Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Diplomatie und neue Anschläge

Damaszener Opposition unterbreitet Brahimi neue Vermittlungsangebote

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Damaskus erlebte am Mittwoch erneut tödliche Anschläge. Doch es gab auch neue Bemühungen um eine Eindämmung des Konflikts.

Ein wildes Gehupe dröhnt über Bab Musallam, das Tor im alten Stadtteil Midan von Damaskus. Ein Rettungswagen mit heulenden Sirenen versucht, durch den dichten Verkehr zu kommen, ein Lieferwagen hilft ihm dabei, indem er sich ununterbrochen hupend gefährlich über die verschiedenen Fahrspuren schlängelt und so dem Rettungswagen eine Schneise öffnen will. Mitten im Verkehr kreuzen teilweise schwer bepackte Menschen die Straße, immer wieder sind Leute mit Verletzungen zu sehen: eine Frau hat einen eingegipsten Arm, ein Mann humpelt an zwei Krücken, ein Soldat hat sich die Jacke über die Schulter geworfen, sein frisch verbundener Arm hängt in einer Schlaufe.

Es ist kurz nach Mittag, doch die Menschen machen sich bereits auf den Weg nach Hause. Die Tage in Damaskus sind kurz geworden. Öffentliche Einrichtungen und Schulen schließen früher, nur in Krankenhäusern, Polizeistationen und Einrichtungen der Sicherheitsdienste wird rund um die Uhr gearbeitet.

Jenseits des Bab Scharki, dem östlichen Tor der Damaszener Altstadt, steigen auch am Mittwoch wieder schwarze Rauchsäulen in den Himmel. Immer wieder sind Detonationen zu hören, vereinzelt fliegen Kampfjets Angriffe. Berichten zufolge wird weiterhin in Douma gekämpft, einer Satellitenstadt im Nordosten von Damaskus. Seit Anfang des Jahres versuchen Aufständische, dort Fuß zu fassen und liefern sich mit den regulären Streitkräften eine mörderische Schlacht. Zivilisten sind scharenweise geflohen, die durch die Kämpfe entstandenen Schäden werden landesweit auf mehr als 1,2 Milliarden Dollar geschätzt.

Regierungsvertreter suchen derweil den Kontakt zur Bevölkerung. Der Innen- und der Verteidigungsminister besuchten verletzte Soldaten und Polizisten in Krankenhäusern, Ministerpräsident Wael al-Halqi war bei Inlandsvertriebenen und inspizierte in Homs höchstpersönlich den Stand der Reparaturarbeiten an der zerstören Infrastruktur. Familien wurde Entschädigung versprochen, Freiwillige helfen beim Verteilen von Lebensmitteln an Menschen, die in Schulen und öffentlichen Einrichtungen untergebracht sind. Aber die Anschläge reißen nicht ab. Acht Menschen sollen am Mittwoch durch eine Bombe ums Leben gekommen. Vor einem Hotel unweit des Schreins der Sayyida Zainab sei ein Sprengsatz detoniert, hieß es am Nachmittag.

Aus Kreisen der Opposition war zu hören, dass man dem internationalen Syrienvermittler Lakhdar Brahimi vorgeschlagen habe, eine sehr viel größere Beobachtermission als beim ersten Mal ins Land zu bringen. Nur so könnten beide Seiten unter Druck gesetzt werden, ihre Kampfhandlungen einzustellen, sagte Hassan Abdulazim, Vorsitzender des Nationalen Koordinationsbüros für Demokratischen Wandel im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. China und Russland müssten die syrische Führung zum Einlenken bewegen, aber (West-)Europa und die USA im Gegenzug die Golfstaaten und die Türkei dazu bringen, die Bewaffnung von Aufständischen einzustellen.

Zerstörtes Haus in Damaskus. Eine Autobombe war am Sonntag davor gezündet worden. Kriegsschauplatz und Kinderspielplatz - ein zerschossener Panzer in der nordwestlichen Stadt Azaz.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 01. November 2012


Syrien-Krieg mit immer mehr 0pfern

UN-Vermittler in China **

Seit Beginn des gewaltsamen Konflikts in Syrien sind nach Angaben von Exilanten bereits mehr als 36 000 Menschen getötet worden. Seit Mitte März 2011 seien fast 26 000 Zivilisten sowie mehr als 9000 Soldaten bei Angriffen und Gefechten ums Leben gekommen, teilte die oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Mittwoch mit. Unter den Deserteuren der Armee, die sich im Laufe der Zeit den Aufständischen angeschlossen hatten, gab es demnach fast 1300 Todesopfer. Hunderte Leichen könnten zudem nicht identifiziert werden, teilte die Stelle mit. Das Büro in London zählt allerdings auch bewaffnete Rebellen, die keine Uniform tragen, zu den Zivilisten. Ihre Angaben sind kaum überprüfbar. Die syrische Luftwaffe griff der Beobachtungsstelle zufolge am Mittwoch erneut Rebellenstützpunkte nahe Damaskus an. Demnach gab es mindestens fünf Luftangriffe auf die Ortschaften Sakba und Duma östlich der Hauptstadt.

Der internationale Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, hat China aufgefordert, eine »aktive Rolle« zur Lösung des Konfliktes zu übernehmen. Dies sagte Brahimi am Mittwoch nach einem Treffen mit dem chinesischen Außenminister Yang Jiechi in Peking. Bislang verweigerte sich China dem Druck des Westens, sich einseitigen Verurteilungen des syrischen Staatschefs Baschar al- Assad anzuschließen.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 01. November 2012


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage