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Bis zu 90 Tage Luftkrieg

US-Senatsausschuß gibt grünes Licht für Angriffe auf Syrien. Außenminister Kerry wirbt um Zustimmung mit Verweis, arabische Staaten würden Waffengang finanzieren

Von Rainer Rupp *

Der Auswärtige Ausschuß des US-Senats hat die Forderung von Präsident Barack Obama nach einer begrenzten militärischen Strafaktion gegen Syrien am Mittwoch (Ortszeit) mit zehn zu sieben Stimmen unterstützt. In Deutschland wurde dies von den Medien teilweise gefeiert, als wäre der Waffengang bereits beschlossen. Zuerst muß allerdings der Senat als Ganzes und dann – frühestens nächste Woche – auch noch das Repräsentantenhaus zustimmen. In letzterem haben die Republikaner die Mehrheit, im Unterschied zum Senat. Von den zehn Ja-Stimmen kamen sieben von Demokraten und nur drei von Republikanern. Von diesen meldete das führende Ausschußmitglied Bob Corker sofort nach der Abstimmung Zweifel an, ob angesichts der vielen Proteste und der Skepsis seiner Kollegen die für eine Senatsmehrheit notwendigen 60 Stimmen überhaupt erreichbar sind.

Ein Hauptgrund für diese Bedenken ist die Tatsache, daß Senator John McCain die Resolution des Senatsausschusses erfolgreich geändert hat. Von einer »eingeschränkten Strafaktion« kann keine Rede mehr sein. Vielmehr geht es jetzt um einen vorerst auf 90 Tage begrenzten Luftkrieg mit dem ausdrücklichen Ziel, in Syrien »die militärische Gleichung auf dem Schlachtfeld zugunsten der Rebellen zu verändern«, um so »zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen, das den Konflikt beendet und eine demokratische Regierung etabliert«. Zynisch könnte man meinen: Als Muster dürften McCain die US-Verhandlungserfolge in Afghanistan, Irak und Libyen und die dort etablierten Demokratien gedient haben.

Libyen etwa ist aktuell wieder im Nachrichtenfokus. Denn dort sind die Ölexporte von 1,8 Millionen Faß pro Tag unmittelbar nach der Ermordung von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi auf derzeit 0,4 Millionen Faß zurückgegangen, weil jede Rebellengruppe der anderen mit Waffengewalt die Öleinnahmen streitig macht. Unter anderem deshalb wollen viele US-Kongreßmitglieder verhindern, daß auch in Syrien »die US-Luftwaffe wieder Al-Qaida-Extremisten an die Macht bombt«.

Laut US-Außenminister John Kerry gibt es in Syrien »überhaupt keine Al-Qaida-nahe Rebellen«. Das hatte er jedenfalls am Mittwoch auf die Frage eines Kongreßabgeordneten erklärt. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete dazu am Donnerstag, Kerry stehe mit seiner Aussage sogar »im Widerspruch zu den eigenen US-Nachrichtendiensten«, die bisher stets betont haben, daß die islamistischen Extremisten in Syrien »die bei weitem kampfstärksten und am besten organisierten Rebelleneinheiten stellen«. Zugleich fragte die New York Times gestern unter dem Titel »Brutalität der syrischen Rebellen stellt den Westen vor Dilemma«, ob man die sich zunehmend aus »Banden von Straßenräubern, Kidnappern und Mördern« zusammensetzenden Rebellengruppen militärisch unterstützen soll.

Derweil hat Kerry Kongreßabgeordnete, die sich angesichts der miserablen Haushaltslage wegen der Kosten einer US-Intervention Sorgen machen, mit der »guten« Nachricht zu überzeugen versucht, daß – nicht näher bezeichnete – »arabische Staaten« sich bereit erklärt hätten, die Finanzierung des US-Kriegs zu übernehmen. Bei den Geldgebern dürfte es sich um Saudi-Arabien und Katar handeln, die von Anfang an die Aufständischen in Syrien bezahlt haben. Kerry ist offensichtlich bereit, gleich das gesamte US-Militär den arabischen Feudalstaaten für Söldnerdienste zu verkaufen, was in den USA erstaunlicherweise noch nicht zu einem Aufschrei der Empörung geführt hat.

Zugleich jedoch mehren sich die Zeichen, daß Washington mit seinen völkerrechtswidrigen Interventionsplänen Moskaus »rote Linie« überschreitet. So hat der russische Präsident Wladimir Putin vor Beginn des G-20-Gipfels in St. Petersburg deutlich gemacht, daß man sich bisher mit der Lieferung hochmoderner Waffen, die dem Westen gefährlich werden könnten, an Syrien und andere Staaten zurückgehalten habe. »Wenn wir aber sehen, daß das Völkerrecht verletzt wird, dann werden wir unsere Haltung ändern und die Lieferungen dieser sensiblen Waffen in bestimmte Regionen der Welt überdenken«, versprach der Kremlchef. Ohne das Land beim Namen zu nennen, dürfte Putin dabei auch den Iran im Auge gehabt haben.

* Aus: junge welt, Freitag, 6. September 2013


»Zahlreiche Optionen verfügbar« **

Im aktuellen Newsletter Verteidigung wird unter dem Titel »Angriff auf Syrien – aber wann und wie?« erläutert, welche »Optionen verfügbar« seien. Die im Umfeld der Rüstungslobby angesiedelte Publikation weiß: »Längst sind alle wichtigen militärischen Einrichtungen, wie Kasernen, Fliegerhorste, Nachschubdepots, Flugabwehrstellungen, militärische Kommandozentralen, Regierungseinrichtungen, militärische Forschungseinrichtungen und Lager von verbündeten Milizen militärisch aufgeklärt.« Die Kampfkraft Syriens sei »bekannt und nicht zu unterschätzen«, dennoch nicht vergleichbar mit der westlicher Streitkräfte.

Die politische Führung in Damaskus suche seit Jahren einen »sehr engen politischen und rüstungswirtschaftlichen Schulterschluß zur russischen Regierung«. Dafür stelle Präsident Baschar Al-Assad einen Hafen zur Verfügung, »der von den Russen ausgebaut und für Mittelmeeroperationen genutzt wird. Es ist der einzige Zugang für die Rote Flotte zum Mittelmeer, weshalb dieser eine sehr hohe strategische Bedeutung für die russische Marine und letztlich für den Kreml innehat. Als Dank für die syrische Unterstützung erhielten die syrischen Streitkräfte zahlreiche Flugabwehr- und Luftraumüberwachungssysteme zur Abwehr von Luftangriffen.« Dazu gehörte laut Newsletter Verteidigung »auch das russische Lenkwaffensystem S-300 in seiner Exportvariante, das als sehr leistungsstark gilt«. Mit Hilfe der Flugabwehrsysteme sei Syriens Armee in der Lage, einen »effektiven Luftraumschutz« aufzubauen. »Alle Flugplätze sind von modernen Lenkwaffensystemen gegen Luftangriffe geschützt. Auch verfügt Syrien über ein gutes Luftüberwachungssystem, welches aber nur punktuell funktioniert und keine Flächenabdeckung des Landes generiert. Alle Stellungen der gut getarnten syrischen Luftverteidigung und Luftüberwachung dürften den US-Angreifern bekannt sein«, heißt es dort weiter.

»Britische Quellen« beschrieben ein mögliches »militärisches Vorgehen« gegen syrische Flugplätze, die insbesondere als Ausgangspunkte für Luftangriffe gegen Rebellen im Land genutzt werden: Benötigt würden dazu »drei Lenkwaffenzerstörer und 24 Kampfflugzeuge, die mittels Präzisionswaffensystemen den Angriff führen. Zu den Waffensystemen gehören der Marschflugkörper BGM-109 TOMAHAWK Land Attack Missile (TLAM), das Joint Air to Surface Standoff Missile (JASSM) und Joint Stand Off Weapon (JSOW).« Diese hätten sich laut Newsletter Verteidigung quasi bewährt: »Alle diese Waffensysteme sind schon mit Erfolg in anderen Konfliktherden wie Afghanistan oder dem Irak eingesetzt worden.«

Die syrische Luftverteidigung sei ein weiteres Kriegsziel, »welches mit hoher Priorität mit Abstandswaffen angegriffen werden würde«. Hierzu gehörten zunächst die Radaranlagen zur Luftüberwachung. Seien diese einmal »ausgeschaltet, sind Flugabwehrsysteme wie die russische S-300 wirkungslos und die syrische Luftverteidigung blind. «

Der Newsletter Verteidigung skizziert auch ein massives Bombardement der dichtbewohnten Metropole Damaskus und anderer syrischer Städte. »Ziel möglicher geplanter Luftschläge sind nicht nur Flugplätze und die syrische Luftverteidigung, sondern auch Regierungseinrichtungen, Ministerien, Kommandozentralen der Geheimdienste oder militärische Einrichtungen.« Durch die »Schwächung der Regierungs- und Infrastruktur Syriens« solle ein Zeichen gesetzt werden, »ohne große Kollateralschäden zu produzieren«. Und weiter: »Ein Angriff auf die Giftgasdepots dürfte in diesem Zusammenhang ausgeschlossen sein. Der Angriff auf eine Giftgasfertigungsanlage oder Labors allerdings nicht. (…) Auf der Zielliste eines Angriffs könnten auch Regierungsgebäude wie das Verteidigungs- und das Innenministerium oder das Hauptquartier der Geheimdienste in Damaskus stehen. »Keine Option ist hierbei ausgeschlossen.« (rg)

** Aus: junge welt, Freitag, 6. September 2013


Deutschland ist dabei

Auf vielfältige Weise ist die Bundeswehr an militärischen Maßnahmen gegen Syrien beteiligt. Aber die Bundesregierung weiß angeblich von nichts

Von Knut Mellenthin ***


Eine große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland lehnt laut einer aktuellen ZDF-Umfrage eine Militärintervention in Syrien ab. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist offiziell gegen Washingtons Kriegskurs, wie sie mehrfach versicherte. Tatsächlich ist die BRD militärisch am Krieg gegen Syrien beteiligt. Vor der syrischen Küste kreuzen schon seit November 2011 deutsche Spionageschiffe, die die Bewegungen der Regierungstruppen bis zu 600 Kilometer weit landeinwärts ausspähen und die Kommunikation zwischen ihnen überwachen. Die gesammelten Informationen werden mit den USA und anderen NATO-Partnern geteilt, kommen wahrscheinlich auch Israel zugute, und landen möglicherweise sogar bei den Rebellen.

In der Türkei sind seit Januar 2013 Patriot-Flugabwehrsysteme der Bundeswehr mit deutschem Personal stationiert. Ihre Aufgabe besteht darin, syrische Gegenschläge abzuwehren, wenn sich die Türkei an Angriffsoperationen der USA gegen Syrien beteiligt. Beim Luftkrieg einer US-geführten Koalition gegen Syrien würden die in Geilenkirchen bei Aachen stationierten Maschinen des fliegenden Radarsystems AWACS eine große Rolle spielen. Ohne deutsche Soldaten, die rund ein Viertel der Besatzungen stellen, wäre AWACS kaum einsetzbar.

Wenn Bundestagsabgeordnete die deutsche Regierung nach all diesen Dingen fragen, bekommen sie regelmäßig dumme und unverschämte, völlig nichtssagende Antworten. So wie die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen, die im August wissen wollte, ob die Bundesregierung »jegliche Unterstützung« für Militärschläge gegen Syrien, »wie zum Beispiel auch die Nutzung der britischen und der US-amerikanischen Militärbasen in Deutschland oder die Erlaubnis für Überflugrechte für militärische Maßnahmen (…) gegen Syrien« ausschließen könne. In der am 4. September zugeleiteten Antwort heißt es, daß der Bundesregierung zu diesen Fragen »keine Erkenntnisse« vorlägen. Mit anderen Worten: Kanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett haben angeblich nicht die geringste Ahnung über die – nach Aussagen von US-Verteidigungsminister Chuck Hagel – längst abgeschlossenen militärischen Planungen ihrer Verbündeten, obwohl davon zweifellos auch deutsches Territorium und deutsche Soldaten betroffen sind.

Sevim Dagdelen versuchte Anfang dieser Woche auch vergeblich, etwas über die Aufgaben des deutschen Spionageschiffs »Oker« zu erfahren, das im Wechsel mit seinem Schwesterschiff »Alster« seit dem 5. November 2011 im östlichen Mittelmeer kreuzt. Sowohl im Auswärtigen Amt als auch im Verteidigungsministerium hielt man sich bedeckt. Zum Ergebnis erklärte die Abgeordnete gegenüber junge Welt: »Es ist davon auszugehen, daß die Erkenntnisse, die die Oker vor Syrien sammelt, über den BND und das Kommando Strategische Aufklärung auch an Partnerdienste weitergegeben werden und so in die Zielauswahl und -ortung einfließen. Diese stellt sich im Moment, insbesondere was die Radaranlagen zur Luftüberwachung angeht, als schwierig heraus und mag der tatsächliche Grund für die Aufschiebung des Angriffs sein. Damit wäre Deutschland auch an diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligt.«

Da die »Oker« ebenso wie die »Alster« – mit der »Oste« besitzt die Bundesmarine noch ein drittes mit modernster Technologie vollgestopftes Schiff dieses Typs – unbewaffnet sind, benötigt die deutsche Regierung ihrem eigenen Verständnis nach für deren Einsatz nicht die Zustimmung des Bundestages und braucht diesen nicht einmal zu informieren. Das kritisieren außer der Linken auch die Grünen, während neben den Regierungsparteien auch die SPD damit kein Problem zu haben scheint. Regierungssprechern scheint nur die empörte Klarstellung wichtig, daß es sich nicht um Spionageschiffe handele. Das ist allerdings lediglich eine Frage der Sprachregelung: Keine einzige Regierung der Welt nennt das, was sie selbst tut, »Spionage«, sondern bevorzugt Begriffe wie »Aufklärung«.

*** Aus: junge welt, Freitag, 6. September 2013


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