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Syrien vor Bürgerkrieg?

Widersprüchliche Meldungen aus Damaskus. Dialog statt Gewalt angestrebt

Von Karin Leukefeld *

Die Nachrichten aus Syrien bleiben widersprüchlich. Während ausländische Medien Horrormeldungen verbreiten und fast ausschließlich staatliche Sicherheitskräfte und Präsident Baschar Al-Assad für Gewalt verantwortlich machen, veröffentlichen die staatlichen syrischen Medien Berichte über Angriffe bewaffneter Oppositioneller, die als »Terroristen« oder »bewaffnete Banden« bezeichnet werden. Ihre Zahl wird in der Nachrichtenagentur SANA mit »Hunderten« angegeben. Ein Bürgerkrieg in Syrien scheint nicht mehr ausgeschlossen.

Regimegegner weisen die Darstellung zurück. Auf der von der in Syrien verbotenen Muslimbruderschaft im schwedischen Exil betreuten Facebookseite »Syrische Revolution 2011« heißt es in einer Stellungnahme: »Wir rufen nicht zum Kampf auf und lehnen es ab, Waffen gegen unsere Brüder in der syrischen Armee einzusetzen.« Deren Einheiten sollten »uns (...) gegen die Angriffe von Agenten« schützen, womit Kräfte des Regimes gemeint sein dürften. Zuheir Salem, Vertreter der Muslimbruderschaft in London, versicherte gegenüber Journalisten, »daß die syrische Revolution sowohl friedlich als auch landesweit stattfindet«. Die »einzigen Mörder auf syrischem Boden sind die Banden der Sicherheitsdienste«, sagte Salem.

Unklarheit besteht über einen Vorfall im palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk in Damaskus, bei dem am vergangenen Montag zwischen vier und 14 Personen getötet wurden. Zehntausende hatten 23 Palästinenser zu Grabe getragen, die am Vortag von der israelischen Armee auf dem Golan getötet worden waren. Die Schüsse sollen von Milizen der PFLP-GC (Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando) abgegeben worden sein, eine Untersuchung wurde eingeleitet.

Die Meldung des französischen Fernsehsenders France 24, die syrische Botschafterin Lamia Schakkur in Paris sei zurückgetreten und habe sich der Opposition angeschlossen, wurde von dieser zurückgewiesen. Schakkur bezeichnete die Meldung als »Teil einer tendenziösen Berichterstattung«, die »die Glaubwürdigkeit Syriens zerstören« solle.

Der ägyptische Außenminister Nabil Al-Arabi sagte am vergangenen Wochenende im Gespräch mit dem syrischen Botschafter in Ägypten, Shawki Ismail, Stabilität in Syrien habe »direkte Auswirkungen auf die ägyptische und arabische nationale Sicherheit«. Reformen seien der einzige Weg, um die »syrische Krise zu lösen«. Dazu gehöre auch ein umfassender nationaler Dialog, um Blutvergießen zu vermeiden und »die legitimen Hoffnungen des syrischen Volkes auf Demokratie und Freiheit zu erfüllen«.

In Syrien wurde die Bevölkerung über Funk und Fernsehen aufgefordert, an Diskussionen über neue Parteien-, Medien- und Wahlgesetze mitzuwirken, im Rahmen des nationalen Dialogs rief Ministerpräsident Adel Safar »Vertreter aller Parteien auf, sich zu beteiligen«. Assad bat vor wenigen Tagen die Vertreter von zwölf bisher verbotenen kurdischen syrischen Parteien zu einem Gespräch, sagte Mohammed Moussa von der Kurdischen Linkspartei, die auch eingeladen wurde. Ende März hatte Assad angeordnet, rund 300000 bisher staatenlosen Kurden die syrische Staatsangehörigkeit zu geben, was diese seit Jahren gefordert hatten. Ein politischer Beobachter meinte gegenüber jW, Assad sei nach Gesprächen mit dem irakischen Präsidenten Dschalal Talabani möglicherweise zu weitreichenden Zugeständnissen gegenüber den Kurden bereit, die sich bisher an den Protesten nicht beteiligt hatten. Ein Autonomiestatus, wie ihn die Kurden im Nordirak genießen, sei nicht ausgeschlossen. Talabani ist Vorsitzender der irakisch-kurdischen Patriotischen Union (PUK) und genoß mit seiner Partei zu Zeiten von Saddam Hussein in Syrien politisches Asyl.

* Aus: junge Welt, 9. Juni 2011


Offene Syrien-Fragen

Von Roland Etzel **

Einiges spricht dafür, dass der UN-Sicherheitsrat in den nächsten Tagen eine Syrien-Resolution verabschieden wird. Die wäre nur berechtigt. Assads Armee ist mit Schusswaffen gegen Oppositionelle vorgegangen, und auch wenn es kaum sichere Informationen gibt – es existiert ein Konflikt, und – jeder Versuch, ihn friedlich beizulegen, ist begrüßenswert.

Die Frage ist nur, ob er dazu auch geeignet ist. Und da kommen Zweifel auf. Da sind zunächst die Einbringer der Resolution. Neben Deutschland und Portugal sind das Frankreich und Großbritannien, die seit zwei Monaten Libyen zerbomben und inzwischen einräumen, dass es ihnen eigentlich um den Sturz des Staatschefs geht. Ausgangspunkt war aber eine UN-Resolution zum Schutz von Zivilisten. Eine dem Anschein nach auf Frieden gerichtete Resolution ist also zur politischen Handhabe für davon sehr weit entfernte Absichten geworden.

Da sind auch die unübersehbaren doppelten Standards. Was sich zur Zeit in Syrien vollzieht, findet Parallelen in Jemen, ohne dass London oder Paris bisher einen Grund sahen, deshalb den Sicherheitsrat anzurufen. Man denke auch an die Gaza-Bombardierung durch Israel 2009 oder die schon Jahrzehnte andauernde Kurden-Verfolgung in der Türkei – der Westen blieb taub für Appelle oder verhinderte sie sogar. Das besorgte Getue um Freiheit und Menschenrechte muss daher im Falle Syriens nicht besonders ernst genommen werden. Noch hat Berlin nicht erkennen lassen, welche Politik es künftig gegenüber Syrien betreiben will. Vor einer Waffenknechtschaft etwa an der Seite Frankreichs aber sollte man sich auch diesmal auf jeden Fall hüten.

** Aus: Neues Deutschland, 10. Juni 2011 (Kommentar)


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