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Millionen auf der Flucht

Lage für die syrische Bevölkerung wird immer schwieriger. Assad-Kritik an Arabischer Liga

Von Karin Leukefeld *

Die militärische Pattsituation und der politische Stillstand in Syrien zwingt immer mehr Menschen dazu, ihre Wohnungen, Häuser und Dörfer zu verlassen. Während die Bevölkerung in den grenznahen Gebieten in die Auffanglager in Jordanien, im Libanon, Irak oder in der Türkei flieht, sucht die überwiegende Mehrheit der Syrer Zuflucht bei Verwandten oder Bekannten in einer anderen Stadt. Die zumeist selbst in bescheidenen Verhältnissen lebenden Familien teilen ihre Wohnungen und Nahrungsmittel mit den Vertriebenen. Die über das Land verhängten EU-Sanktionen sorgen zusätzlich zu den Kriegswirren für einen Mangel an Kochgas, Heizöl und Benzin. Die Preise für Lebensmittel sind massiv angestiegen.

Hilfsaktionen der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) haben eine lange Geschichte in Syrien. Seit mehr als 60 Jahren wurden so palästinensische, somalische, sudanesische und zuletzt irakische Flüchtlinge versorgt. Das IKRK hat zudem in den von Dürre geplagten Gebieten Nord- und Nordostsyriens in den vergangenen Jahren viel zur Versorgung mit Trinkwasser getan. Weil die Menschen kein eigenes Einkommen mehr hätten und die Ersparnisse zumeist aufgebraucht seien, »sind immer mehr Inlandsvertriebene vollkommen auf die Großzügigkeit ihrer syrischen Mitbürger oder auf die internationale Gemeinschaft angewiesen«, sagte Jeroen Carrin, Koordinator des IKRK-Hilfsprogramms, am Freitag. Die IKRK-Delegierte in Damaskus Marianne Gasser, erklärte am gleichen Tag, daß allein im März mehrere Hilfskonvois Gebiete in Deir Essor, Idlib und Aleppo erreicht hätten, die teilweise unter der Kontrolle der syrischen Armee und teilweise unter der Kontrolle der Aufständischen waren. »Wir haben die Frontlinien immer wieder überquert und werden das weiter tun«, sagte Gasser in Damaskus. In Deir Essor hätten die Konvois Menschen erreicht, die seit vier Monaten von jeder Unterstützung abgeschnitten gewesen seien.

Eine UNHCR-Sprecherin in Beirut bezifferte auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP die Zahl der Binnenflüchtlinge in Syrien auf rund vier Millionen. Das Land hat etwa 23 Millionen Einwohner. Es sei sehr schwierig, genaue Angaben über die Zahl der Inlandsflüchtlinge in Syrien zu machen, hieß es dagegen in einer Erklärung des IKRK am Donnerstag. Die Syrische Arabische Rote Halbmondgesellschaft (SARC) schätzt ihre Zahl auf mehr als 3,6 Millionen, viele dieser Menschen leben in schwer zugänglichen Gebieten.

Jordanien hat derweil die Menge seiner Soldaten entlang der 370 km langen Grenze zu Syrien verdoppelt. Syrische Medien hatten Amman davor gewarnt, es solle nicht »mit dem Feuer spielen« und seine doppelte Strategie gegenüber Syrien aufgeben. Offiziell fordert Jordanien eine rasche politische Lösung, gleichzeitig ist der Flughafen von Amman eine Drehscheibe für Waffenlieferungen an die Aufständischen. In mehreren Ausbildungslagern werden letztere von ausländischen und jordanischen Militärs trainiert.

In einem Interview mit dem türkischen Fernsehsender Ulusal und der Tageszeitung Aydinlik hat der syrische Präsident Baschar Al-Assad sowohl die Arabische Liga als auch den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan scharf kritisiert. Teile des Interviews, das am gestrigen Freitag ausgestrahlt werden sollte, waren bereits am Donnerstag bekanntgeworden. Den Sitz Syriens bei der Arabischen Liga einer Gruppe zu überlassen, die von niemandem gewählt worden sei, sei Unrecht, sagte Assad. Die Arabische Liga vertrete arabische Staaten, nicht aber die Völker dieser Staaten, so Assad. Nur die Völker seien befugt, ihre Vertretung zu legitimieren.

* Aus: junge Welt, Samstag, 6. April 2013


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