Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Embargo erschwert Entwicklung

Von Joachim Guilliard *

Um das Giftgas Sarin herzustellen, braucht man in der Tat – neben anderen Allerweltschemikalien – auch Fluor. Fluorwasserstoff ist jedoch kein spezifischer Bestandteil des Giftes und auch kein Stoff, der schwer zu beschaffen oder selbst herzustellen wäre. Das gilt auch für die anderen Substanzen und Geräte – bekanntlich hat die Aum-Sekte schon 1995 selbst produziertes Sarin in Tokio eingesetzt; bei Razzien gegen islamistische Gruppen, die in Syrien für einen Gottesstaat kämpfen, sind in den vergangenen Monaten mehrere Labors aufgeflogen, die der Erzugung des Giftes dienten. Anderseits läßt sich ohne den Grundstoff Fluorwasserstoff keine Aluminiumfolie, kein Solarpanel und kein mattiertes Glas herstellen. Flußsäure ist für die Metallverarbeitung und auch in der Erdölindustrie absolut unverzichtbar.

Die Chancen, die Produktion von chemischen Waffen durch simple Exportstopps zu verhindern, sind recht gering. Mit der Forderung nach Ausfuhrverboten für alle Stoffe, die in irgendeiner Weise auch eine Rolle bei der Fabrikation von Giftgas oder anderer Waffen spielen können, spricht man sich jedoch für weitreichende Lieferbeschränkungen für eine Vielzahl von gebräuchlichen Materialien, Bauteilen und Geräten aus, die für eine moderne Industrie und Forschung unverzichtbar sind.

Die Grünen und Die Linke beziehen sich zwar nur auf Länder, die die Chemie- und Biowaffenkonvention oder den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben. Die Sanktionen gegen den Irak von 1990 bis 2003 haben aber deutlich gezeigt, welch verheerende Auswirkungen ein striktes Embargo auf »Dual Use«-Güter für die Bevölkerung haben kann. Zudem leistet man der ohnehin schon verbreiteten Praxis westlicher Staaten Vorschub, technologisch hochwertiger Güter »unbotmäßigen« Staaten zu verweigern. Bereits jetzt wird mit dem »Dual Use«-Argument einer ganzen Reihe von Ländern – vom Iran bis nach Kuba – die technologische Entwicklung massiv erschwert.

Sinnvoller als Lieferbeschränkungen wäre doch, die Gründe zu beseitigen, die manche Regierung nach Chemiewaffen streben läßt. Syrien legte sich sein Arsenal bekanntlich auf Grund der – recht realen – Bedrohung durch die Massenvernichtungswaffen Israels zu. Solange Israel atomar gerüstet ist, solange sich viele Länder zu Recht vor Überfällen der USA, Frankreichs, Großbritanniens und ihrer Verbündeten fürchten, wird es immer Politiker und Militärs geben, die meinen, man müßte sich wenigstens eine »Arme-Leute-Vergeltungswaffe« zulegen.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 23. Oktober 2013


Dual-Use-Demagogie

Forderung nach Exportstopp: Grüne und Linke skandalisieren Lieferungen von Chemikalien und Pumpen an Syrien, weil die auch im Militärbereich verwendet werden können

Von Joachim Guilliard **


Die Linksfraktion im Bundestag hat noch einmal nachgehakt: Eine erneute Anfrage an die Bundesregierung ergab, daß in den vergangenen 15 Jahren neben 360 Tonnen Flußsäure und Galvanisierungsmittel auch einige Spezialventile und Pumpen nach Syrien geliefert wurden, die auch bei der Herstellung von Chemiewaffen verwendet werden könnten (siehe jW vom 21. Oktober).

Der Wahlkampf ist vorbei, und so bestand Hoffnung, daß damit auch die Anstrengungen der Partei Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen enden würden, aus der Lieferung von sogenannten Dual-Use-Gütern (d.h. sowohl für zivile als auch militärische Zwecke nutzbar) an Syrien einen Skandal zu machen und einen Stopp solcher Exporte zu erreichen. Leider geht die kurzsichtige, eurozentristische Kampagne, die letztlich weitreichenden Exportbeschränkungen an unliebsame Dritte-Welt-Länder Vorschub leistet, offensichtlich weiter, meist gekoppelt mit scharfzüngigen, aber unbelegten Anschuldigungen gegen die syrische Regierung.

Bereits Ende September hatte die grüne Europaabgeordnete Barbara Lochbihler nachgelegt und die Chemikalien-Exporte zum »Hohn für die Opfer« der Giftgasanschläge vom August erklärt. Als Parteipolitikerin benötigt die ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International keine belastbaren Belege mehr für den von ihr unterstellten Zusammenhang. Bisher gibt es keinerlei Hinweise darauf, daß die gelieferten Stoffe für die Giftgasproduktion genutzt wurden, und es spricht wenig dafür, daß die syrische Armee die Anschläge in Vororten von Damaskus verübte.

Lochbihler steht im linksliberalen Lager mit ihrem laxen Umgang mit Fakten nicht allein. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, war im Wahlkampf noch weiter gegangen und hatte wenige Tage vor der Bundestagswahl via Twitter zirkulieren lassen: »Deutschland ist offenkundig mitschuldig am Tod von über 1400 Kindern, Frauen und Männern durch den Chemiewaffenanschlag vom 21.08. bei Damaskus.« Zahlreiche Medien griffen das Statement dankbar auf. Es war einerseits Munition gegen die Bundesregierungen der vergangenen Dekade, anderseits bediente es die Behauptung, Präsident Baschar Al-Assad sei verantwortlich für den verheerenden Giftgaseinsatz.

Der stellvertretende Linke-Vorsitzende Jan van Aken setzte die Kampagne Anfang Oktober fort, indem er der Bundesregierung vorwarf, das Risiko einer Verwendung der Chemikalien für die Giftgasherstellung bewußt in Kauf genommen zu haben. »Politischer Wahnsinn und menschenverachtend« sei die Genehmigungspolitik Berlins. Die Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Katja Keul setzte sich dafür ein, die Lieferung »waffenfähiger Chemikalien« an Länder zu verbieten, die »bestimmte Abrüstungsabkommen nicht ratifiziert haben«, wobei sie sicher nicht an die USA oder Israel dachte. Unter »waffenfähigen Chemikalien« verstehen die Grünen alle Stoffe, die bei der Herstellung von chemischen und anderen Waffen irgend eine Rolle spielen können. Die Linksfraktion schloß sich der Forderung nach einem Kriegswaffenexportstopp an, der solche Dual-Use-Güter einschließt.

Die Fakten selbst geben keinen Anlaß für die ganze Aufregung und lassen Gysis und Lochbihlers Äußerungen als pure Demagogie erscheinen. Gemäß der Liste des Bundeswirtschaftsministeriums handelt es sich bei den inkriminierten Stoffen um vier Basischemikalien, die, wie Salz- oder Schwefelsäure breite Verwendung in der Industrie finden: Natrium-und Kaliumcyanid, Fluorwasserstofflösungen und Ammoniumhydrogendifluorid.

Die Cyanide wurden in Form von »Galvanomischungen« geliefert, die, wie der Name vermuten läßt, bei der Galvanisierung von Metallen in sogenannten cyanidischen Bädern verwendet werden. Fluorwasserstofflösungen, umgangssprachlich Flußsäure genannt, werden seit langem zum Ätzen von Glas und Metallen eingesetzt. Heutzutage werden sie vor allem als Ätzmittel in der Halbleiterproduktion benutzt, daneben aber auch in der Galvanik, in der Erdölindustrie oder als Rostentferner für Textilien. Flußsäure dient schließlich auch zur Herstellung von Aminfluoriden für hochwertige Zahnpflegeprodukte.

Insgesamt exportierten deutsche Unternehmen laut Bundeswirtschaftsministerium zwischen Januar 1998 und April 2011 rund 360 Tonnen Chemikalien an syrische Firmen, das meiste davon, zirka 270 Tonnen, waren Fluoride. Jährlich kamen also knapp 26 Tonnen oder eine gute Lastwagenladung voll zusammen. Der Gesamtwert dieser Exporte betrug 1,048 Millionen Euro, d.h. weniger als 75000 Euro pro Jahr.

Noch bescheidener machen sich die am Wochenende nun zusätzlich bekannt gewordenen Lieferungen mechanischer Teile und Geräte aus. Innerhalb von 15 Jahren waren es 42 Ventile mit Spezialbeschichtung, zehn Wärmetauscherplatten und zwei Membranpumpen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums waren sie unter anderem für Papierfabriken, eine Brauerei und eine Erdgasaufbereitungsanlage bestimmt. Hinweise auf militärische Nutzung gibt es nicht.

** Aus: junge welt, Mittwoch, 23. Oktober 2013


Im Wortlaut: Erklärung von Jan van Aken, MdB

Deutschland lieferte Spezialventile für syrische Chemiewaffen-Fabriken

Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf schriftliche Fragen der Fraktion DIE LINKE erstmals zugegeben, dass für Chemiewaffen-Fabriken geeignete Ausrüstung nach Syrien genehmigt wurde. Konkret waren es unter anderem Spezialventile, die nach Anhang I der EG-Dual-Use-Verordnung (Kategorie 2B350) einer strikten Kontrolle unterliegen, weil sie so beschichtet sind, dass sie auch bei der Produktion von aggressiven Chemikalien und Chemiewaffen eingesetzt werden können.

Damit hat die Bundesregierung für eine Handvoll Euro in Kauf genommen, dass mit deutscher Technologie in Syrien Chemiewaffen hergestellt wurden. Die Vorstellung, dass der grausame Sarin-Angiff in Damaskus auch mit deutschen Lieferungen ermöglicht wurde, ist unerträglich. Die LINKE fordert ein Exportverbot für solche hochsensible Teile und Chemikalien an Länder, die der Chemiewaffenkonvention nicht beigetreten sind.

Nach Angaben der Bundesregierung waren die Spezialventile zum Beispiel für die Papierherstellung oder Erdgasaufbereitung in Syrien gedacht. Dies sei von Syrien "plausibel dargestellt" worden.

Verantwortungsloses Verhalten der Bundesregierung

Wie schon bei der Lieferung der heiklen Chemikalien stellt sich auch hier die Frage, wieso die Bundesregierung sich auf eine Zusicherung des Assad-Regime verlassen hat. Eine Abzweigung dieser Materialien in der Chemiewaffen-Produktion wäre sehr leicht möglich. Es ist völlig verantwortungslos, mitten hinein in ein riesiges Chemiewaffen-Programm auch noch die Ausrüstung für die Chemiewaffen-Produktion zu liefern. Kein Mensch würde heute auf die Idee kommen, Zentrifugen an Nordkorea zu verkaufen, nur weil Kim Yong Un eine rein zivile Verwendung zusichert. Selbst in die USA liefert die EU bestimmte Chemikalien nicht mehr, weil dort damit die Todesstrafe vollstreckt wird und ein Missbrauch dieser Chemikalie nicht sicher verhindert werden kann. Die Bundesregierung lügt sich und uns in die Tasche, wenn sie jetzt behauptet, die Spezialventile seien ganz sicher nur in der Papierindustrie verwendet worden.

Eine Kontrolle vor Ort hat offenbar nicht stattgefunden. Die Bundesregierung deutet in ihrer Antwort zwar an, dass die Lieferungen aktuell nochmal geprüft worden seien, es bleibt aber völlig unklar, wie genau diese Prüfung ausgesehen hat.

Es fällt auf, dass die Große Koalition 2005-2009 besonders bereitwillig heikles Material geliefert hat, ähnlich wie wir es auch schon bei den Chemikalien-Lieferungen für das Chemiewaffen-Programm gesehen haben. Es war den damaligen Bundesregierungen bekannt, dass Syrien ein Chemiewaffen-Programm betrieben hat.

Quelle: Website von Jan van Aken, 21.10.2013; www.jan-van-aken.de




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