Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bombenanschlag in Damaskus

25 Menschen starben / Syrische Opposition bezichtigt Assad-Regime

Von Ingolf Bossenz *

Ein Bombenanschlag in der syrischen Hauptstadt Damaskus tötete am Freitag rund 25 Menschen. Wer ihn verübte, ist unklar. Die Bluttat wurde umgehend für den Propagandakrieg der Konfliktparteien instrumentalisiert.

Die Bombe, die etwa 25 Menschenleben forderte, explodierte im dicht besiedelten Al-Midan-Viertel der syrischen Metropole zur Zeit des Freitagsgebets. Es gab bis zu 50 Verletzte. Die meisten Opfer waren den Angaben zufolge Zivilisten. Der Stadtteil gilt als Hochburg der Regimegegner.

Umgehend erklärten oppositionelle Kreise, das Regime von Präsident Baschar al-Assad habe die Gewalttat als Racheakt gegen die Widerstandsbewegung verübt. Die staatlichen Medien hingegen sahen Selbstmordattentäter mit islamistischem Hintergrund am Werke.

Klar ist offenbar nur, dass die blutigen Auseinandersetzungen nun endgültig die Hauptstadt des zerrissenen arabischen Landes erreicht haben. Die in Internetforen der Regimegegner verbreitete Version, der Sicherheitsapparat habe den Anschlag verübt, blieb im Bereich der Spekulation. Immerhin passt sie zu den Aussagen eines hochrangigen Überläufers, der erst am Donnerstag von Kairo aus in Interviews eine Sicht geliefert hatte, die sich auf intime Kenntnis der Damaszener Verhältnisse berief. Der früher für das Verteidigungsministerium und das Büro des Ministerpräsidenten zuständige oberste Finanzkontrolleur Mahmud al-Hadsch Hamad hatte erklärt, die Verantwortung für die Gewalt gegen Demonstranten liege »bei den Sicherheitskräften, und zwar konkret beim Militärgeheimdienst, bei der Direktion des Allgemeinen Geheimdienstes und beim Geheimdienst der Luftwaffe«. Die syrische Regierung habe, so Hadsch Hamad, damit nichts zu tun. Die Mitglieder des Kabinetts seien »Gefangene, die ohne Begleitung der Sicherheitskräfte keinen Schritt mehr machen dürfen«. Viele Minister wollten sich vom Regime lossagen, sie harrten aber aus, weil sie Angst hätten, dass ihren Angehörigen dann etwas angetan werden könnte. Gleiches gelte für viele führende Offiziere. Als konkrete Akteure von Gräueltaten nannte er die Schabiha-Miliz. Diese würde aus dem Etat des Verteidigungsministeriums bezahlt.

So ist denn auch ein Sprecher der Opposition, der sich aus der türkischen Grenzprovinz Hatay meldete, der festen Überzeugung, das Regime selbst habe die Bombe hochgehen lassen. Er begründet das mit dem Rachebedürfnis der Assad-Leute, da in Al-Midan »viele Revolutionäre« leben. Zugleich werde mit dem Attentat den anwesenden Beobachtern der Arabischen Liga ein »Beweis« für den terroristischen Charakter der Revolte im Lande geliefert. An diesem Wochenende will die Liga den bisherigen Einsatz der Beobachtermission bewerten. In mehreren syrischen Städten gab es auch am Freitag wieder Demonstrationen. Dort wurde den Beobachtern der Arabischen Liga vorgeworfen, das Blutvergießen bisher nicht gestoppt zu haben. Rufe nach einer UNO-Intervention wurden laut.

Dass die Assad-Getreuen ausgerechnet in der Herrschaftszentrale des Regimes ein Terrorstück zur Stabilisierung ihrer angeschlagenen Machtposition inszenieren, bezweifeln Analysten indes durchaus. Zumal der Präsident gerade in Damaskus offenbar noch über ein auf seiner Seite stehendes Bevölkerungspotenzial verfügt.

Vermutlich wird die Terrortat ebenso unaufgeklärt bleiben wie jene vor gerade einmal zwei Wochen. Am 23. Dezember waren in Damaskus Anschläge gegen Gebäude des Geheimdienstes und der Sicherheitskräfte verübt worden. Dabei starben 44 Menschen, über 160 wurden verletzt. Zwar kursierte ein angebliches Bekennerschreiben der Muslimbrüder im Internet. Die Organisation bezeichnete dieses aber umgehend als Fälschung. Ein Sprecher der sunnitisch-islamistischen Bewegung hatte auch damals der Führung in Damaskus vorgeworfen, sowohl hinter der Fälschung wie hinter den Anschlägen zu stecken. Die Muslimbrüder verlangten zu dem neuen Attentat eine internationale Untersuchung der Hintergründe. Bevor »die Verbrecher die Beweise vernichten«, wie ein Sprecher der Bewegung betonte.

* Aus: neues deutschland, 7. Januar 2012


"Libyen light" für Syrien?

Teile der Opposition fordern internationale Intervention zum Sturz des Assad-Regimes. 25 Tote bei Anschlag in Damaskus

Von Karin Leukefeld **


Bei einer schweren Explosion im Zentrum von Damaskus am Freitag morgen (6. Jan.) sind nach offiziellen Angaben 25 Menschen ums Leben gekommen, Polizisten und Zivilisten. Mindestens 46 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Der Anschlag ereignete sich in der Nähe einer Schule im historischen Midan-Viertel, das in den letzten Monaten wiederholt Schauplatz von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und den syrischen Sicherheitskräften war. Ersten Angaben zufolge soll es sich bei der Explosion um einen »Selbstmordanschlag« gehandelt haben, Ziel sei vermutlich ein Polizeibus gewesen.

Vor zwei Wochen war es, ebenfalls an einem Freitagmorgen, zu zwei kurz aufeinander folgenden Explosionen vor der Zentrale des Geheimdienstes in Kfar Susa gekommen. Dabei waren 44 Menschen getötet worden, 166 Personen wurden verletzt. Das syrische Innenministerium vermutet hinter den Anschlägen Al-Qaida, da sie sich dort ereigneten, wo dichter Verkehr und viel Bevölkerung unterwegs sei. Bewohner von Damaskus hatten in den letzten Tagen von erhöhten Sicherheitsvorkehrungen in der Hauptstadt berichtet.

Teile der Opposition verbanden ihre Proteste am Freitag mit dem Aufruf an die Vereinten Nationen, sich in Syrien zu engagieren, weil die arabische Beobachtermission versagt habe. In einer von der »Koordination der Lokalen Komitees« kürzlich veröffentlichten Stellungnahme hieß es dagegen, man wolle nicht Spielball der Nationen werden und habe nicht vor, »die autoritäre Herrschaft gegen die Unterwerfung unter ausländischen Einfluß einzutauschen«.

Rund 100 Beobachter der Arabischen Liga überprüfen seit dem 26. Dezember in Syrien die Umsetzung des arabischen Friedensplans, der einen Rückzug der syrischen Armee aus Wohngebieten und die Freilassung der Gefangenen vorsieht. Am Wochenende soll ein erster Zwischenbericht in Kairo am Sitz der Arabischen Liga vorgestellt werden, wenn das mit Syrien befaßte Komitee (Ägypten, Sudan, Katar, Oman und Algerien) zusammentrifft. Der den Vorsitz führende Ministerpräsident und Außenminister Katars, Scheich Hamad bin Jassim Al-Thani, hatte am Mittwoch bei einer Unterredung mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon von »Fehlern« der Beobachtermission gesprochen, ohne diese allerdings zu benennen. Ban Ki Moon bot daraufhin der Arabischen Liga »technische Unterstützung« zum Beispiel bei der Schulung der Beobachter an.

Obwohl mit dem Rückzug der Armee aus Homs und anderen Brennpunkten der Auseinandersetzungen sowie mit der Freilassung von mittlerweile rund 4000 Gefangenen erste Schritte zur Umsetzung des Friedensplans unternommen wurden, beharren die »Freie Syrische Armee« und der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNR) darauf, daß die Beobachtermission »unprofessionell« vorginge. SNR-Präsident Burhan Ghalioun sagte am Donnerstag im Gespräch mit der britischen BBC, die Mission habe die Gewalt in Syrien nicht beendet. Man erwarte von der internationalen Gemeinschaft eine Art Libyen-light-Version, um den politischen Umsturz im Land herbeizuführen. »Wir wollen eine internationale Intervention nicht, um die syrische Revolution zu ersetzen. Wir wollen, daß sie die syrische Revolution unterstützt«, sagte Ghalioun. Der SNR fordere eine Flugverbotszone für bestimmte Gebiete, damit nicht »die gesamten syrischen Luftverteidigungssysteme zerstört« werden müßten. Es werde »kein Chaos geben wie in Libyen«. Die »Freie Syrische Armee« habe die politische Führung des Nationalrates anerkannt, so Ghalioun, man sei »in ständiger Diskussion« miteinander. Ihr gemeinsames Ziel sei ein »freies, demokratisches und pluralistisches Syrien«.

** Aus: junge Welt, 7. Januar 2012


Unheilvoller Block

Wieder Bombenattentat in Damaskus

Von Werner Pirker ***


Es war ein Attentat mit Ansage. Vor der Bundespressekonferenz stellten Vertreter des prowestlichen Syrischen Nationalrates (SNC) am Mittwoch in Berlin einen Guerillakrieg in Aussicht. Allerdings als Warnung. Die aus Deserteuren gebildete Freie Syrische Armee (FSA) könnte einen solchen beginnen, sollte es dem Ausland nicht gelingen, Präsident Baschar Al-Assad zum Einlenken zu bewegen, mahnte der Grünen-Politiker Ferhad Ahma, ein Mitglied des SNC, mehr westliche Einmischung an. Bei dem am Freitag verübten Attentat in Damaskus sind 25 Menschen getötet und 46 verletzt worden. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, daß die Täter der FSA angehören. Das Regime spricht von islamistischen Terroristen, die Opposition sieht den langen Arm des Geheimdienstes am Werk.

Unabhängig von der Frage nach der Täterschaft und danach, wem dieses Attentat nutzt, ist inzwischen hinlänglich klar geworden, daß die syrische Opposition an einem friedlichen Ausgang der Krise nicht interessiert ist. Sie hat nicht nur alle Verhandlungsangebote der Regime­seite abgelehnt, sondern auch die Forderung der Arabischen Liga nach einem nationalen Dialog zurückgewiesen. Damit haben die syrischen Regimegegner eindeutig Kurs auf eine Gewaltlösung genommen. Das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit, auf das sich vor allem die Inlandsopposition eingeschworen hatte, ist damit hinfällig geworden. Die Linie der Auslandsopposition um den SNC hat sich offenbar durchgesetzt. Es ist die Linie der Befürworter einer ausländischen Militärintervention. Westagenten vom Typ eines Ferhad Ahma und Deserteure bilden einen unheilvollen Block. Zudem hat sich der Wunsch der ehrlichen Regimegegner nach einem Wechsel, der von allen Bevölkerungsgruppen getragen wird, als ein sehr frommer erwiesen. Der sunnitische Faktor drängt mit Macht darauf, seine zahlenmäßige Überlegenheit in eine vorherrschende Position umzusetzen.

So aufrichtig die von Teilen der Opposition ausgesprochene Ablehnung einer ausländischen Einmischung auch gewesen sein mag, war sie konkret zu keinem Zeitpunkt in die Tat umzusetzen. Denn wie hätten sie den Westen daran hindern wollen, in diesem Konflikt Partei für die Regimegegner zu ergreifen? Und wenn der Westen Aufständische unterstützt, wird der Regimewechsel nach seinen Vorgaben durchgeführt. Antiimperialistische Kräfte, denen das Assad-Regime eher zu prowestlich erschienen sein mag, haben in dieser Auseinandersetzung keine Chance. Denn selbst wenn es zu keiner direkten Militärintervention kommt, werden die Westmächte über ihre NGO-Einflußagenten den Ausgang des Konflikts zu bestimmen versuchen. Das heißt: die arabische Revolution, deren Hauptinhalt in der Überwindung der Abhängigkeit dieser Region von den Westmächten bestehen müßte, befindet sich auf dem Rückmarsch. In Libyen und Syrien ist sie konterrevolutionär gewendet worden. In Tunesien und Ägypten tritt sie auf der Stelle.

*** Aus: junge Welt, 7. Januar 2012


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