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Wechsel in Baath-Partei

Syrien: Umbau der Parteiführung mit Meinungsverschiedenheiten begründet. Bildung einer oppositionellen Exilregierung gescheitert

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der syrische Präsident Baschar Al-Assad hat Åke Sellström, den Leiter des UN-Teams für Chemische Waffen, nach Damaskus eingeladen. Syrien wolle mit Sellström über den angeblichen Einsatz von Chemiewaffen durch die Armee sprechen, hieß es in einer offiziell nicht bestätigten Meldung des russischen Nachrichtensenders Russia Today. Unbekannt ist, ob Sellström die Einladung annimmt.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur SANA vom Montag hat derweil ein Generationenwechsel in der Syrischen Arabischen Baath-Partei stattgefunden. Bei einer außerordentlichen Sitzung des Zentralkomitees der Partei am Wochenende wurde die bisherige Führungsgarde durch Spitzenpolitiker der aktuellen Regierung ersetzt. Insgesamt wurden 16 neue Mitglieder ins Zentralkomitee berufen, darunter der amtierende Ministerpräsident Wael Al-Halqi, Parlamentspräsident Jihad Al-Laham und der Minister für Elektrizität, Imad Khamis. Zuletzt hatte es 2005 Änderungen im Zentralkomitee gegeben. Beobachter kritisierten die Art und Weise, in der der Wechsel vollzogen wurde. Normalerweise wird die Parteiführung auf einem Parteikongreß gewählt.

Der Direktor des Damaszener Zentrums für Strategische Studien, Bassam Abu Abdullah, sagte der libanesischen Tageszeitung Al Akhbar, der für die Öffentlichkeit überraschende Umbau der Parteiführung sei Ergebnis von tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Baath-Partei. Es habe massive Kritik an der Führung gegeben, weil diese sich »vor und während der Krise unflexibel« verhalten habe. Ein namentlich nicht genannter weiterer Beobachter bewertete den Wechsel positiv. Eine jüngere Führung werde »gegenüber der internationalen Gemeinschaft mehr Offenheit zeigen«, sagte er.

Assad, der die Sitzung des Zentralkomitees als Generalsekretär der Baath-Partei leitete, forderte die Parteiführung auf, »enger mit der Bevölkerung zusammenzuarbeiten, um die Krise zu überwinden«. Man müsse »die Realitäten vor Ort begreifen und eine Kultur des Dialogs entwickeln«, wurde Assad von der Nachrichtenagentur SANA zitiert.

Prominentestes Mitglied im bisherigen Zentralkomitee neben Assad war bisher Faruk Sharaa, ein alter Weggefährte von Hafez Al-Assad, dem vorherigen Präsidenten. Sharaa wurde nicht mehr benannt und wird demnach zukünftig keinen Einfluß mehr in der Partei haben. Sein Amt als Vizepräsident soll Sharaa nach ersten Informationen behalten. Gegenüber Al-Akhbar hatte Sharaa aus seiner Kritik an der militärischen Variante zur Lösung des innersyrischen Konflikts keinen Hehl gemacht. Im Juli 2011 leitete er die erste Sitzung eines Nationalen Dialogs, der von der Mehrheit der innersyrischen Opposition boykottiert worden war.

Die in Istanbul ansässige oppositionelle Syrische Koalition für die revolutionären und oppositionellen Kräfte hat nach fünftägigen Beratungen am vergangenen Wochenende einen neuen Präsidenten gewählt. Das Amt bekleidet nun Ahmed Assi Jarba, der für eine säkulare Fraktion innerhalb der Koalition steht, der auch der Oppositionelle Michel Kilo angehört. Er konnte sich mit 55 Stimmen gegen den Generalsekretär der Koalition, Mustafa Al-Sabbagh durchsetzen, der 52 Stimmen erhielt. Sabbagh gehört der Muslimbruderschaft an.

In einer ersten Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters machte der 43jährige Jarba klar, daß es für die Nationale Koalition keine Verhandlungen in Genf geben werde, solange die militärische Lage in Syrien für sie ungünstig sei. »Wenn wir nach Genf gehen, müssen wir vor Ort stark sein, nicht so wie jetzt, wo wir schwach sind«, wird Jarba von Reuters zitiert. Saudi-Arabien werde bald moderne Waffen liefern, die »das militärische Gleichgewicht in Syrien« verändern würden. Am Montag warnte Jarba vor einer »humanitären Katastrophe« in Homs, wo die syrischen Streitkräfte die Aufständischen massiv angreifen. Er sei zu einer Waffenruhe während des Fastenmonats Ramadan bereit, sagte Jarba. Der Ramadan beginnt in Syrien am heutigen Mittwoch.

Der erst im März von der Nationalen Koalition zum Ministerpräsidenten einer syrischen Exilregierung gewählte Ghassan Hitto, erklärte derweil seinen Rücktritt. Es sei ihm nicht gelungen, eine Exilregierung zu bilden, begründete Hitto seinen Rückzug.

Beobachter beschrieben die Entwicklungen in der Nationalen Koalition als Sieg für Saudi-Arabien gegenüber dem Emirat Katar, das bisher seinen Einfluß durchgesetzt hatte. Hitto galt als »Mann Katars« in der Koalition. Nach dem Machtwechsel in Katar und der Niederlage der Muslimbruderschaft in Kairo – die von Katar finanziell massiv unterstützt worden war – hat sich die Machtbalance regional zugunsten der Saudis verändert. Das spiegelt sich auch in der Nationalen Koalition der syrischen Auslandsopposition wider. Das Gremium ist finanziell, politisch und militärisch von den Golfstaaten und den westlichen »Freunden Syriens« abhängig.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 10. Juli 2013


Ban ruft Syrer zu Waffenruhe im Fastenmonat auf

UN-Generalsekretär: Ramadan soll »Zeit des Friedens« sein **

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Syrer zu einer Waffenruhe während des am Dienstag begonnenen islamischen Fastenmonats Ramadan aufgerufen. In einer Botschaft an die Muslime weltweit, die am Montag in New York veröffentlicht wurde, mahnte Ban eine »Zeit der Besinnung« an. Er denke in dieser Zeit besonders an das syrische Volk, das seinen dritten Ramadan im Krieg begehe. Der islamischen Tradition gemäß müssten die Waffen in diesem heiligen Monat schweigen, daher rufe er »alle Parteien in Syrien auf, diese religiöse Verpflichtung wenigstens einen Monat lang zu respektieren«.

Ban räumte ein, dass sein Aufruf »manchen unrealistisch erscheinen« könne und ein dauerhafter Frieden nur durch Verhandlungen erreicht werde. Er hoffe daher, dass die seit Wochen diskutierte internationale Syrien-Konferenz in Genf in naher Zukunft stattfinde und sowohl die syrische Regierung als auch die Opposition eine Delegation dorthin entsende. Der UN-Generalsekretär rief zudem alle Seiten dazu auf, alle Gefangenen aus dem feindlichen Lager sofort freizulassen. Der Appell bezog sich insbesondere auf die von Aufständischen entführten Bischöfe Gregorios Johanna Ibrahim und Bulos Jasidschi, Vertreter der syrisch- bzw. der griechisch-orthodoxen Kirche im Lande.

Der von den syrischen Aufständischen ernannte Regierungschef Ghassan Hitto hat im Internet seinen Rücktritt erklärt. Hitto war seit März damit beauftragt, in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten die Regierungsgewalt auszuüben. Es gelang ihm in den vergangenen Monaten nicht, eine arbeitsfähige Regierung der Rebellen zusammenzustellen. Nach monatelangen Grabenkämpfen einigte sich die syrische Opposition am Wochenende in Istanbul auf den von Saudi-Arabien unterstützten Stammesführer Ahmed Assi Dscharba als neuen Chef.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 10. Juli 2013


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