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Angst vor Veteranen

Aus der EU ziehen ungehindert Hunderte Islamisten in den Krieg gegen Syrien. Jetzt sorgen sich die Geheimdienste über deren Rückkehr

Von Karin Leukefeld *

Deutsche Islamisten sollen im Norden Syriens ein eigenes Ausbildungslager haben. Das geht aus einem als »geheim« eingestuften Lagebericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz hervor, aus dem der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe zitiert. Angeblich sollen sich bis zu 200 deutschsprachige Kämpfer in einem »German Camp« auf ihren Einsatz im Krieg in Syrien vorbereiten. Bereits im September hatte Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen dem Deutschlandfunk kundgetan, seine Behörde wisse von etwa 170 deutschen Muslimen, die sich den islamistischen Kampfverbänden in Syrien angeschlossen hätten. Der Leiter des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen, Burkhard Freier, sagte dem ZDF, man wisse, daß auch Minderjährige unter den deutschen Islamisten seien. Mitte Oktober hatte der Geheimdienst in Paris von 400 französischen Islamisten in Syrien berichtet. Nach jW vorliegenden Informationen war der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND, Gerhard Schindler, diesem Jahr schon fünfmal in Damaskus.

Die europäischen Geheimdienstler sorgen sich allerdings weniger um das, was diese Kämpfer in Syrien tun, besorgt ist man vor allem, »weil diese Personen vermutlich wieder zurückkommen werden«, wie Maaßen gegenüber dem Deutschlandfunk geäußert hatte. »Sie werden wahrscheinlich Kampferfahrung haben, sie werden möglicherweise sogar einen Auftrag haben, einen terroristischen Auftrag.«

Ähnliche Sorgen machen sich offenbar alle Geheimdienste in der EU, wie aus einem nichtöffentlichen Bericht (»Nur für den Dienstgebrauch«) über ein Briefing der europäischen Geheimdienstbehörde INTCEN hervorgeht. Die ist aus dem ehemaligen »EU-Lage- und Analysezentrum« hervorgegangen und gilt als nachrichtendienstliches Drehkreuz des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD). Dem junge Welt vorliegenden Report zufolge wird allein die Zahl der Kämpfer der Al-Nusra-Front (Jabhat Al-Nusra – JaN) in Syrien mit »5–7000« eingeschätzt, insgesamt sollen sich demnach 10000 »gewaltbereite Dschihadisten in Syrien« aufhalten. »Mit vertrauensbildenden Maßnahmen versuche JaN die Herzen und Köpfe der Bevölkerung für sich zu gewinnen«, schätzt INTCEN ein. Die Al-Nusra-Front stelle »über (rück)reisende Dschihadisten« eine »direkte Bedrohung für Europa dar«. Man sei zu dem »düsteren Bild« gekommen, daß Syrien »das erste Islam. Kalifat werden könne«, lautet die Schlußfolgerung.

Der Weg der Islamisten aus Europa führt in den meisten Fällen über die türkische Metropole Istanbul, von wo es in den Südosten des NATO-Landes geht. Mit Hilfe von Aufständischen gelangen die kampfbereiten jungen Europäer in die Ausbildungslager im Norden Syriens. Türkische Grenzsoldaten greifen nicht ein. Dennoch scheint auch die Regierung in Ankara inzwischen besorgt zu sein über die wachsende Zahl islamistischer Kämpfer. Am vergangenen Donnerstag beschoß die türkische Armee ein Lager von Islamisten der Gruppe »Islamischer Staat in Irak und Syrien« (ISIS) nördlich von Aleppo. Das Militär gab an, von dort mit Mörsergranaten attackiert worden zu sein.

Bei einem Terroranschlag in der syrischen Provinz Hama wurden am Sonntag mehr als 30 Menschen getötet, darunter auch Soldaten. Dutzende wurden verletzt. Berichten zufolge hatte ein Selbstmordattentäter sein Fahrzeug in der Nähe eines Agrarunternehmens in die Luft gesprengt.

Nach langem Hin und Her scheint ein Termin für die internationale Friedenskonferenz zu Syrien festzustehen: Die Gespräche zwischen Regierung und ihren Gegnern würden am 23. November in Genf stattfinden, teilte der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil Al-Arabi, am Sonntag in Kairo nach einem Treffen mit dem Syrien-Sondergesandten Lakhdar Brahimi mit. Der warnte, die Konferenz sei ohne »glaubhafte Opposition« unmöglich.

* Aus: junge Welt, Montag, 21. Oktober 2013


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