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Helfer auf beiden Seiten der Front

Der Syrische Rote Halbmond versucht, für alle Opfer des Bürgerkrieges da zu sein


Abdul Rahman Attar ist Präsident des Syrischen Arabischen Roten Halbmondes (SARC). Die humanitäre Organisation wurde 1942 gegründet. Mit ihm sprach in Damaskus Karin Leukefeld.


Was ist derzeit die größte Herausforderung für SARC in Syrien?

Es hat sich herausgestellt, dass diese Krise länger andauert als gedacht und wir mehr Unterstützung brauchen. Bisher unterstützen wir 1,5 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe. Es gibt aber mehr als fünf Millionen Menschen, die Hilfe bräuchten. Und die Zahl derjenigen, die von der Krise betroffen sind, beträgt mehr als zwölf Millionen. Das schwierigste Problem ist, die Inlandsvertriebenen zu erreichen. Manchmal ziehen sie zwei- oder dreimal in neue Unterkünfte, das macht es für uns schwer, sie zu versorgen.

Kooperiert SARC mit anderen internationalen Organisationen in Syrien?

Wir arbeiten mit dem Welternährungsprogramm, mit dem UN-Hilfswerk für Flüchtlinge, mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und mit der Föderation der Rotkreuz-/Rothalbmondgesellschaften zusammen und erhalten von dort auch Hilfe. Aber es reicht nicht. Wir können nur weniger als 40 Prozent dessen leisten, was mindestens nötig wäre.

Was behindert Ihre Arbeit besonders?

Schwierig ist es, regelmäßig Hilfe zu leisten. Oft sind die Transportwege nicht sicher. Dann haben wir Mühe, die Menschen, die Hilfe brauchen, überhaupt zu erreichen. Beide Seiten der Front in Syrien machen uns das Leben schwer. Bei der Regierungsseite haben wir mit der Armee wenigstens eine gleichbleibende Ansprechpartnerin. Auf der anderen Seite ist das bedeutend schwieriger. Denn wir haben es da mit zehn, zwölf oder mehr Parteien zu tun. Über den Zugang zu den Hilfsbedürftigen zu verhandeln, sollte nicht unsere Sache als SARC sein. Das sollten das IKRK oder die Vereinten Nationen tun. Darum sind wir sehr auf sie angewiesen. Wir arbeiten hart. Es ist unsere Aufgabe, alle hilfsbedürftigen Menschen im ganzen Land zu versorgen.

SARC arbeitet ja vor allem mit Freiwilligen.

Wir brauchen auf jeden Fall mehr Festangestellte. Vor allem in den Niederlassungen brauchen wir mehr Mitarbeiter. Die Freiwilligen sind jung, und manche von ihnen haben ihre Erwerbsarbeit verloren. Sie sollten durch SARC eine Neuanstellung, einen finanziellen Ausgleich erhalten. Darüber sind wir mit unseren Partnern wie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) oder dem Norwegischen Roten Kreuz im Gespräch. Lokal arbeiten wir mit mehr als 60, international mit zwölf Organisationen zusammen. Sie kommen aus Norwegen, aus Spanien, aus Amerika. Aus Deutschland sind es das DRK und HELP.

Es gibt Anschuldigungen von der Opposition im Ausland, dass die humanitäre Hilfe nur dort verteilt wird, wo die syrische Regierung das Sagen hat.

Das ist mir bekannt, aber ich weise diese Darstellung entschieden zurück. Wir bringen Hilfe in 90 Prozent der betroffenen Gebiete, und Syrien ist ein großes Land. Ein Konvoi von Damaskus nach Aleppo ist normalerweise etwa acht Stunden unterwegs. Heute dauert das drei Tage. Die vielen Kontrollpunkte machen es schwer, die Menschen zu erreichen. In manchen Gebieten haben wir keinen Zugang, aber das liegt eben nicht an uns. Einige ausländische Organisationen arbeiten grenzübergreifend. Das ist formal ein Verstoß gegen die international vereinbarten Prinzipien der Föderation. Es ist sogar schon vorgekommen, dass Vertreter ausländischer Organisationen unsere Freiwilligen bedroht und davor gewarnt haben, in die von ihnen kontrollierten Gebiete zu kommen.

Es gibt Forderungen der Auslandsopposition, keine Hilfsgelder mehr an Damaskus zu geben, sondern ausschließlich an die Gruppen, die – wie Sie sagen – grenzüberschreitend arbeiten.

Ich bin im Vorstand der Föderation in Genf und seit mehr als 35 Jahren Präsident des SARC. Es gibt Prinzipien der Föderation, und die besagen, dass humanitäre Hilfe durch die nationale Gesellschaft, in diesem Fall also über uns, verteilt wird. SARC hat 14 Niederlassungen im ganzen Land, die wiederum haben 80 angeschlossene Zentren, mit allen arbeiten wir zusammen. Die Leute, die im Ausland in irgendwelchen Hotels sitzen, können nichts darüber sagen, wie die Freiwilligen hier vor Ort arbeiten.

Wir haben 20 Mitarbeiter in dieser humanitären Mission verloren. Ihr Tod belegt auf tragische Weise ihre Unabhängigkeit und ihre Entschlossenheit, den Menschen zu helfen.

Hat SARC wegen derartiger Forderungen weniger Hilfsgelder erhalten?

Wir haben uns das Vertrauen der UNO erworben oder vielleicht auch zurückerworben mit unserer Arbeit. Wir arbeiten mit all diesen Organisationen, die ich genannt habe. Sie wissen, wie sehr wir der Hilfe für die Menschen im ganzen Land verpflichtet sind. Die humanitäre Hilfe sollte von politischen Interessen getrennt werden. Eines muss ich allerdings sagen: Von keinem arabischen Staat haben wir bisher humanitäre Hilfe erhalten; mit einer Ausnahme: Irak.

* Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juli 2013


Keine Einigung in der UNO **

Der UN-Sicherheitsrat hat sich nach tagelangen Verhandlungen erneut nicht auf eine Stellungnahme zur Lage in Syrien einigen können. Russland stimmte gegen einen Textentwurf Australiens und Luxemburgs, wie Diplomaten in New York sagten.

Die beiden Länder hatten erreichen wollen, dass der Sicherheitsrat zur Hilfe für die Zivilisten in der heftig umkämpften Stadt Homs aufruft. UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay äußerte sich »extrem besorgt« über das Schicksal der Menschen angesichts der Ende Juni begonnenen Offensive der Regierungstruppen gegen die Rebellen in Homs.

Ein Sprecher Russlands erklärte, die Vorschläge Moskaus seien komplett ignoriert worden. In einem russischen Entwurf war die Forderung nach Zugang zu Homs sowie den Städten Nubul und Sahra erhoben worden. Zudem hieß es, allen Zivilisten müsse erlaubt werden, diese Städte zu verlassen. Der Sprecher Russlands sagte weiter, die Zivilisten in Homs würden von »terroristischen Gruppen« festgehalten, die sie als menschliche Schutzschilde missbrauchten.

Die syrische Oppositionsplattform Nationale Koalition bestimmte am Samstag den von Saudi-Arabien unterstützen Juristen und Geschäftsmann Ahmed Assi al-Dscharba zu ihrem Präsidenten.

** Aus: neues deutschland, Montag, 8. Juli 2013


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