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"Es gibt keine ausländische Lösung"

Die Geschehnisse von Hula haben ein neues Kapitel der syrischen Krise aufgeschlagen. Ein Gespräch mit George Jabbour


Der Historiker George Jabbour ist Vorsitzender der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen mit Sitz in Damaskus.


Kofi Annan ist in Damaskus. Worum geht es bei dem Besuch?

Die genauen Gesprächstermine sind mir nicht bekannt. Der Presse ist zu entnehmen, daß er Außenminister Mouallem und Präsident Baschar Al-Assad treffen wird. Sicherlich wird es um die syrische Krise gehen und um die Frage, wie der Plan von Kofi ­Annan umgesetzt wird. Wir hoffen, daß der Plan Syrien helfen wird, diese Krise so friedlich wie möglich zu überstehen.

Die syrische Regierung wartet noch auf die Garantie von Herrn Annan, daß diejenigen, die bewaffnete Gruppen in Syrien finanzieren und ausrüsten, ihre verbindliche Zusage zu dem Plan geben.

Diese Forderung der syrischen Regierung ist lange bekannt. Syrien hat mehrmals darauf hingewiesen, daß bestimmte Staaten in der Region sich ebenso wie Syrien auf die Umsetzung des Annan-Plans verpflichten müssen.

Gibt es neue Informationen über die Umstände des Massakers in Hula?

Was geschehen ist, ist sehr beunruhigend. Jeder in Syrien muß sich klar darüber werden, daß die Syrer dafür verantwortlich sind. Die Getöteten sind Syrer, die getötet haben, sind Syrer. Es ist ein Verbrechen, daß das Gewissen aller Syrer mobilisieren muß. Sie müssen friedlich bleiben und zusammenarbeiten, um eine Lösung zu finden. Es gibt keine ausländische Lösung für Syrien. Das Ausland kann helfen, aber der Frieden in Syrien und politische Veränderung liegen ausschließlich in der Verantwortung der Syrer. Alle müssen aufhören zu schießen. Ich bin überzeugt, daß wir internationale Unterstützung brauchen, so, wie der Annan-Plan es vorsieht. Der UN-Sicherheitsrat, die UN-Beobachter und Kofi Annan sind mit dieser internationalen Unterstützung beauftragt. Die syrische Führung muß ihrer Verantwortung ebenso gerecht werden, wie die bewaffneten Kräfte auf der anderen Seite. Auch ihnen sind Verpflichtungen auferlegt worden, an die sie sich halten müssen.

Sowohl die UN als auch die syrische Regierung haben Untersuchungen angekündigt.

Ja, das ist richtig. Wir erhoffen uns davon eine Aufklärung. Die syrische Regierung hat eine Kommission eingerichtet, Offiziere und Richter; wir erwarten den Bericht am Donnerstag. Die syrische Regierung hat bereits erklärt, daß diejenigen, die diese Morde begangen haben, vor ein Gericht gehören und bestraft werden müssen. Was in Hula geschehen ist, hat ein neues Kapitel unserer Krise aufgeschlagen. Es muß ernsthaft untersucht werden, und es muß eine Bestrafung geben. Wenn das geschieht, sind wir auf dem richtigen Weg für eine friedliche Lösung.

Manche begrüßen die UN-Mission in Syrien, aber es gibt auch viel Mißtrauen.

Diese Art von UN-Mission ist für Syrien völlig neu. So etwas gab es bei uns noch nie. Die Rolle der UN ist sehr wichtig, um Frieden in Syrien wiederzuerlangen. Aber gleichzeitig will ich keinen Hehl daraus machen, daß ich mich über diese Mission nicht freue. Mir wäre es viel lieber gewesen, wenn wir Syrer selber in der Lage gewesen wären, diese Krise zu lösen, ohne UN-Intervention. Die UN-Mission ist das Ergebnis davon, daß wir nicht zusammenarbeiten. Der UN-Sicherheitsrat hat nun das Sagen, weil wir keine andere Lösung gefunden haben.

Seit einiger Zeit schon gibt es Stimmen, die die Annan-Mission ablehnen. Jetzt, nach dem, was in Hula geschehen ist, werden die Rufe nach einer Militärintervention wieder lauter.

Ja, diese Meinungen sind mir bekannt. Aber Kofi Annan sieht das anders, sonst wäre er kaum jetzt nach Syrien gekommen. Der UN-Sicherheitsrat stützt Annan und seine Mission und ruft nicht nach einer NATO-Intervention. Die Krise in Syrien kann nur friedlich gelöst werden. Die Erfahrungen, die Libyen gemacht hat, ermuntern niemanden, das in Syrien zu wiederholen. Wir müssen zusammenarbeiten als Syrer, dafür muß jetzt der UN-Sicherheitsrat sorgen. Möglicherweise sollte der UN-Sicherheitsrat selber den Vorsitz eines innersyrischen Dialogs übernehmen.

Interview: Karin Leukefeld

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Mai 2012


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