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Geiselnahme in Homs

Rotes Kreuz handelt Waffenruhe zwischen Aufständischen und syrischer Armee aus. Zivilisten können Stadt trotzdem nicht verlassen. Assads Gegner brauchen sie als "menschliche Schutzschilde"

Von Rüdiger Göbel *

Syrische Armee und Aufständische haben sich nach langen und schwierigen Verhandlungen auf eine Waffenruhe in Homs geeinigt, die es Zivilisten ermöglichen soll, die Stadt zu verlassen. Wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) am Mittwoch abend in Genf bekannt gab, hätten beide Seiten einer vorübergehenden Feuerpause zugestimmt, damit die Hunderte Bewohner in Sicherheit gebracht werden könnten. Rettungsteams stünden bereit. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach von »Hoffnung für die seit Tagen in der umkämpften syrischen Rebellenhochburg Homs eingeschlossenen und verletzten Zivilisten«. An den Verhandlungen zwischen Armee und Aufständischen wirkten neben dem IKRK der Rote Halbmond sowie christliche Priester und Vertreter einer Versöhnungsinitiative mit.

Allein, die vom Westen politisch wie militärisch (siehe unten) unterstützten Aufständischen denken gar nicht daran, die in Homs Festgehaltenen gehen zu lassen. Die Agenzia Fides, Presseorgan der Päpstlichen Missionswerke, meldete am Donnerstag unter Berufung auf Beobachter aus Homs, mit der Evakuierung konnte »bisher nicht begonnen werden, weil die Rebellen die Einwohner daran hindern, die Stadt zu verlassen«. Die Stadt soll auch weiterhin unter Beschuß stehen. Die Waffenruhe hätte eigentlich für den ganzen Donnerstag in Kraft treten sollen, für die Folgetage sollte sie jeweils zwei Stunden am Morgen gelten. Neben den rund 800 Zivilisten, die sich noch in den Stadtvierteln Hamidiyeh und Bustan Al Diwan aufhalten, leben rund 1000 muslimische Familien in Khalidiyeh, Warcheh und Salibi.

Laut Fides-Dienst wollen katholische und orthodoxe Priester bei der Flucht behilflich sein. »Die Waffenruhe macht uns Hoffnung, doch wir appellieren an alle beteiligten Parteien mit der Bitte, uns so bald als möglich die so lange ersehnte Evakuierung der Zivilisten zu ermöglichen. Unter den Zivilisten befinden sich viele Frauen und Kinder und ältere Leute, die medizinische Versorgung brauchen«, zitiert die Agentur den griechisch-katholischen Priester Abdhallah Amaz aus Homs.

Fides hatte bereits am vergangenen Freitag einen dramatischen Hilferuf aus Homs verbreitet: »Laßt uns gehen, im Namen Gottes«, flehten christliche und sunnitische Familien, die sich in der Altstadt von Homs in Lebensgefahr befänden. Rund 400 Christen leben noch im historischen Zentrum, vor Beginn des Konflikts waren es über 80000. Am Dienstag erklärte der christlich-orthodoxe Priester Boutros Al-Zein gegenüber der Agentur, Zivilisten würden als »menschliche Schutzschilde« benutzt. Teile der Opposition unter Leitung von Abou Maan wollen demnach die Bewohner in der Stadt als Geiseln festhalten, »um den Vormarsch der syrischen Armee zu verhindern«. Diese hätte dagegen offiziell einer »bedingungslosen Evakuierung« zugestimmt. Das Außenministerium in Damaskus gab bekannt, der Gouverneur von Homs sei angewiesen worden, »Maßnahmen für die Evakuierung von Bürgern aus den Konfliktgebieten zu treffen«.

In anderen Orten, etwa in Qusayr in der Nähe von Homs, wurden den Angaben zufolge Kirchen von Aufständischen besetzt und zu Basislagern umfunktioniert. Vertreter der Diözese Homs forderten in einem beherzten Appell, daß »bei dem derzeitigen Konflikt Tempel und heilige Stätten der verschiedenen Glaubensgemeinschaften unberührt bleiben«.

Ein namentlich nicht genannter Vertreter der Opposition bestätigte dies gegenüber Fides: »Es ist wahr, daß die Revolutionäre in einigen Fällen Kirchen als Krankenhäuser oder vorübergehende Basislager benutzen«, so der Beobachter, »doch sie benutzen dazu auch Moscheen. Wir verurteilen die Nutzung religiöser Gebäude zu revolutionären Zwecken, doch syrische Christen haben nichts zu befürchten, denn es wird auch in Zukunft keinen Heiligen Krieg gegen sie geben.« Gleichzeitig räumte er ein, »fanatische Muslime aus der Golfregion« hätten damit begonnen, den Aufstand gegen das Regime von Baschar Al-Assad zu unterstützen. »Unsere Revolution läuft deshalb Gefahr, daß sie durch den Einfluß dieser Fanatiker entgleist.« Der Gewährsmann sei ein »weltgewandter Intellektueller« und »Vertreter der muslimischen Mittelschicht aus einer bekannten Familie in Damaskus«, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte.

* Aus: junge Welt, Freitag, 22. Juni 2012


Kirchenvertreter fordern Dialog **

Der Vatikan hat seine Kritik an der eskalierenden Lage in Syrien verschärft und zu schneller humanitärer Hilfe für die Bewohner des Landes aufgerufen. Diejenigen, die das Blutvergießen zu verantworten hätten, müßten es auch beenden, forderte Papst Benedikt XVI. am Donnerstag. Das Fortsetzen der Gewalt werde »schwere negative Konsequenzen für das Land und die ganze Region haben«, sagte der Pontifex.

Zur Überwindung der Krise in Syrien und Beendigung des Konflikts »ist es dringend notwendig, daß die Syrier sich mit vereinten Kräften um einen nationalen Dialog bemühen«, betonte Patriarch Gregor III. Laham bei der Eröffnung der Synode der griechisch-melkitischen Kirche am Dienstag im Libanon. An dem Kirchentreffen nehmen Bischöfe aus dem Nahen Osten, Europa, Amerika und Australien teil. »Wir erklären uns solidarisch mit dem syrischen Volk, das mutig nach Leben, Würde und Einheit des Landes strebt«, sagte der Patriarch laut kirchlichem Nachrichtendienst Fides, »und wünschen uns das Zusammenwirken aller sozialen und religiösen Komponenten mit dem Ziel einer globalen Reform des Landes in allen politischen, sozialen, kulturellen und administrativen Bereichen durch das Bemühen aller Syrer: Regierung, Parteien, Intellektuelle und Opposition«. Zur Position der katholischen Kirche in Syrien erklärte der Patriarch: »Wir bitten mit Nachdruck alle beteiligten Parteien im In- und Ausland, um das Mitwirken am Aufbau eines neuen Syrien, nach dem Vorbild einer pluralistischen Demokratie«. Dabei beklagte er, daß die Gewalt »jegliche Grenze überschritten hat« und »das Land zerstört«. »Unschuldige Bürger dürfen nicht in einen politischen Konflikt gedrängt werden«, so der Patriarch, »und Zivilisten dürfen nicht durch Entführungen, Morde, Erpressung und Beschlagnahme der Güter eingeschüchtert werden«.

Ungeachtet der eskalierenden Gewalt wollen die UN-Beobachter Syrien nicht verlassen. Auch wenn die Beobachter bereits mehrfach beschossen worden seien, seien sie entschlossen zu bleiben, sagte der Leiter der Mission, der norwegische General Robert Mood, am Dienstag in New York. Spekulationen über den kompletten Abbruch der Mission seien verfrüht. »Wir gehen nirgendwo hin«, bekräftigte Mood. Die Beobachtermission war am Samstag ausgesetzt worden, die UN-Mitarbeiter waren seitdem aus Sicherheitsgründen in ihren Quartieren geblieben. Um die Mission wieder aufzunehmen, müßten sowohl die Regierung als auch die Opposition den Beobachtern Bewegungsfreiheit zusichern, sagte Mood. Die Regierung habe ihm ein solches Versprechen in den vergangenen Tagen bereits gegeben, nicht aber die Opposition. (Fides/dapd/jW)

** Aus: junge Welt, Freitag, 22. Juni 2012


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