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Damaskus, jenseits des Friedens

Christen in Syrien: Alles, was sie sich wünschen, ist ein ruhiges Fest - aber das haben sie auch dieses Jahr nicht

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Damaskus wenige Wochen vor Jahresende. Die Nacht bricht früh herein über die Straßen der umkämpften syrischen Hauptstadt, Schüsse und Explosionen hallen mit dem Abendwind von der östlichen Ghouta über die Damaszener Altstadt, erstaunlich unberührt davon gehen die Menschen ihrem Alltag nach. Bepackt mit Tüten und Taschen bringen Frauen und Kinder Einkäufe nach Hause, junge Leute schlendern lachend durch den Suk Midhat Pascha, einen Markt, und über die Gerade Straße, die vom Al-Jabiah-Tor zum Bab Sharki, dem Osttor führt.

In einem Bunker unter dem neu angelegten Park an der Kreuzung zur Thomasstraße sollen Inlandsvertriebene wohnen, erzählt man sich unter den Anwohnern. Und tatsächlich sitzen viele Menschen in kleinen Gruppen auf den Parkbänken und unterhalten sich leise. Eine tief verschleierte junge Frau wiegt ihr Kleinkind auf dem Arm, diese Kleidung sah man bisher in der Damaszener Altstadt eher an Festtagen, wenn die Bevölkerung aus den umliegenden Orten zum Vergnügen durch die alten Gassen und Märkten streifte, hin zur ehrwürdigen Omayyaden-Moschee.

Heute haben sich im Umland von Damaskus und in den Vororten bewaffnete Gruppen verschanzt, Kampfjets der Luftwaffe fliegen Angriffe, die Einwohner fliehen zu Verwandten aufs Land oder rücken in der Stadt zusammen. Sie leben in Sporteinrichtungen, preisgünstigen Hotels oder privaten Unterkünften. Oder hier, in einem Bunker unter der Altstadt. Die Neuankömmlinge werden von ihren neuen Nachbarn, syrischen und internationalen Hilfsorganisationen versorgt. Still ertragen sie ihr Schicksal, das sie sich nicht ausgesucht haben.

Anfangs blieben die Christen von den Auseinandersetzungen verschont. Zwar gibt es bei ihnen durchaus Kritik am politischen System, Christliche Oppositionelle haben sich – in legalen oder illegalen Parteien – politisch für Veränderungen engagiert. Seit die Konfrontationen in Syrien aber zunehmend militärisch ausgetragen werden, haben viele christliche Familien Opfer zu beklagen. Sehr viele ihrer Söhne, Brüder, Väter und Ehemänner dienen in der Armee oder der Polizei. Eine junge Krankenschwester berichtet, allein in ihrer Familie seien acht Männer getötet worden. Hohe Repräsentanten der Kirche und engagierte Priester haben sich häufig vermittelnd zwischen Aufständischen und Regierungsvertretern oder bei Entführungen eingesetzt. Und manche bezahlten dieses Engagement mit dem Leben.

Seit August, seit ihrem Angriff auf Aleppo, scheinen die Aufständischen die ethnischen bzw. religiösen Minderheiten zur Flucht oder auf ihre Seite zwingen zu wollen. Es gibt Angriffe auf tscherkessische Syrer in der entmilitarisierten Zone auf den Golan-Höhen, auf Palästinenser in Flüchtlingslagern, auf christliche Wohn- und Siedlungsgebiete im »Tal der Christen« unterhalb der Kreuzritterburg Krak des Chevaliers und in Orten entlang der Grenze zur Türkei. In der Altstadt von Homs wurden Kirchen zerstört, die zu den ältesten der Region zählen, selbst in Deir Ezzor, weit im Osten, wurde eine Kirche bei einem Sprengstoffanschlag beschädigt.

Es gibt die Geschichte eines jungen Christen, verbreitet von der Nachrichtenagentur des Vatikans, der mit seiner Familie nach Hassake im Osten Syriens fliehen musste. Der Mann, der sich selbst als Oppositioneller beschrieb, lebte in Ras al-Ain, an der Grenze zur Türkei. Es sei der 8. November gewesen, als die Familie um zwei Uhr nachts von Explosionen, Hubschrauberlärm und Maschinengewehrfeuer aufgeweckt worden sei.

Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« seien mit Unterstützung türkischer Hubschrauber über die Grenze gekommen und in den Ort eingefallen, die Häuser wurden geplündert und zu militärischen Stellungen umfunktioniert. Auch das Haus seines Großvaters sei von den Kämpfern besetzt worden. Die gelähmte Großmutter, Frauen und Kinder, die sich dort aufhielten, wurden verjagt. Weder Dokumente noch Geld hätten sie mitnehmen können. Mit einer »Schwarzen Liste« seien die Kämpfer von Haus zu Haus gegangen, »auf der Suche nach ihren Feinden«. Auch die Namen christlicher Familienoberhäupter hätten auf der Liste gestanden.

Der Konvent der Laizistenbrüder liegt auf der Bab-Touma-Straße in der Altstadt von Damaskus. Hier lebt Pater Paul, der sich in seinem kleinen Zimmer auf die abendliche Predigt vorbereitet. Durch das geöffnete Fenster ist Gefechtslärm zu hören, die Schüsse kommen näher. Dort liege ein Truppenübungsplatz, versucht der Priester zu beruhigen. Wie alle Syrer ist auch Pater Paul über das, was in seiner Heimat geschieht, beschämt, vor allem gegenüber Ausländern.

Als im östlichen Nachbarland der Krieg tobte, suchten Tausende irakische Christen Zuflucht in Syrien und wurden freundlich aufgenommen. Ausländische Gäste waren in Syrien immer willkommen, nun aber können die Syrer weder sich noch ihre Gäste schützen. Auf die Feststellung, dass es sich wohl kaum um Übungen, sondern eher um ein Gefecht handele, blickt Pater Paul zu Boden. Scheich Arour, der aus Saudi-Arabien per Satellitenfernsehen seine Predigten verbreite, rufe, so der Pater, die Sunniten zum »Heiligen Krieg« auf, und viele Männer würden ihm folgen. »Es ist schwer, die Angreifer zu stoppen«, seufzt der 70-Jährige. »Sie sind in den Wohngebieten, und man kann nicht alle Häuser um sie herum zerstören.« Die Armee versuche, die Kämpfer in unbewohnten Gebieten zu isolieren, sagt Pater Paul.

Es gehe nicht um Sunniten oder Schiiten, nicht um Alawiten oder Christen, interessierte Staaten in der Region versuchten, Syrien in kleine Emirate zu zerteilen und zu schwächen. Er stehe auf einer Todesliste der Aufständischen, die ihn zum Schweigen bringen wollten, sagt Pater Paul. Doch Jesus habe ihn aufgefordert zu bleiben: »Wir müssen bleiben, dieses ist das Land des Heiligen Paulus, unsere Heimat!«

Die Schießerei hat nachgelassen, die Muezzine rufen versöhnlich zum Gebet über die Lautsprecher der umliegenden Moscheen. Eine Haushälterin bringt Kaffee und Äpfel, Pater Paul spricht über die Arbeit seiner Hilfsorganisation Terre des Hommes. In Kfar Sita, dem Feriendorf für Behinderte an der Mittelmeerküste zwischen Banias und Tartus, seien alle Häuser mit Inlandsvertriebenen gefüllt. »Aus Homs, Hama und Aleppo« seien die Menschen gekommen.

Tartus sei »eine andere Welt«, fährt Pater Paul fort. »Es gibt dort keine Gefahr, die Menschen aller Religionen helfen allen, die kommen. Das ist das wahre Syrien.« Terre des Hommes habe an die Schwesterorganisation in Aleppo mehrmals Decken und Medikamente geschickt »in dieser gefährlichen Zeit«. Auf dem Weg nach Aleppo seien sie von Revolutionären gestoppt worden, seufzt Pater Paul. »Sie wollten unsere Hilfsgüter haben, also haben wir ihnen einige Decken und Medikamente gegeben, um uns den Weg nach Aleppo frei zu kaufen.«

Es ist spät geworden, Pater Paul muss zum Gottesdienst aufbrechen. Zum Abschied überreicht er ein kunstvoll mit Mosaiken verziertes Holzkästchen, »das Symbol Syriens«. Lächelnd füllt er das Kästchen mit Rosinen aus Sweida, dem Drusengebiet. »Das ist etwas, was sich die Menschen hier zu Weihnachten schenken.«

Dort, wo die Bab-Touma auf die Gerade Straße mündet, haben Bewaffnete einen Kontrollpunkt aufgebaut. Weil die Einwohner der Altstadt aber keine Bewaffneten in ihrer Nachbarschaft haben wollten, soll die Zahl auf etwa zwei Dutzend reduziert worden sein.

Nicht weit von hier liegt die Galerie von Ghassan Khoury. »Al- Khoury-Kunsthalle« ist in Arabisch und Englisch in eine Steinplatte gemeißelt, die an dem großen Eingangstor hängt. Ghassan Khoury sitzt im Licht einer kleinen Lampe und dreht einen Zigarrenstummel zwischen den Fingern. Er räumt die Zeitungen auf dem Tisch neben sich zur Seite und tastet nach dem Feuerzeug.

Seine Augen seien nicht mehr die Besten mit seinen 70 Jahren, gibt er zu bedenken. Das schummrige Licht bietet wenig Hilfe. Khoury muss sparen, seit fast zwei Jahren hat er kein Bild mehr verkauft. Viele Läden auf der Geraden Straße hätten geschlossen, doch er komme weiterhin jeden Morgen und jeden Nachmittag in die Galerie.

Er rückt die Bilder von einem Platz auf den anderen, manchmal sitzt er mit Geschäftsleuten von nebenan zusammen. Sie trinken starken, schwarzen Kaffee und sprechen immer über das Gleiche. »Was wird morgen sein, werde ich entführt, getötet? Bin ich in meinem Haus noch sicher? Werden wir genug zu Essen haben? Sind die Enkel in der Schule sicher? Wird der Sohn die Arbeit behalten? Gibt es Heizöl, Gas und können wir es bezahlen?« In seiner Nachbarschaft gäbe es Menschen aller Religionen und Volksgruppen. Um das noch zu bekräftigen, sagt Khoury: »Wir Christen leben nicht im Ghetto, so war es nie in Syrien.«

Ein Nachbar blickt durch die Tür und grüßt. Die Schießerei, die alle am Nachmittag beunruhigt hatte, sei aufgeklärt, erzählt der Mann. Sicherheitskräfte hätten ein Auto mit Sprengstoff gestoppt, Männer seien festgenommen worden. »So erzählen wir uns Dinge, die doch niemand wirklich weiß«, lächelt er und schüttelt den Kopf. »Was soll ich sagen? Die Worte haben heute keine Bedeutung mehr. Was war, was ist, was wird sein? Niemand weiß es.«

Früher wurden in der dunklen Jahreszeit Geschäfte, Hotels und Restaurants, die Kirchen und vor allem die Wohnungen weihnachtlich geschmückt. Doch diesmal wird es – wie schon im vergangenen Jahr – keine bunten Lichterketten oder erleuchtete Krippen geben. Kein Sternenregen wird die Straßen erhellen. Die nicht enden wollende Gewalt verunsichert keineswegs nur die Christen, sondern alle Syrer, sagt Ghassan Khoury. »Alles was wir uns wünschen, ist ein ruhiges, ein sicheres Weihnachtsfest«, fügt er leise hinzu.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 22. Dezember 2012


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