Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Russland: Hula darf kein Vorwand sein

Warnung vor militärischer Einmischung in Syrien *

Die UN-Vetomacht Russland hat nach dem Massaker im syrischen Hula davor gewarnt, das Blutbad als Vorwand für eine militärische Einmischung zu nutzen. Außenminister Sergej Lawrow warf der syrischen Opposition vor, sie wolle einen Bürgerkrieg anzetteln und so eine Intervention rechtfertigen. Der Syrienkonflikt könne nicht nur auf das Nachbarland Libanon, sondern auf die gesamte Region übergreifen, warnte Lawrow am Dienstag nach Angaben von Agenturen in Moskau.

Einige Länder fänden den Friedensplan des UN-Sondergesandten Kofi Annan hinderlich und setzten deshalb den Sicherheitsrat unter Druck, sagte Lawrow.

Die meisten Opfer des Massakers in der syrischen Ortschaft Hula wurden nach UN-Darstellung von regierungstreuen Schabiha-Milizen hingerichtet. Viele der in Hula ermordeten Kinder seien unter zehn Jahren gewesen, erklärte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, am Dienstag in Genf. Laut Augenzeugen habe es sich um Massenerschießungen gehandelt. Die UN schätzen die Zahl der Todesopfer auf mindestens 108. Weniger als 20 der getöteten Männer, Frauen und Kinder seien durch Panzer oder Artilleriebeschuss ums Leben kamen.

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und der Syrien-Sondergesandte der UN und der Arabischen Liga, Kofi Annan, forderten, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, erklärte, der Angriff auf das Dorf sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Aus Protest gegen das Massaker von Hula haben mehrere Staaten die syrischen Botschafter ausgewiesen. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien sowie die USA wiesen die bei ihnen akkreditierten syrischen Top-Diplomaten an, in ihre Heimat zurückzureisen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 30. Mai 2012


Vorbild Jemen

Von Olaf Standke **

Vor gut einer Woche hatte sich ein Al-Qaida-Attentäter in Sanaa mitten in der Generalprobe für die Parade zum Nationalfeiertag in die Luft gesprengt. Fast 100 Soldaten starben. Seitdem vergeht kein Tag ohne Meldungen über Kämpfe und Anschläge in Jemen, das im Landessüden inzwischen zu großen Teilen unter der Kontrolle der Terroristen steht. Zuletzt sollen über 70 von ihnen bei Luftangriffen getötet worden sein [siehe Kasten]. Im Norden wiederum eskalierte der politisch wie religiös motivierte Aufstand schiitischer Houthi-Rebellen wiederholt zum Bürgerkrieg. Kein Wunder, dass Jemen das Armenhaus Arabiens ist, in dem sechs Millionen Menschen unter Hunger leiden - jeder dritte Bewohner.

Der »Arabische Frühling« führte zu keinem echten Regimewechsel. Präsident Ali Abdullah Salih, der seit 1978 herrschte, musste nach Unruhen und einem Anschlag auf sein Leben das Amt unter dem Druck Washingtons einem Stellvertreter überlassen, doch neue, demokratische Strukturen gibt es nicht. Die schwache Zentralregierung hat riesige Probleme, die Staatsgewalt gegen traditionelle Stammesstrukturen und das Terrornetzwerk durchzusetzen; letzteres trotz massiv ausgeweiteter Drohnenangriffe der USA. Und die wollen jetzt Syrien nach jemenitischem Vorbild befrieden, wie die »New York Times« zu berichten weiß.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 30. Mai 2012 (Kommentar)

Gefechte in Jemen

Über 70 Tote bei Kämpfen mit Al-Qaida-Leuten

Bei Kämpfen und Luftangriffen gegen den Ableger der Al Qaida in Jemen sind rund 70 Angehörige des Terrornetzwerks getötet worden. Zuletzt kamen bei Luftangriffen in Zentraljemen und im Osten des Landes sieben Kämpfer ums Leben, berichteten lokale Medien.
Zuvor waren bei einer Offensive der Regierungstruppen im Süden mindestens 62 Kämpfer getötet worden. Die unter dem Namen Ansar al-Scharia auftretenden Al-Qaida-Gruppen seien aus dem östlichen Teil der Stadt Sindschibar vertrieben worden, teilte das Verteidigungsministerium in Sanaa mit. Auch drei Regierungssoldaten kamen ums Leben. Die jemenitische Al Qaida hatte das Machtvakuum ausgenutzt, das im Ringen um den Abgang des früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh entstanden war. Im Süden und Südwesten konnte sie mehrere Städte und Regionen unter ihre Kontrolle bringen.
(nd, 30.05.2012)



Mord aus Nahdistanz

> Nur wenige Opfer des Massakers im syrischen Hula kamen durch Artilleriebeschuß ums Leben. UN-Sonderbotschafter Kofi Annan in Damaskus

Von Karin Leukefeld ***


Der Syrien-Vermittler der Vereinten Nationen und Arabischen Liga, Kofi Annan, hat am Dienstag in Damaskus Gespräche mit der Regierungsseite sowie mit ausgewählten Vertretern der Opposition geführt. Bei einem Treffen mit Außenminister Walid al-Mouallem wurde über die Umsetzung des Sechs-Punkte-Plans gesprochen, der ein Ende der Gewalt in Syrien und die Aufnahme eines Dialogs zwischen Regierung und der Opposition vorsieht. An dem Treffen nahmen auch der Leiter der UN-Mission, General Robert Mood, sowie der stellvertretende Außenminister Faysal Mekdad teil.

Außenminister Mouallem informierte Annan laut Nachrichtenagentur SANA über eine Reihe von Reformschritten, die die Regierung eingeleitet habe. Die Umsetzung werde durch anhaltende Gewalt bewaffneter Gruppen verhindert, deren Ziel es sei, Syrien ins Chaos zu stürzen. Mouallem betonte die Bereitschaft der Regierung, der UN-Mission zum Erfolg zu helfen. Allerdings müsse Annan auch diejenigen auf seine Mission verpflichten, die den Sechs-Punkte-Plan ablehnten und die bewaffnete Gruppen in Syrien finanzierten und bewaffneten. Annan seinerseits begrüßte die Entscheidung der syrischen Regierung, das Massaker in Hula zu untersuchen, bei dem am vergangenen Freitag 108 Menschen getötet worden waren. Der syrische Nationalrat und andere Oppositionelle machen die Regierung verantwortlich, die wiederum nennt »Terroristen der Al-Qaida« als Täter.

Rupert Colville, Sprecher des UNKommissariats für Menschenrechte, sagte, die meisten Opfer des Massakers seien »aus nächster Nähe« ermordet worden. Es habe sich um »Massenexekutionen an zwei getrennten Orten« gehandelt. Alles deute daraufhin, daß »ganze Familien in ihren Häusern erschossen wurden«. Weniger als 20 Personen seien durch Artilleriebeschuß getötet worden. Colville bezog sich auf Untersuchungen der UN-Beobachter. Am späteren Dienstag vormittag traf Kofi Annan mit Präsident Baschar Al- Assad zusammen. Dieser hat das Außenministerium mit der Umsetzung der UN-Mission beauftragt. Assads Beraterin Bouthaina Schaaban ist für den Dialog mit Vertretern der Opposition zuständig. Annans Sprecher Ahmed Fawzi erklärte, Annan habe gegenüber Präsident Assad die »tiefe Besorgnis der internationalen Gemeinschaft über die Gewalt in Syrien« zum Ausdruck gebracht.

Anschließend sprach Annan mit Oppositionsvertretern in Damaskus. Wer eingeladen war, wurde vorab nicht bekannt. George Jabbour, Vorsitzender der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, sagte (im Telefonat mit der Autorin am Dienstag), seine Organisation habe »die UN-Mission mehrfach angesprochen und um ein Treffen gebeten«, aber keine Antwort erhalten. Die zivilgesellschaftliche Organisierung in Syrien sei »nicht sehr stark, aber vorhanden«, so Jabbour weiter: »Nichtregierungsorganisationen in Syrien sollten sowohl von der UN als auch von der Regierung, aber auch von den Oppositionsgruppen in den Prozeß einbezogen werden.«

Mittlerweile sind rund 300 unbewaffnete militärische UN-Beobachter in Syrien, sie sind in acht großen Städten stationiert. Ein Team von rund 60 zivilen UN-Mitarbeitern bereitet gleichzeitig den politischen Dialog zwischen Regierung und Opposition vor. Der derzeit in Paris lebende Oppositionelle Michel Kilo von der Syrischen Demokratischen Plattform schlug (im Gespräch mit der Autorin) eine Ausweitung der Annan-Mission vor. Die Zahl der Beobachter solle »auf 1 000 bis 3 000 erhöht werden.« Sie sollten auch in den Kleinstädten und Dörfern stationiert werden, so Kilo. Die Kompetenzen der UN-Beobachter müßten erweitert werden; so sollten sie »in den Gefängnissen, in Krankenhäusern und überall dort präsent sein, wo die Geheimdienste agieren.«

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Mai 2012


Berlin wird Kriegspartei

Von André Scheer ****

Die deutsche Bundesregierung hat jede diplomatische Zurückhaltung aufgegeben und sich offen auf die Seite der Aufständischen in Syrien gestellt. Ohne eine vom UN-Sicherheitsrat angemahnte Untersuchung des Massakers vom vergangenen Freitag in der Ortschaft Hula abzuwarten, wies sie am Dienstag den syrischen Botschafter Radwan Loutfi aus. Als »Persona non grata« habe er 72 Stunden Zeit, Deutschland zu verlassen, teilte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) mit: »Das syrische Regime trägt für die schrecklichen Vorkommnisse in Hula Verantwortung. Wer dort und anderswo in Syrien unter Mißachtung von Resolutionen des Sicherheitsrates schwere Waffen gegen das eigene Volk einsetzt, muß mit ernsten diplomatischen und politischen Konsequenzen rechnen.« Offen forderte Westerwelle einen Regime Change in Damaskus: »Syrien hat unter Assad keine Zukunft. Er muß den Weg für einen friedlichen Wandel in Syrien freimachen.« Praktisch zeitgleich vollzogen die Regierungen der NATO-Staaten USA, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien und Kanada ähnliche Schritte.

Ungefragt drängelte sich am Dienstag der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, vor und bot die Entsendung deutscher Soldaten nach Syrien an, vorerst im Rahmen der laufenden UN-Beobachtermission. »Dies ist der Beitrag Deutschlands, die Bemühungen der Vereinten Nationen und ihres Sondergesandten Kofi Annan zur Überwindung der politischen und humanitären Krise in Syrien zu unterstützen«, so Mißfelder. Diese jedoch sind dem Westen gerade im Weg, vermutet der Korrespondent der kubanischen Agentur Prensa Latina in Damaskus, Luis Beaton. »Die bewaffneten Banden versuchen mit allen Mitteln, den Plan des UN-Gesandten Kofi Annan zu begraben und sind gegen eine politische Lösung der Krise in Syrien«, schreibt er und zitiert aus einer Erklärung des »Syrischen Nationalrates« (SNR), der Annan-Plan solle »zum Teufel gehen«.

Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow kritisierte, »einige Länder« wollten die jüngsten Ereignisse als Vorwand für militärische Aktionen gegen Syrien mißbrauchen. Der An­nan-Plan sei ihnen im Weg, weshalb sie Druck auf den Sicherheitsrat ausübten, so Lawrow bei einer Pressekonferenz in Moskau. Dem SNR, in dem sich die vom Ausland aus gegen die Regierung in Damaskus operierende Opposition zusammengeschlossen hat, warf er »unverhüllte Aufwiegelung zu einem Bürgerkrieg« vor. SNR-Chef Burhan Ghalioun hatte zuvor alle syrischen Oppositionskräfte aufgefordert, den Kampf fortzusetzen, bis der Sicherheitsrat einem militärischen Eingreifen grünes Licht gebe. Der französische Außenminister Laurent Fabius wollte am Dienstag nur eine Bodenoffensive »zum jetzigen Zeitpunkt« ausschließen. »Die syrische Armee ist schlagkräftig«, begründete er dies in einem Interview mit der Zeitung Le Monde.

Vor diesem Hintergrund äußerte der stellvertretende UN-Botschafter Rußlands, Alexander Pankin, gegenüber Ria-Nowosti die Vermutung, »ausländische Geheimdienste« könnten hinter dem Massaker von Hula stecken. »Wir können uns unmöglich vorstellen, daß so etwas den Interessen der syrischen Regierung entspricht, besonders vor dem Besuch Kofi Annans«, sagte er. »Das entspricht den Interessen der Kräfte, die für einen bewaffneten Kampf auftreten, um den Friedensprozeß zu stören.«

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Mai 2012


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Jemen-Seite

Zurück zur Homepage