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Neue Beobachtermission möglich

Syrien: Arabische Liga konferiert mit UNO / Deutsch-russische Videokonferenz: Wohin steuert der Konflikt?

Von Roland Etzel *

In der syrischen Großstadt Homs sollen am Donnerstag (9. Feb.) durch Beschuss der Armee zahlreiche Menschen getötet worden sein. Die Arabische Liga und die UNO erwägen jetzt eine Zusammenarbeit bei einer neuen Beobachtermission für Syrien. Über die Syrien-Krise diskutierten deutsche und russische Politikexperten im Rahmen einer Videokonferenz.

Angriffe syrischer Regierungstruppen in Homs haben nach Angaben der sogenannten Revolutionskomitees erneut Dutzende Menschenleben gefordert. Am Donnerstag sollen in der Stadt 37 Menschen gestorben sein. Am Vortag zählten die Regierungsgegner in der Stadt 93 Tote.

Der Führungsstab der Exilorganisation Syrischer Nationalrat traf sich am Donnerstag im Golfemirat Katar, um, wie erklärt wurde, darüber zu beraten, wie das Blutvergießen gestoppt werden könnte. Allerdings sagen die Wortführer des in der Türkei ansässigen Gremiums selbst, sie wollten jetzt stärker als bisher »auf militärische Optionen« für die Regierungsgegner setzen. Von ihren ausländischen Unterstützern erwarten sie dem Vernehmen nach Waffenlieferungen an Deserteure aus der syrischen Armee, die sich der Opposition angeschlossen haben.

Unter arabischen Diplomaten wird erwogen, den von Oppositionsgruppen gegründeten Nationalrat als legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen. Über diese Frage werde am Sonntag bei einem Treffen der Arabischen Liga in Kairo diskutiert, hieß es. Der Generalsekretär der Liga, der Ägypter Nabil al-Arabi, hatte am Mittwoch bei den Vereinten Nationen angefragt, ob die UNO Beobachter nach Syrien schicken könnten, die dort gemeinsam mit arabischen Beobachtern arbeiten würden. Die im Dezember begonnene Beobachtermission der Liga habe bisher nicht ihr Ziel erreicht.

Die Aufgabe der arabische Beobachtergruppe in Syrien gehörte auch zu den umstrittenen Punkten einer von der russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti veranstalteten Videokonferenz Berlin - Moskau. Wolfgang Richter von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik äußerte Verständnis für den vorläufige Abbruch der Mission, weil sie ihre Ziele nicht erreicht habe.

Sein Diskussionspartner Boris Dolgow nahm die syrische Regierung in Schutz. Wenn Präsident Baschar al-Assad den Vorstellungen der Arabischen Liga folgte, so der Arabist vom Moskauer Institut für Orientalistik, würde er die Städte der bewaffneten Opposition ausliefern. Dies zu verlangen, sei nicht hinnehmbar. In diesem Zusammenhang äußerte Dolgow, er habe bei seinem jüngsten Syrien-Besuch im Januar eine wachsende Angst in der Bevölkerung vor einer Machtübernahme muslimischer Radikaler wahrgenommen, besonders unter den Christen, die nach seiner Schätzung etwa zwei Millionen der 21-Millionen-Bevölkerung des Landes ausmachen. Eine katholische Nonne habe ihm gesagt, sie könne nicht begreifen, warum europäische Staaten Islamisten unterstützen, »die uns töten und vertreiben werden«.

Bezug nehmend auf den jüngsten Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Syrien wurde Dolgow von Richter gefragt, ob er von Zusicherungen Assads an Lawrow wisse, zu einem Ende des Blutvergießens beizutragen. Soweit er, Dolgow, wisse, habe Assad gegenüber Lawrow erklärt, dass »die Türen für die Opposition offenstehen«. Der Präsident habe aber bisher keine Antwort erhalten. Der ehemalige Rektor der Moskauer Diplomatischen Akademie Prof. Igor Panarin meinte, »der Übergangsprozess« sei bereits angelaufen. Assad habe offenbar akzeptiert, dass sowohl die dominierende Stellung des Assad-Clans in den Machtzentralen des Staates als auch die in der gültigen Verfassung festgeschriebene führende Rolle der Baath-Partei nicht aufrecht zu erhalten seien. Margarete Klein, ebenfalls von der Stiftung Wissenschaft und Politik, bezweifelte dies. Assad betreibe bisher eine reine Ankündigungspolitik. Von allem, was er im Sommer angekündigt habe, sei noch nichts umgesetzt.

Die »Gretchenfrage«, wer denn nun was aus welchen Gründen im Falle Syriens tue, blieb am Ende nicht ungestellt. Deutschland, erklärte Richter unter Berufung auf Außenminister Guido Westerwelle, handle ausschließlich aus humanitären Erwägungen. Die beiden Moskauer Diskutanten bekannten unumwunden, dass Syrien nun einmal »Russlands strategischer Partner« sei. Ein Zuhörer auf der Moskauer Seite der Videobrücke erklärte dazu: Die Amerikaner sitzen in Bahrain, Irak, Saudi-Arabien, erklären die gesamte Region zu ihrer strategischer Interessensphäre. Darf Russland denn keine strategischen Interessen haben?

* Aus: neues deutschland, 10. Februar 2012


Helfer zwischen den Fronten

Syrien: Weiter Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Aufständischen in Homs

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Die Kämpfe zwischen der syrischen Armee und bewaffneten Aufständischen in Homs haben am Donnerstag den sechsten Tag in Folge angehalten. Während die Armee offenbar Panzer einsetzt, um den Widerstand der Rebellen zu brechen, versuchen diese, aus den von ihnen kontrollierten Vierteln mit gezielten Angriffen auf das Militär ihre Positionen zu verteidigen. Von den elf Stadtteilen in Homs werden mindestens Baba Amro und Khaldiye von den Aufständischen kontrolliert. Aus ihnen werden über Satellitenanlagen Bilder veröffentlicht, die vorrückende Panzer, brennende Dächer, zerstörte Wohnungen und fliehende Menschen zeigen.

Exakte Angaben über die Zahl der Opfer sind unabhängig nicht zu erheben, heißt es auch aus Kreisen humanitärer Organisationen, die in Syrien arbeiten. Die Zahlen, die von syrischen Regierungsgegnern verbreitet werden, weichen stark voneinander ab. Das staatliche Fernsehen zeigte derweil Bilder aus der Stadt. Einwohner begrüßten den Einsatz der Armee.

Das Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erklärte, alle Brennpunkte der Unruhen in Syrien würden durch Freiwillige des Syrischen Roten Halbmondes (SARC) mit medizinischen Hilfsgütern versorgt. Die Hilfe erreiche auch Baba Amro und Khaldiye. Als Hilfsorganisation sei man zur Neutralität verpflichtet, betonte der Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit des IKRK in ­Syrien, Saleh Dabbakeh, gegenüber jW. Die SARC-Freiwilligen leisteten denen Hilfe, »die sie darum bitten, egal ob Aufständische, Soldaten oder Zivilbevölkerung«, betonte Dabbakeh. Im Kreuzfeuer der Kämpfe sei die Hilfe sehr gefährlich geworden.

Die Organisation »Ärzte ohne Grenzen« veröffentlichte derweil einen Bericht, in dem sie der Regierung vorwarf, »medizinische Einrichtungen als Mittel zu Verfolgung Oppositioneller« zu mißbrauchen. Die Organisation arbeitet selbst nicht in Syrien, behandelt nach eigenen Angaben aber »Flüchtlinge außerhalb des Landes und steht mit Ärzten in Syrien in Kontakt«.

In Deutschland hat die Bundesregierung unterdessen vier syrische Diplomaten des Landes verwiesen. Die Ausweisung erfolgte, »nachdem zwei Personen festgenommen wurden, die der Spionage für Syrien verdächtigt werden mußten«, sagte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) am Donnerstag in Berlin.

* Aus: junge Welt, 10. Februar 2012


»Raketen regnen« auf Homs

Deutschland weist syrische Diplomaten aus ***

Nach dem Ende ihrer Beobachtermission in Syrien erwägt die Arabische Liga einen gemeinsamen Einsatz mit der UNO. Liga-Generalsekretär Nabil al-Arabi habe die UNO um Hilfe gebeten und eine gemeinsame Mission vorgeschlagen, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Mittwoch (8. Feb.) in New York. Über die Bitte werde in den kommenden Tagen im Sicherheitsrat beraten.

In der syrischen Stadt Homs soll die Armee erneut massiv gegen die Bevölkerung vorgegangen sein. Der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle zufolge tötete sie am Donnerstag mindestens 24 Zivilisten. AFP zitierte einen Aktivisten aus Homs mit den Worten: »Raketen regnen heute ununterbrochen auf Baba Amr«, einen besonders umkämpften Stadtteil. Seit Sonnabend sollen in Homs über 400 Zivilisten getötet worden sein. Als Reaktion auf die Einschüchterung syrischer Assad-Gegner in Deutschland hat die Bundesregierung am Donnerstag vier syrische Diplomaten ausgewiesen. Drei Männer und eine Frau wurden vom Auswärtigen Amt zu »unerwünschten Personen« erklärt. Sie haben drei Tage Zeit, gemeinsam mit ihren Familien Deutschland zu verlassen. Die Bundesregierung könne »in keiner Weise tolerieren, wenn für den syrischen Staat Tätige in Deutschland einen direkten oder indirekten Beitrag dazu leisten, die syrische Opposition unter Druck zu setzen«, sagte Außenminister Guido Westerwelle. Wegen Spitzel- und Drangsalierungsvorwürfen sitzen zwei Botschaftsmitarbeiter ohne Diplomatenstatus in Untersuchungshaft. Über das russische Nein zu einer UN-Resolution gegen Syrien diskutierten am Donnerstag deutsche und russische Politikexperten in einer Videokonferenz. Während die deutschen Vertreter meinten, Russland habe sich angesichts des brutalen Vorgehens des syrischen Staates mit dessen Inschutznahme isoliert, sprachen die Moskauer Teilnehmer von einem Informationskrieg. Alle Zahlen über Opfer stammten aus den USA und könnten kaum belegt werden.

*** Aus: neues deutschland, 10. Februar 2012


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