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Syrien: Solidarität mit der Revolution – Nein zu westlicher Intervention

Von Christine Buchholz *

Seit zehn Monaten sind wir Zeuge eines Volksaufstandes in Syrien. Was als Protestbewegung mit der Forderung nach begrenzten Reformen in der Provinzstadt Dera’a begann, hat sich sehr rasch zu einer landesweiten Bewegung zum Sturz der Diktatur Bashar Al-Assads entwickelt. Es ist die brutale Gewalt, mit der das Regime auf die friedlichen Demonstrationen reagiert hat, die zur Radikalisierung der Forderungen geführt hat. Mit Panzern dringt die Armee in die Wohngebiete von Städten wie Homs und Hama vor. Scharfschützen schießen auf protestierende Zivilisten. Tag für Tag werden 20, 30 oder 40 Personen im ganzen Land von Einheiten des Regimes getötet, die als „shabiha“ bezeichnet werden – „Gespenster“. Geschätzte 5000 Menschen wurden seit Beginn der Proteste ermordet, viele weitere inhaftiert, gedemütigt und gefoltert.

Doch trotz der ungehemmten Gewalt durch das Regime lässt sich die Bewegung nicht in die Knie zwingen. Der syrische Aufstand ist Teil der arabischen Revolution, die seit Beginn des Jahres 2011 in zahlreichen Ländern der Region Diktatoren das Fürchten lehrt. Im Januar 2012 hat diese revolutionäre Bewegung auch die zweitgrößte Stadt Aleppo und die Außenbezirke der Hauptstadt Damaskus erreicht. Die Demonstranten fordern Demokratie und bessere Lebensbedingungen.

Das Regime gibt vor, einen Kampf gegen das Auseinanderfallen des Landes entlang ethnisch-religiöser Linien zu führen. Das ist ein bloße Schutzbehauptung. Tatsächlich verfolgt das Regime eine Strategie, über ein Klima der Angst die Minderheit der Alawiten an sich zu binden, aus der viele Offiziere und die meisten Angehörigen der herrschenden Clique stammen.

Doch die Revolution erzeugt auf allen Ebenen Risse im Fundament des syrischen Staatsapparates. Die Zahl der Fahnenflüchtigen ist in den vergangenen sechs Monaten stetig angewachsen. Diese Fahnenflüchtigen bilden das Rückgrat der Freien Syrischen Armee (FSA). Ihr ursprüngliches Ziel war es, die Stadtviertel vor den Übergriffen durch die reguläre Armee zu schützen. Mittlerweile ist sie dazu übergegangen, die Einheiten des Regimes anzugreifen.

Darin besteht eine Gefahr. Eine Militarisierung des Widerstandes würde derzeit dem Assad-Regimes in die Hände spielen. Die einzige Perspektive besteht in der Ausdehnung der Bewegung auf jene Teile der Gesellschaft, die noch unentschlossen sind oder den Parolen des Regimes Glauben schenken. Diesen Weg beschreiten die örtlichen Koordinierungskomitees der Proteste. Sie haben im Dezember und Januar die Initiative zurückgewonnen und eine Massenkampagne des zivilen Ungehorsams unter der Bezeichnung „Streiks für die Würde“ entfacht.

Doch das Assad-Regime ist noch nicht besiegt. Assad trat am 10. Januar das erste Mal seit Monaten in Damaskus auf, um den Aufstand als eine vom Westen und Israel gesteuerte „Verschwörung“ zu verurteilen. Er kann gegenüber seinen eigenen Anhängern mit diesem Argument punkten, da sich der Westen – ähnlich wie in Libyen – nun heuchlerisch gegen ihren einstigen Verbündeten Assad wendet und sich einige Vertreter des Widerstandes für die Errichtung einer Flugverbotszone und weitergehende Militärintervention durch den Westen ausgesprochen haben.

Insbesondere in Burhan Ghalioun, dem Führer des „syrischen Nationalrates“ (SNR), hat der Westen einen Verbündeten gefunden. Aus dem SNR ist faktisch eine syrische Exilregierung hervorgegangen, die über eine schwache Verankerung in den syrischen Städten verfügt, aber umso mehr den Regierungen in Washington, London, Berlin und Paris gefallen will. Die BBC zitierte Ghalioun mit folgenden Worten: „Wir wollen zwischen dem Regime und dem Staat in Syrien unterscheiden. Es wird kein Chaos wie in Libyen geben. Wir haben immer noch mächtige militärische Institutionen, die wir bewahren wollen.“

Ghalioun bietet sich als Garant für die derzeitige Strategie des Westens an. Den USA und ihren Verbündeten geht es um die Beseitigung Assads, um die eigenen Positionen zu stärken. Doch zugleich fürchten sie, dass eine unkontrollierte revolutionäre Bewegung genau zum gegenteiligen Ergebnis führt und die arabische Revolution weiter befeuert. Der Westen bevorzugt einen kontrollierten Putsch aus dem Innern des syrischen Gewaltapparates.

Darauf zielt die derzeitige Sanktionspolitik ab. Wenn es nach dem Willen der USA und ihrer Verbündeten geht, dann soll ein Wirtschaftsembargo das System aushöhlen und die syrische Elite zum Bruch mit Assad bewegen. Ziel ist eine Palastrevolte, die den Staatsapparat intakt lässt, und zugleich die Bewegung abebben lässt. Diese Politik ist nicht nur zynisch. Ein Embargo vergrößert auch das Elend der Bevölkerung und gibt Assad Argumente an die Hand, sich als „Antiimperialist“ darzustellen. Die demokratische Bewegung in Syrien wird durch internationale Wirtschaftssanktionen nicht gestärkt, sondern geschwächt.

Genau wie die Regierungen im Westen hat Assad nun ein großes Interesse daran, die sich entwickelnde Zusammenarbeit der letzten Jahre vergessen zu lassen. Bereits in den Jahren der wirtschaftlichen Isolation des Landes kooperierten die „Sicherheitsbehörden“ Syriens sehr gut mit ihren amerikanischen und deutschen Kollegen.

Dies verdeutlichte die Affäre um den deutschen Staatsbürger Muhammad Haidar Zammar, dessen Familie aus Syrien stammt. Als „Terrorverdächtiger“ wurde er 2001 vom amerikanischen Geheimdienst aus Marokko entführt und den syrischen Behörden zur Behandlung im Far'-Falastin-Untersuchungsgefängnis in Damaskus übergeben. Die deutschen Behörden wurden bereits im November 2001 vom FBI über den Vorgang informiert. Doch sie unternahmen nichts. Später kam heraus, dass Zammar nicht nur vom syrischen Apparat gefoltert wurde. Er wurde überdies im syrischen Gefängnis 2002 von Ermittlern des deutschen Bundeskriminalamtes selbst vernommen.

Dieser Vorgang wirft ein grelles Licht auf die damalige rot-grüne Bundesregierung, wie auch auf die Nachfolgeregierung aus Union und SPD. Es waren Außenminister Steinmeier (SPD) und Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul (SPD), die nach der guten Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Repression auch auf die wirtschaftliche Öffnung in Richtung Syriens drängten –und damit das Assad-Regime als verlässlichen Partner aufbauten. Die CDU/CSU unterstützte diese Linie. 2009 war Wirtschaftsminister Guttenberg (CSU) Starredner auf einer Tagung der arabisch-deutschen Handelskammer in Berlin. Gastland damals: Syrien. Eine hundertköpfige syrische Delegation, bestehend aus Geschäftsleuten und zum Teil hochrangigen Politikern, wurde intensiv umworben.

Es ist daher im höchsten Maße heuchlerisch, wenn sich nun diese Parteien aufschwingen und der LINKEN die Solidarität mit Assad andichten. Richtig ist: DIE LINKE ist die einzige Partei im Bundestag, die gegen eine militärische Intervention des Westens im Nahen Osten steht. Ebenso steht sie als einzige Partei gegen eine Embargopolitik, die einzig die Armen in Syrien treffen und die Revolution schwächen würde. Veränderung hin zu mehr Demokratie und zu sozialer Gerechtigkeit kann nur von innen kommen, im Widerstand gegen die Diktatoren. Wir stehen als Verbündete an der Seite der syrischen Revolution gegen das Assad-Regime, so wie wir an der Seite der Revolutionen in allen anderen arabischen Ländern stehen.

Berlin, 18. Januar 2012

* Christine Buchholz ist Bundestagsabgeordnete und friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.


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