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Kanonenboote vor Syriens Küste

Bundesmarine mit fünf Schiffen im Einsatz / UN-Experten beenden Untersuchung

Von Christian Klemm *

Der Westen ist zur Intervention in Syrien entschlossen. Die Kriegsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Ein Aufmarschgebiet ist das Mittelmeer, wo sich Schiffe aus mehreren Ländern tummeln.

Schwarz-Gelb will einen Krieg gegen Syrien möglichst vermeiden. Das jedenfalls versucht die Regierung der deutschen Öffentlichkeit weiszumachen. Nicht ohne Grund, schließlich wird in etwa vier Wochen ein neuer Bundestag gewählt, und die Bürger lehnen ein militärisches Eingreifen des Westens in Nahost mehrheitlich ab. Doch bei dem Waffengang könnte die Bundesrepublik eine aktive Rolle spielen. Zumal militärisches Gerät bereits vor Ort ist.

Die Bundesmarine ist mit dem Flottendienstboot »Oker«, der Fregatte »Sachsen«, dem Tender »Mosel« und den beiden Schnellbooten »Frettchen« und »Wiesel« in der Nähe der syrischen Küstengewässer im Einsatz. Außerdem sind etwa 100 Kilometer von Syrien entfernt Patriot-Raketen stationiert. Sie könnten unter Umständen näher an die türkisch-syrische Grenze verlegt und so zur Durchsetzung einer Flugverbotszone verwendet werden.

In der Zwischenzeit zeigen auch andere Staaten militärische Präsenz im Mittelmeer. So verlegt Russland Kriegsschiffe in Richtung Syrien. Der Raketenkreuzer »Moskwa« und ein U-Boot-Abwehrschiff sollten sich zum Schutz der russischen Marinebasis in Tartus vor der Küste bereithalten, sagte ein Sprecher der Kriegsmarine am Donnerstag. Der Lenkwaffenkreuzer »Warjag« soll sich demnächst in das Gebiet aufmachen. »Die sich zuspitzende Lage in der Region erfordert eine verstärkte Präsenz«, gab der Mann zu Protokoll.

Im Mittelmeer ist die US-Marine mit mehreren Schiffen präsent: den Zerstörern »USS Mahan«, »USS Barry«, »USS Gravely« und »USS Ramage«. Großbritannien soll vor Ort ein Atom-U-Boot im Einsatz haben. An einer britischen Übung nehmen das Landungsschiff »Bulwark«, der Hubschrauberträger »Illustrious« und die Fregatten »Westminster« und »Montrose« teil. Berichtet wird außerdem, dass Frankreichs Militärführung die Fregatte »Chevalier Paul« in das östliche Mittelmeer entsendet habe. Der Flugzeugträger »Charles de Gaulle« soll nach offiziellen Angaben vorerst im Mittelmeer-Hafen von Toulon bleiben.

Der Westen macht die Regierung von Baschar al-Assad für einen Giftgasangriff verantwortlich, der hunderte Menschen das Leben gekostet haben soll. Wer den Einsatz angeordnet hatte, konnte bisher nicht geklärt werden. Seit Tagen untersuchen Inspekteure der Vereinten Nationen den Ort nahe Damaskus. Generalsekretär Ban Ki Moon gab bekannt, dass die Experten heute ihre Untersuchung beenden.

Unterdessen haben die Angriffspläne der britischen Regierung einen Dämpfer erhalten. Premier David Cameron musste auf Druck der Opposition sein Vorhaben zurücknehmen, noch am Donnerstag eine parlamentarische Absicherung für eine mögliche Beteiligung an einem Militärschlag gegen Assad zu erreichen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 30.08.2013


Rückschlag für Obama

Der US-Präsident muß seinen Zeitplan für Militäraktionen gegen Syrien ändern und verspricht jetzt einen ganz kleinen und kurzen Krieg

Von Knut Mellenthin **


Der scheinbar so klare, auf hohes Tempo orientierte Kriegsplan der US-Regierung gegen Syrien ist ins Stocken geraten. Während es am Mittwoch noch so schien, als wäre mit dem Beginn der Angriffe schon am Wochenende zu rechnen, sind Militärschläge nun wohl nicht vor Dienstag nächster Woche zu erwarten. Das ergibt sich aus dem Ablauf, auf den sich der britische Regierungschef David Cameron am Mittwoch abend festlegte. Demnach soll es zwei getrennte Abstimmungen im Unterhaus geben, das eigens aus den Ferien zurückgerufen wurde. Das erste Votum – über die Verurteilung des Giftgaseinsatzes vom 21. August – wurde am späten Abend des gestrigen Donnerstags erwartet. Über die Beteiligung Großbritanniens an Kriegshandlungen sollen die Abgeordneten jedoch erst abstimmen, wenn der Bericht der UN-Inspektoren vorliegt, die sich derzeit zur Untersuchung des mutmaßlichen Massenmordes in der Umgebung der syrischen Hauptstadt Damaskus aufhalten. Das wird voraussichtlich nicht vor dem Wochenende, vermutlich erst Anfang nächster Woche der Fall sein.

Vordergründig geht es bei der dadurch bedingten Verschiebung des Angriffsbeginn nur um wenige Tage. Als Hintergrund werden aber grundsätzliche Probleme deutlich, in die sich Barack Obama und seine europäischen Verbündeten mit ihrer überhasteten Kriegstreiberei selbst hineinmanövriert haben. Als der US-Präsident ziemlich genau ein Jahr vor dem Massaker, am 20. August 2012, verkündete, daß die syrische Führung mit einem eventuellen Einsatz chemischer Kampfstoffe eine »rote Linie« überschreiten würde, sprach er kaum verborgen eine Einladung an die syrischen Rebellen, an ausländische Terrorgruppen und nicht zuletzt an die Geheimdienste interessierter Staaten der Region aus: Wer ein militärisches Eingreifen der USA herbeiführen wollte, mußte lediglich halbwegs geschickt ein Massaker mit Giftgas inszenieren und vielleicht noch Vorkehrungen treffen, um das Verbrechen der syrischen Regierung anzulasten.

Die Eile, mit der Obama, aber auch Cameron und die französische Regierung kaum eine Stunde abwarteten, bevor sie mit angeblich absoluter Sicherheit Syriens Präsidenten Baschar Al-Assad als Schuldigen anprangerten, demonstriert, wie hochwillkommen diesen Politikern der Vorfall war. Ihre Eile resultierte wohl auch aus der ursprünglichen Absicht, die Bevölkerung ihrer eigenen Länder ebenso zu überrumpeln wie die internationale Öffentlichkeit – und einer Untersuchung durch die UNO militärisch zuvorzukommen. Daß die allerersten »Hinweise« für die Konstruktion einer Schuldzuweisung an Assad gerade von israelischen Geheimdiensten kamen, wie die neokonservativen FoxNews am Donnerstag meldeten, ist ein interessanter Nebenaspekt, den man im Auge behalten sollte.

Von der zynischen Wahnvorstellung, einen Krieg nicht einmal mehr auf gefälschte Indizien, sondern nur noch auf bloße, zudem kraß unlogische Behauptungen stützen zu können, haben sich die Hauptakteure offenbar mittlerweile verabschiedet. Vielleicht noch am Donnerstag abend werde das Weiße Haus seine »Beweise« veröffentlichen, hieß es plötzlich. Vorab wurden einige Medien aus Regierungskreisen darauf vorbereitet, daß man jedoch kein »smoking gun«, keine wirklich zwingende Beweisführung gegen Assad, erwarten dürfe.

Mit seinem Vorgehen hat Obama schon jetzt den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon öffentlich bloßgestellt, der den USA an sich so wohlgesonnen ist wie kaum einer seiner Vorgänger. Aber daß der US-Präsident Schuldsprüche in die Welt setzt, während die UNO noch untersuchen läßt, und nicht einmal verheimlicht, daß ihm völlig egal ist, zu welchen Ergebnissen die internationalen Inspektoren kommen, ist denn doch ein zu starkes Stück. Am Mittwoch versuchte Obama, den Kritikern im eigenen Land den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er versprach, es werde sich nur um klitzekleine, »maßgeschneiderte« Militärschläge handeln. Aber das ist entweder eine Lüge oder das Eingeständnis, daß der Friedensnobelpreisträger sich verrechnet hatte.

** Aus: junge welt, Freitag, 30.08.2013


Kriegsbeginn verschoben

Großbritannien will Beteiligung an Militärschlägen gegen Syrien vom Votum des Unterhauses abhängig machen. Auch US-Abgeordnete und Senatoren fordern Abstimmung

Von Knut Mellenthin ***


Die britische Regierung will zunächst den Untersuchungsbericht der UNO über das Giftgasmassaker in Syrien abwarten, bevor sie im Unterhaus über eine Kriegsbeteiligung abstimmen läßt. Das kündigte Premier David Cameron am Mittwoch abend an. Damit verzögert sich der Angriffsbeginn der USA und ihrer Verbündeten, der zum Wochenende erwartet worden war, voraussichtlich zumindest um mehrere Tage. Nach Aussagen von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sollen die internationalen Inspektoren ihre Arbeit am Freitag beenden und Syrien am Sonnabend verlassen. Ihr Bericht wird kaum vor Anfang nächster Woche vorliegen.

Das russische Außenministerium unterstützte am Donnerstag die Aufforderung der syrischen Regierung an die UNO, die Inspektoren noch einige Tage länger dort zu lassen, um auch einige weitere, kleinere Giftgaseinsätze zu untersuchen. Die US-Regierung hat sich sofort dagegen ausgesprochen und behauptet, es handele sich nur um einen Versuch, Zeit zu gewinnen.

Mit der Änderung seines Zeitplans reagierte Cameron auf die Kritik aus allen politischen Lagern am bisherigen Vorgehen. Sogar in seiner eigenen Konservativen Partei sind, einem Bericht der Tageszeitung Guardian zufolge, bis zu 70 Abgeordnete von den Argumenten für einen Krieg gegen Syrien »nicht überzeugt«. Cameron muß auch dafür sorgen, daß die Liberaldemokraten, mit denen sich die Konservativen in einer Regierungskoalition befinden und die vor zehn Jahren gegen den Irak-Krieg gestimmt hatten, diesmal »im Boot bleiben«.

Die Verschiebung der Abstimmung bis zum Vorliegen des UN-Berichts ist aber in erster Linie ein Zugeständnis an die oppositionelle Labour Party. Sie hatte als erste dieses Verfahren gefordert. Ob sie wirklich gegen den Krieg stimmen will, hält sich die Parteiführung jedoch noch offen. Sicher scheint, daß Labour in der entscheidenden Unterhaussitzung eine Ergänzung des Regierungsantrags einbringen wird. Darin soll hauptsächlich die Rolle der UNO betont werden. Welchen praktischen Nutzen das haben könnte, falls man gleichzeitig die Zusammenarbeit mit Rußland durch Kriegshandlungen gegen Syrien belastet, ist unklar.

Möglicherweise wird auch Barack Obama entgegen seiner bisherigen Absicht um eine Abstimmung seines Kriegsplans im Kongreß nicht herumkommen. 116 Abgeordnete und Senatoren, mehrheitlich Republikaner, erheben diese Forderung in einem offenen Brief an den Präsidenten. Daneben hat der republikanische Sprecher des Abgeordnetenhauses, John Boehner, einen weiteren offenen Brief an Obama gerichtet. Er fordert ihn darin auf, öffentlich zu erklären, was er sich von den geplanten Angriffen verspricht, und äußert zugleich seine Besorgnis, daß der Präsident die USA in einen ungewollten Krieg verwickeln könnte.

Nach Meldungen eher zweifelhafter Quellen soll Ägyptens Verteidigungsminister und Chef des Militärregimes, Abdal Fattah Al-Sisi, angekündigt haben, daß sein Land den Suezkanal für Kriegsschiffe der USA und Großbritanniens sperren werde. Diese Gerüchte wurden von ägyptischen Medien bisher nicht bestätigt. Sicher ist jedoch, daß Ägyptens Vertreter sich am Dienstag bei einem Treffen der Arabischen Liga gegen Obamas Kriegsabsichten ausgesprochen hat. Außer ihm äußerten auch Algerien, Libanon und Irak starke Bedenken. Die vom Weißen Haus angestrebte Unterstützung der Liga für eine direkte Militärintervention des Westens kam nicht zustande.

*** Aus: junge welt, Freitag, 30.08.2013


Wunschdenken

Kurze US-Intervention in Syrien

Von Rainer Rupp ****


Diesmal wollen die USA Syrien mit einer »Koalition der Willigen« mit Bomben und Raketen überfallen. Von Krieg ist jedoch keine Rede, nur von einer auf einige Tage begrenzten »Strafaktion«, die für die Angreifer ungefährlich und natürlich kontrollierbar ist. Die Kriegstreiber gehen offensichtlich davon aus, daß die syrische Regierung die Luftangriffe ohne Gegenwehr einfach hinnimmt.

Was passiert aber, wenn die syrischen Streitkräfte zum Beispiel mit einer Rakete ein US-Kriegsschiff versenken, oder US-Soldaten auf dem F-16-Militärstützpunkt im benachbarten Jordanien damit treffen? Wird es dann eine Eskalation gegen Syrien geben? Und was ist mit Iran? Wird Teheran sich wegducken und tatenlos zusehen, wie es vom Westen weiter in die Isolation und Enge getrieben wird, oder wird es proaktiv seine Verbündeten im Irak und Libanon gegen US- und westliche Interessen mobilisieren?

Selbst bei sogenannten begrenzten Luftangriffen besteht die Gefahr, daß die ganze Großregion einem Flächenbrand zum Opfer fällt. Dabei gerieten die westlichen Großmächte zunehmend in Frontstellung zu China und Rußland, deren vitale Interessen in der Region durch das abenteuerliche und unverantwortliche Vorgehen Washingtons mit Füssen getreten werden. Was passiert z.B., wenn Moskau Syrien weiter mit modernen Waffen gegen die US-Angreifer beliefert? Oder wird es Peking einfach hinnehmen, wenn es von einem guten Teil seiner Öleinfuhren aus Iran und dem Persischen Golf durch US-Provokationen abgeschnitten wird? Was geschieht, wenn die Krise überschwappt und zur Schließung der Straße von Hormus führt, über die auch die westliche Welt sehr viele ihrer Öleinfuhren deckt? Angesichts dieser Gefahr sind die Preise für Öl in den vergangenen Tagen wieder sprunghaft gestiegen. Höhere Energiepreise aber sind das Letzte, was die sieche Weltwirtschaft derzeit braucht.

Es gibt erste Anzeichen, daß man sich auch in Washington der vielschichtigen Risiken einer offenen Militärintervention gegen Syrien bewußt wird, zumal diese kaum von Vorteilen aufgewogen werden. Die vom Westen, von Katar, Saudi- Arabien und der Türkei aufgepeppelten islamistischen Terroristen zum Sieg über die legitime Regierung des Landes zu führen, kompensiert sicher nicht für verschlechterte Beziehungen mit China und Rußland. Aber selbst mit westlicher Hilfe ist der Sieg der sogenannten Rebellen fraglich.

Nach Irak und Libyen wird sich das neoliberale Mantra der Kriegstreiber von der kreativen Zerstörung auch in Syrien als Katastrophe für die USA erweisen. Bleibt als Kriegsgrund nur noch die »Glaubwürdigkeit« der Drohung des US-Präsidenten mit der »roten Linie«. Die ist mit der eines Schutzgeld eintreibenden Mafia-Bosses zu vergleichen, dessen Geschäftsmodell zusammenbricht, wenn er einen säumigen Zahler davonkommen läßt.

**** Aus: junge welt, Freitag, 30.08.2013 (Kommentar)


Den Krieg nur vertagt?

Von Roland Etzel *****

Was immer du tust, bedenke das Ende« – sollte diese Weisheit des klassischen Altertums die (Syrien)-kriegserpichte »Koalition der Willigen« zum Innehalten bewogen haben? Dies aus den jüngsten Verlautbarungen abzulesen, wäre fahrlässig. Ohne dass die UN-Inspekteure in Syrien bisher auch nur einen Zwischenbericht vorlegen konnten, standen die öffentlichen Eiferer einer Strafaktion gegen Assad auch am Donnerstag wieder ganz oben auf der medialen Barrikade und schrien – in vermeintlich sicherer Etappe – den Erstschlag herbei.

Dennoch: Es wurde zwar das gleiche verlangt wie an den Tagen zuvor, nicht aber von denselben Leuten. Die momentan erste Reihe der bellizistischen Front ist nicht die mit der Lizenz zum Krieg. Der Brite Cameron zögert, möchte erst den Segen seines Parlaments. Paris will nun doch den Bericht der Inspekteure abwarten – obwohl sein Außenminister Fabius angeblich schon vorige Woche alle nötigen Beweise hatte. Elysée-Chef Hollande sprach gestern sogar von der Notwendigkeit einer politischen Lösung. Auch wenn man bei ihm wohl sicher sein darf, dass er es so nicht meint, es ist ein neuer Zungenschlag.

Warum also der Tanz ums Goldene Ei? Ein Funken Vernunft oder doch nur retardierendes Moment vor dem tödlichen Akt? Die Hoffnung darauf sollte nicht zu hoch gebaut werden. Am Ende entscheidet Obama. Der wohl zögert, weil er weiß, dass ihm dieser Krieg nichts bringen wird – egal wie laut oder leise sich die Trittbrettfahrer heute gebärden.

***** Aus: neues deutschland, Freitag, 30.08.2013 (Kommentar)


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