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Wider die Kriegskoalition

Promedia und PapyRossa bieten Aufklärung und Analysen zum Syrien-Konflikt

Von Rüdiger Göbel *

Der Journalist Marcel Mettelsiefen erhält für seine Syrien-Propaganda den renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Für seine jüngst ausgestrahlte TV-Dokumentation »Aleppo – die geteilte Stadt« hat er sich bei den Aufständischen »eingebettet«. Im Interview mit Spiegel online räumt Mettelsiefen ein: »Wenn man in dem Land über die Rebellen berichten will, dann macht man das nicht nur ein paar Stunden am Tag. Ich habe jede Sekunde mit ihnen verbracht.« Durch »Empathie und Humor« habe er ihr Vertrauen gewonnen. »Das ging manchmal sehr schnell.« Er habe viel Leid, entstellte Leichen und sterbende Kinder gesehen. Doch es gebe in all dem Elend auch Hoffnung. »Einmal haben sich zwölf Assad-Getreue nach Monaten dazu entschlossen zu desertieren. Am Morgen hatten sie noch auf Rebellen geschossen, am Nachmittag haben sie die Fronten gewechselt. Anstatt sie zu lynchen, haben die Assad-Gegner die Deserteure umarmt und mit ihnen gefeiert. Das sind große Momente. Ich fühle mich sehr privilegiert, daß ich das miterleben darf.« Nicht alle Gefangenen der Aufständischen haben das Privileg, nicht umgebracht zu werden.

Ein idealisiertes Bild der Aufstandsbewegung zeichnet auch Kristin Helberg, die als Auslandskorrespondentin mehrere Jahre in Damaskus gelebt hat, jetzt aber nicht mehr dort arbeiten darf. Ihr Buch »Brennpunkt Syrien« will »Einblick in ein verschlossenes Land« geben und ist im Herder-Verlag in Freiburg, sonst zuständig für die Verbreitung päpstlicher Glaubensbekenntnisse, erschienen. Das Regime habe die Opposition »in den bewaffneten Kampf getrieben«, schreibt Helberg. »Zu keinem Moment stellte Assad die Verfolgung und Ermordung von Zivilisten ein, um einer Verhandlungslösung eine Chance zu geben.« Lehnte nicht die im Syrischen Nationalrat organisierte Opposition jegliche Gespräche mit der Führung in Damaskus ab, vom Westen politisch-diplomatisch gehätschelt und getäschelt, von den reaktionären Golfstaaten finanziell ausgehalten? Davon will Helberg in ihrem »Regime change«-Furor nichts wissen. Im Gegenteil: »Vieles spricht dafür, die Freie Syrische Armee (…) zu unterstützen«, lautet ihr Ruf nach Waffen. Ihr Bild von der Front macht sie sich mit Youtube. Es sei zwar schwierig einzuschätzen, welche Rolle die FSA innerhalb der Gesellschaft spiele. Aber ein Blick durch die rosa Brille hilft: »Die meisten Internetvideos lassen darauf schließen, daß Oppositionelle und Zivilisten sich tatsächlich von ihr beschützt fühlen. (…) Ziehen ihre Kämpfer in einen Ort ein, aus dem sie die reguläre Armee vertrieben haben, werden sie bejubelt.« Für weniger schöne Bilder und Berichte aus den »befreiten Gebieten« werden der Einfachheit halber »Trittbrettfahrer der Revolution«, also »kriminelle Banden und Schmuggler«, verantwortlich gemacht. Oder Dschihadistengruppen, die »in Verdacht stehen, vom syrischen Geheimdienst unterwandert oder sonstwie manipuliert zu sein, allen voran die Al-Nusra-Front, die sich zu Bombenanschlägen in verschiedenen syrischen Städten bekannt hat«. Es sei nicht auszuschließen, »daß Attentate inszeniert werden, um die Propaganda des Regimes zu bestätigen, Angst vor Terror wie im Irak zu verbreiten und die Opposition zu diskreditieren«. Wenn Assad aber allmächtig ist, bleibt unklar, warum er in absehbarer Zeit stürzen sollte, woran Helberg fest glaubt.

Im Wiener Promedia-Verlag und bei PapyRossa in Köln sind nun zwei Syrien-Sammelbände erschienen, die um Aufklärung und Versachlichung bemüht sind. In beiden ist Norman Paech vertreten, der in gewohnt fachlicher Brillanz auch für juristische Laien die völkerrechtlichen Implikationen des Konflikts erklärt, etwa, welche Waffenlieferungen legal, welche nicht legitim und welche illegal sind. Karin Leukefeld, die u.a. für junge Welt regelmäßig aus Damaskus berichtet, skizziert jeweils reportageartig den Weg vom Protest in den Krieg. Im von Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann herausgegebenen Buch hat sie noch dazu ein hochspannendes Interview mit dem syrischen Oppositionspolitiker Maytham Manna veröffentlicht (siehe auch jW vom 16. März 2013). Und weil Karin Leukefeld eben nicht durch die rosa Brille blickt, bekommt sie immer weniger Aufträge vom öffentlich-rechtlichen Hörfunk.

Passend dazu die vergleichende Medienstudie »Die Darstellung des syrischen Bürgerkriegs in FAZ, Zeit, ARD-Tagesschau und Al-Dschasira« des Konfliktforschers Kurt Gritsch im Band von Fritz Edlinger und Tyma Kraitt.

Einzig bei Gehrcke/Reymann publizieren auch Syrer. Und es finden sich eine handbuchartige Übersicht zu den Parteien und Gruppen der Opposition, der Linken und der Regierung sowie zentrale Dokumente zur Konfliktbeilegung. »Die große Kriegskoalition werden sie hier nicht finden«, heißt es gleich eingangs. »Hier schreiben Autoren, die Gewalt als Mittel zur Lösung des Syrien-Konflikts ablehnen.« Das zieht weder prominente Auszeichnungen noch große Auflagen nach sich, die dem Buch unbedingt zu wünschen sind.

Kristin Helberg: Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes Land. Herder Verlag, Freiburg 2012, 272 Seiten, 9,99 Euro

Fritz Edlinger/Tyma Kraitt (Hg.): Syrien. Hintergründe, Analysen, Berichte. Promedia Verlag Wien 2013, 238 Seiten, 17,90 Euro

Wolfgang Gehrcke/Christiane Reymann (Hg.): Syrien. Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert. PapyRossa Verlag, Köln 2013, 187 Seiten, 9,90 Euro


* Aus: junge Welt, Montag, 22. April 2013


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