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Paris drängt zu Syrien-Einsatz

China und Russland lehnen UN-gestützte Intervention nach Libyen-Muster ab *

Im Syrien-Konflikt lehnt die UN-Vetomacht Russland eine neue Debatte im Weltsicherheitsrat ab. Die jüngste UN-Verurteilung nach dem Massaker in Hula sei als Signal stark genug und eine »ausreichende Antwort auf die jüngsten Entwicklungen« gewesen, sagte Vizeaußenminister Gatilow am Mittwoch in Moskau.

Die UN-Vetomächte China und Russland haben Überlegungen eines UN-gestützten Militäreinsatzes in Syrien am Mittwoch eine Absage erteilt. Ein weiteres Handeln der UNO in dem Konflikt sei »verfrüht«, sagte der russische Vizeaußenminister Gennadi Gatilow laut Interfax. Russland habe eine ausländische Intervention stets abgelehnt, »da dies die Situation im Land und der ganzen Region nur verschlimmern würde«. Dem von dem Sondergesandten Kofi Annan erstellten Plan für ein Ende der Gewalt müsse Zeit gegeben werden. Außerdem müsse auch Druck auf die Opposition ausgeübt werden. Auch China erneuerte seine ablehnende Haltung zu einem Militäreinsatz. Peking sei »gegen einen gewaltsamen Regime-Wechsel«, erklärte das Außenministerium. Das Land forderte die Einhaltung des Sechs-Punkte-Plans.

Frankreichs Staatschef François Hollande hatte am Dienstagabend eine bewaffnete Intervention nicht ausgeschlossen, vorausgesetzt sie beachte das Völkerrecht und erfolge unter UN-Mandat. Australiens Außenminister Bob Carr sagte, seine Regierung werde den französischen Vorschlag erörtern. Der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy forderte Hollande in einem offenen Brief auf, nach dem Vorbild des Libyen-Einsatzes in Syrien »die Initiative zu ergreifen«.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte in Berlin hingegen, aus Sicht der deutschen Regierung gebe es »keinen Anlass, über militärische Optionen« in Syrien zu sprechen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte vor einem Angriff in Syrien, das er als »Brandherd« bezeichnete. Bei einer Intervention müssten die Toten »nicht in Tausenden, sondern in Zehntausenden gezählt werden«, sagte Asselborn dem »Spiegel«. Die Wahrscheinlichkeit einer Einigung im UN-Sicherheitsrat auf ein solches Mandat bezeichnete er als gleich null.

Russlands Außenministerium kritisierte zudem die Ausweisung syrischer Botschafter aus zahlreichen EU-Ländern sowie aus Kanada und den USA als Reaktion auf das Massaker in Hula mit mehr als hundert Toten als »kontraproduktiv«. Auf diese Weise würden die Versuche, die Krise auf diplomatischem Weg beizulegen, untergraben. Syrien wies unterdessen die Geschäftsträgerin der Niederlande aus. Zahlreiche westliche Diplomaten in Damaskus hatten das Land zuvor bereits selbst verlassen, um gegen die anhaltende Gewalt ein Zeichen zu setzen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 31. Mai 2012


Massaker bis zum Krieg

Rußland und China bekräftigen Nein zur Militärintervention in Syrien – prompt kommen neue Bilder einer Massenhinrichtung

Von Rüdiger Göbel **


Die Schreckensnachrichten und -bilder aus Syrien reißen nicht ab. Nur wenige Tage nach dem Massaker in Hula, bei dem 108 Menschen getötet wurden, verbreiteten Gegner des Präsidenten Baschar Al-Assad am Mittwoch im Internet ein Video über ein weiteres Verbrechen. Der Film, der angeblich aus der Provinz Deir Al-Sor im Osten Syriens stammt, zeigt die Leichen von 13 Männern, deren Hände hinter dem Rücken zusammengebunden waren. Alle 13 Männer wurden den Angaben zufolge aus nächster Nähe erschossen. Diese Angaben bestätigte auch der Leiter der UN-Mission, Generalmajor Robert Mood, der gestern eine Untersuchung des Verbrechens und ein Ende der Gewalt auf allen Seiten forderte.

»Dritte Kraft«

Spiegel online zitierte im Artikel »UNO berichtet über neues Massaker in Syrien« namentlich nicht näher genannte »Oppositionskreise«, wonach es sich bei den Toten »um Deserteure in Zivil« handle. Diese seien von Regierungstruppen erschossen worden. In anderen Berichten heiße es, die Mordopfer seien Arbeiter der Ölgesellschaft Al-Furat. Sie seien von Regierungstruppen getötet worden, weil sie sich einem Proteststreik gegen das Massaker in Hula am vergangenen Freitag angeschlossen hätten.

Auffällig: Der Chef der in London ansässigen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Syrien, Rami Abdurrahman, sonst für jede Propagandameldung gegen Assad zu haben, zeigte sich vorsichtig: »Wir wissen nicht, wer diese Männer getötet hat, und wir haben keine Hinweise darauf, daß sie Arbeiter sind. Wir fordern eine umgehende Untersuchung.« Die syrische Tageszeitung Al-Watan wiederum meldete, am vergangenen Samstag seien in Deir Al-Sor 39 Arbeiter und Ingenieure der Ölgesellschaft verschleppt worden. Am Montag hätten die gleichen Entführer dann noch einen weiteren Arbeiter in ihre Gewalt gebracht. Ihnen gehe es vermutlich um Lösegeld. Über einen Vermittler seien Verhandlungen über die Freilassung der Entführten im Gange.

Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti meldete am Mittwoch, die Situation in der syrischen Hauptstadt Damaskus habe sich nach Ansicht von Einwohnern nach der Ankunft der ausländischen Beobachter wesentlich verschlechtert. »Faktisch jede Nacht greifen bewaffnete Gruppierungen Kontrollposten der Armee an der Einfahrt in die Stadt und Vertreter der Sicherheitskräfte an. Nicht selten kommen dabei Zivilisten ums Leben. Vorstadteinwohner, die die bewaffnete Opposition unterstützen und allgemeine Unzufriedenheit im Lande provozieren wollen, blockieren mehrmals am Tag die in die Hauptstadt führenden Fernstraßen mit brennenden Autoreifen. Immer häufiger kommt es zu Überfällen auf Privatautos und zu Entführungen.« Die meisten Einwohner, die von RIA Nowosti befragt worden seien, sähen im aktuellen Geschehen nichts anderes als Provokationen, die auf eine Torpedierung des Plans von Kofi Annan gerichtet sind. Den Höhepunkt dieser Provokationen bilde das Massaker am 25. Mai in Hula. Viele von denen, die in der syrischen Regierung und in der Armee die Hauptschuldigen gesehen hatten, hätten inzwischen ihre Haltung revidiert und sprechen immer häufiger von einer »dritten Kraft« – gemeint sind vom Ausland finanzierte Terroristen. Vor diesem Hintergrund wachse auch die Sympathie für die Armee.

Gegen Intervention

Am heutigen Donnerstag will die syrische Regierung ihre Untersuchungsergebnisse zum Massaker in Hula veröffentlichen. Die Behörden weisen die ihnen vorgeworfene Mitschuld an der Tragödie zurück und machen islamistische Terroristen für das Blutbad verantwortlich. Der Überfall in Hula war kurz vor dem Syrien-Besuch von Kofi Annan erfolgt. Der Syrien-Beauftragte der UNO und der Arabischen Liga war am Montag in Damaskus eingetroffen.

Rußland und China bekräftigten unterdessen ihr Nein zu einer militärischen Intervention in Syrien. Sein Land lehne die gewaltsame Absetzung ausländischer Regierungen ab, erklärte ein Sprecher des chinesischen Außenamtes am Mittwoch. Der russische Vizeaußenminister Gennadi Gatilow sagte laut Nachrichtenagentur Interfax, zum jetzigen Zeitpunkt seien Überlegungen über ein Eingreifen der UNO verfrüht. Rußland habe seit Beginn grundsätzlich eine ausländische Intervention in Syrien abgelehnt, »da dies die Situa­tion im Land und in der ganzen Region nur verschlimmern würde«. Auch der luxemburgische Außenamtschef Jean Asselborn warnte vor einem direkten militärischen Eingreifen. Dieser hätte »Zehntausende Tote zur Folge«.

Das US-Außenministerium wiederum äußerte die Hoffnung, das Massaker in Hula könne einen »Wendepunkt« in der russischen Syrien-Politik auslösen und Moskau interventionsmilde stimmen. Spiegel online konstatierte am Mittwoch: »Mit jedem neuen Massaker steigt der Druck auf die Weltgemeinschaft einzuschreiten.« Die Schreckensberichte und -bilder aus Syrien dürften also nicht abreißen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 31. Mai 2012

Kriegsappell: »BHL« macht wieder mobil

Nach seinem erfolgreichen Aufruf im vergangenen Jahr an den damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, in Libyen an der Seite der Aufständischen militärisch zu intervenieren, hat der französische Kriegsaktivist Bernard-Henri Lévy, kurz BHL, nun in einem offenen Brief den neuen französischen Präsidenten François Hollande eindringlich aufgefordert, in Syrien die »Initiative« zu ergreifen. Der Kriegsappell wurde am Mittwoch in zahlreichen Medien veröffentlicht. Die Agentur dapd verbreitete das Schreiben in deutscher Übersetzung auszugsweise:

Jetzt, da es an mir ist, will ich Ihnen eine direkte Frage stellen: Wird Frankreich dasselbe für Hula und Homs tun, was es für Bengasi und Misrata getan hat? Werden Sie Ihre erhebliche persönliche Glaubwürdigkeit und die unseres Landes dazu nutzen, sich erneut an unsere Verbündeten von damals zu wenden und mit ihnen, mit Großbritannien, den USA, der Arabischen Liga und der Türkei, eine Strategie entwerfen, die über die (…) »unerschütterliche Unterstützung für die ­Annan-Mission« hinaus geht? (…)

Ich weiß, Herr Präsident, Sie müssen sich um andere dringende Dinge kümmern, andere Tagesordnungspunkte, Verpflichtungen, die sie eingegangenen sind und die Sie einhalten müssen. Aber was war das Dringendste – nach Afghanistan zu reisen und den erwarteten Rückzug unserer Soldaten vorzubereiten oder in Syrien die Initiative zu ergreifen?

Was ist das Wichtigste – eine Gehaltskürzung Ihrer Minister bekanntzugeben und das Einfrieren der Benzinpreise oder beim Sicherheitsrat eine Resolution einzubringen, die die Bombardierung schußbereiter Panzer an den Stadträndern autorisiert? Stellen Sie die deutsch-französische Bindung sicher, lassen Sie Angela Merkel Sie besser kennenlernen, retten Sie den Euro, das sind wichtige Verpflichtungen – aber ein Volk zu retten? Und inwieweit halten Sie die dramatischen Ereignisse in Griechenland davon ab, wie Ihr Vorgänger den Telefonhörer abzunehmen, um Ihre russischen und chinesischen Amtskollegen davon zu überzeugen, daß deren blinde Unterstützung des syrischen Staatsterrorismus sie entehrt und schwächt? (…)

Sie schienen im besonderen die Einstellung zu teilen, daß Assad nicht stärker ist, als Ghaddafi es einmal war – und daß in Wirklichkeit seine Macht von unserer Enthaltung, unserer Laisser-Faire-Einstellung, unserer Feigheit abhängt. Das war einer der Gründe, weswegen ich für Sie gestimmt habe.

Ich hoffe, ich habe mich nicht getäuscht. Wie einer der maskierten syrischen Kämpfer sagte: Wir sollten uns nicht vor diesem Papiertiger fürchten.


(Zit. nach jW, 31.05.2012)




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