Syrien: Die Leute von Beerajam ...
... und die bewaffneten Aufständischen auf den Golan-Höhen
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Syrien wird für den bewaffneten Konflikt in der entmilitarisierten Zone auf den Golanhöhen verantwortlich gemacht. Auf Beschuss durch vermutlich fehlgeleitete Granaten reagierte die israelische Armee ihrerseits mit dem Beschuss der „Quelle“, die die Granaten abfeuerte, wie eine Armeesprecherin sagte. Zivilisten, die in dem Gebiet leben berichteten der Autorin, wie die syrische Armee von bewaffneten Aufständischen in diesen Kampf hineingezogen wird.
Omar war 25, als er in dem kleinen Ort Beerajam auf dem syrischen Golan Anfang November 2012 erschossen wurde. Der junge Mann, Arbeiter in einer Fabrik, war in Damaskus zu Hause. Er war unverheiratet und lebte bei seinen Eltern in Haj al-Aswat, einem ärmlichen Vorort von Damaskus. Als bewaffnete Gruppen im Sommer 2012 dort einzogen und die syrische Armee versuchte sie zu vertreiben, flohen Omar und seine Familie nach Beerajam zu Verwandten.
Omar stammte aus einer syrischen Familie tscherkessischer Herkunft, die sich vor Generationen auf dem syrischen Golan angesiedelt hatte. 1967 wurden sie von der israelischen Armee vom Golan vertrieben. Der syrische Staat hatte für die Vertriebenen nahe der von den Vereinten Nationen ausgehandelten Waffenstillstandslinie neue Dörfer gebaut: Beerajam, Brka und Qahtana. In dem ruhigen, idyllisch im Grünen gelegenen Beerajam wohnten Verwandte von Omar. Wie viele Tscherkessen aus Damaskus verbrachten auch er und seine Eltern dort Feier- und Ferientage. Beerajam schien der Familie ein sicherer Ort, die mit den bewaffneten Aufständischen nichts zu tun haben wollte. In der entmilitarisierten UN-Zone war nur wenig syrisches Militär stationiert, für die Einwohner war das Leben ruhig.
Bis Anfang November 2012 bewaffnete Gruppen in die Dörfer eindrangen, erzählen Einwohner aus Beerajam, denen inzwischen die Flucht nach Damaskus gelungen ist. Die Kämpfer hintergingen die UN-Kontrollen und drangen durch die Wälder in der entmilitarisierten Zone vor, die sich entlang der Grenze zum von Israel annektierten Golan erstrecken. Möglicherweise kamen sie entlang dieser Grenze über Deraa aus Jordanien, vermutet ein Gesprächspartner. Die israelische Armee habe es früher nicht einmal zugelassen, dass ein Bauer einen Olivenbaum in der entmilitarisierten Zone pflanzte, sagt der Mann. „Und die vielen Kämpfer die dort aufgezogen sind, hat niemand gesehen?“ Die Leute aus Beerajam versuchten zu fliehen, was die Kämpfer unter Drohungen verhinderten. Die Familien brachten sich schließlich in den Schutzbunkern in Sicherheit, die der Staat ihnen wegen einer möglichen Kriegsgefahr mit Israel gebaut hatte.
Die bewaffneten Gruppen richteten Stützpunkte in den Wäldern nahe der Grenze zu Israel ein. Von dort griffen sie mit Granatwerfern und Schnellfeuergewehren die syrischen Truppen an. Die reagierten mit der Entsendung von drei Panzern, die den Kampf aufnahmen. Eine Woche lang hielten die Einwohner von Beerajam in den Bunkern aus. Vermittlungen scheiterten, Hilfslieferungen des Syrisch Arabischen Roten Halbmondes wurden von den Aufständischen nicht durchgelassen. Busse, die die Bevölkerung evakuieren wollten, wurden beschossen. Die Flucht aus der Belagerung gelang den Leuten von Beerajam erst, als dichter Nebel den Kämpfern die Sicht versperrte. Kilometer weit liefen sie, bis wartende Busse sie aufnehmen konnten. Bauern, die ihre Höfe und ihr Vieh nicht verlassen wollten, blieben zurück.
Fünf Tote haben die Einwohner von Beerjama zu beklagen. Omar und zwei andere junge Männer wurden erschossen, als sie sich vor die Tür des Bunkers wagten, um zu erkunden, ob die Familien entkommen könnten. Ein weiterer Mann wurde von Scharfschützen getötet, als er sich mit dem Auto dem Ort näherte, um seinen Vater zu evakuieren. Der fünfte Tote ist Mohammad Said, ein Religionsgelehrter, der an der Universität in Damaskus unterrichtete und das Wochenende in Beerajam verbrachte, als die Kämpfer einfielen. Mohammad Said ist der Bruder des Islamgelehrten Scheich Jawdat Said, der selber mehrmals in Syrien inhaftiert war. International bekannt ist Scheich Jawdat Said für seine Ethik der Gewaltlosigkeit.
* Dieser Beitrag erschien - leicht gekürzt - unter dem Titel "Neues Konfliktfeld Golan" im "neuen deutschland" vom 14. November 2012.
Karin Leukefeld
referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Was habt ihr dem arabischen Frühling in Libyen und Syrien angetan!?
Hier geht es zum
Programm des Kongresses
UNHCR zieht aus Nordsyrien ab
In Nachbarstaaten derzeit 400 000 Flüchtlinge **
Wegen einer verschlechterten Sicherheitslage
zieht das UN-Flüchtlingshilfswerk
(UNHCR) Personal aus
dem Nordosten Syriens ab und
stellt Hilfstransporte ein. Von zwölf
Mitarbeitern in der Region Hassake
würden fünf abgezogen, teilte
eine UNHCR-Sprecherin am
Dienstag in Genf mit. Selbst vormals
als sicher geltende Regionen
wie diese seien zunehmend von
Kämpfen betroffen, sagte sie. Zudem
seien zuletzt mehrfach Hilfsgüter
verloren gegangen, unter
anderem bei einem Überfall auf
einen Lastwagen nahe der Hauptstadt
Damaskus durch Unbekannte.
Trotz neuer Rückschläge will
das Hilfswerk nach eigenen Angaben
weiter Güter wie Decken,
Kleidung und Kochausrüstung in
die umkämpften Regionen liefern.
Bis Ende des Jahres sollen demnach
rund 500 000 Menschen Hilfe
erhalten. Das UNHCR verfügt
derzeit über etwa 350 Mitarbeiter
in Damaskus, Aleppo und Hassake.
Derzeit wird die Zahl der
Flüchtlinge auf gut 400 000 beziffert.
Zudem sind nach UN-Angaben
mindestens 2,5 Millionen
Menschen innerhalb des Landes
auf Hilfe angewiesen.
Die syrische Luftwaffe hat nach
Angaben der Regierungsgegner
nahe dem Grenzposten Ras al-Ain
zur Türkei erneut Luftangriffe geflogen.
Dabei sei in der Kurdenregion
im Nordosten ein Kommandeur
der Rebellen getötet worden,
teilte die in London ansässige der
Opposition zugehörige Syrische
Beobachtungsstelle für Menschenrechte
am Dienstag mit. Bei
Kämpfen der Aufständischen mit
Bodentruppen in dem Dorf Charbu
nahe Damaskus seien zehn Soldaten
und ein Rebell getötet worden.
** (nd, 14.11.2012)
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