Oktober, die zu Verhandlungen aufgerufen haben. Dafür brauchen wir ernsthafte Vermittler und einen Plan, wie Syrien in eine friedliche Übergangsphase geführt werden kann, hin zu einer Demokratie.

Und wer, welcher Staat könnte Vermittler sein?

Kein Staat, wir plädieren für eine neutrale Vermittlergruppe. Leute, die keine Interessen an dem Konflikt in Syrien verfolgen. Es geht aber weniger um die Frage, wer diese Vermittler sein könnten, als vielmehr um die Frage, was und wie verhandelt wird; welches Szenario wir brauchen, um überhaupt zu Verhandlungen zu kommen. Wir arbeiten daran, mit den Oppositionskräften hier im Land ein gemeinsames Programm dafür zu finden. Wir wollen kein Gremium mit irgendwelchen Posten, wir wollen uns gemeinsam auf ein Vorgehen einigen, wie wir aus der Krise herauskommen können.

Was sind die zentralen Punkte eines solchen Programms?

Was wir von Anfang an gefordert haben: Verhandlungen, einen friedlichen politischen Übergang ohne irgendeine ausländische Einmischung. Wir bestehen auf unserer nationalen Souveränität.

**** Aus: neues deutschland, 12. März 2012


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