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Die Waffen nieder

Vor nationalem Dialog in Syrien müssen die Kämpfe beendet werden

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der syrische Außenminister Walid Al-Muallem ging am Mittwoch scharf mit der EU ins Gericht. Als Reaktion auf die Rede von Präsident Baschar Al-Assad am Montag hätten einige europäische Politiker »Reaktionen gezeigt …. die deutlich machen, daß sie vorhaben, Spaltung und Chaos in Syrien zu forcieren«, sagte Muallem auf einer Pressekonferenz in Damaskus. »Ich sage diesen Politikern, sie sollen sich aus den Angelegenheiten Syriens heraushalten«, so Muallem. EU-Sanktionen würden nur die Lebensbedingungen der Bevölkerung erschweren, »was einem Krieg gleichkommt«. Syrien werde seine Mitgliedschaft in der Mittelmeerunion einfrieren, kündigte Mou’allem an. Namentlich kritisierte er die französische Regierung, die den »Kampf für Menschenrechte« als Vorwand nutze, ihre koloniale Politik umzusetzen. Frankreich war von 1920 bis 1946 Mandatsmacht in Syrien.

In Dschisr Al-Schughur seien »bewaffnete Banden« gegen Armee und Sicherheitskräfte angetreten, was nicht geduldet werden könne, betonte Muallem. Die Türkei solle mit Syrien bei der Rückkehr der syrischen Flüchtlinge kooperieren, die in Lagern an der türkisch-syrischen Grenze ausharrten. Meldungen, wonach Flüchtlinge, die nach Dschisr Al-Schughur zurückkehren wollten, festgenommen oder getötet worden seien, wies Muallem zurück. Ein Eingreifen der NATO und ausländischer Truppen wie in Libyen oder Irak bezeichnete der Außenminister als unwahrscheinlich. Dort gebe es Öl und Gas und beide Staaten würden für das ausländische Eingreifen zur Kasse gebeten. In Syrien gebe es weder das eine noch das andere zu holen, außerdem sei niemand in Syrien bereit, für eine ausländische Invasion zu bezahlen.

Muallem betonte die Bedeutung des Nationalen Dialogs, wie Assad ihn Anfang der Woche in seiner »Rede an die Nation« bereits erläutert hatte. Oppositionelle zeigen sich jedoch weiter mißtrauisch. »Solange die Waffen nicht schweigen, und zwar auf allen Seiten«, könne es keine Gespräche geben, erklärte ein Mitglied der kommunistischen Partei gegenüber jW in Damaskus. Ein Gesetz zur Kontrolle der Sicherheitskräfte sei unabdingbar, es müsse auch ein Weg gefunden werden, mit der in Syrien verbotenen Muslimbruderschaft umzugehen. Die seien zwar keineswegs ein »Wunschpartner« von Kommunisten, ihre Popularität bei großen Teilen der Bevölkerung müsse aber respektiert werden. Im Zuge einer Generalamnestie wurden in den letzten Wochen viele Gefangene der Muslimbruderschaft freigelassen. Manche waren 20 Jahre oder länger inhaftiert.

Die Türkei pocht auf die Legalisierung der Muslimbruderschaft in Syrien und fordert für sie das Recht, eine Partei zu gründen, ähnlich der regierenden AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) in der Türkei. Das allerdings wird es in Syrien kaum geben. Wie aus dem Entwurf für ein neues Parteiengesetz hervorgeht, das heute von den syrischen Medien veröffentlicht wurde und auf einer staatlichen Internetseite von der Bevölkerung kritisiert und ergänzt werden kann, sollen die persönliche Mitgliedschaft in einer Partei wie auch die Neugründung von Parteien in Zukunft garantiert werden. Ausgeschlossen bleiben Parteien, die mit einem religiösen oder ethnischen Programm antreten.

Dem Präsidenten das Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Jakob Kellerberger, wurde derweil bei offiziellen Gesprächen in Damaskus versichert, daß das IKRK in Zukunft zu allen Brennpunkten des Geschehens in Syrien ungehinderten Zugang erhalten soll. Die syrische Regierung sagte auch zu, dem IKRK zukünftig Zugang zu Gefangenen zu ermöglichen. Die vom IKRK geforderten Bedingungen eines ungehinderten Zugangs zu Gefangenen soll in gemeinsamen Gesprächen geklärt werden.

* Aus: junge Welt, 23. Juni 2011


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