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Der einsame Tanz des Derwischs

Im alten Basar von Damaskus gibt es nur noch wenige Gäste aus dem westlichen Ausland

Von Karin Leukefeld *

Der 11. September 2001 hat das Leben verändert, auch im Mittleren Osten. Vorurteile in westlichen Medien und Politik schüren Ängste. In der syrischen Hauptstadt Damaskus bleiben Gäste aus. Die Kriege in Irak, Libanon und Palästina belasten auch den Tourismussektor.

»Rosenwasser, Orangenblüten, Zedernöl!« Unaufdringlich werbend bietet der Verkäufer seine Kostbarkeiten an. Der schmale Mann in seinem schwarzen Anzug ist kaum zu sehen hinter den Flaschen und Karaffen seines kleinen Marktstandes. Die strahlend erleuchtete Seitengasse des Suk al-Hamidiye in der Damaszener Altstadt zweigt von einem Seitentor der Omajaden Moschee in den Gewürzmarkt ab. Dahinter liegt das alte Judenviertel.

Adnan al-Akkad hat den Marktstand von seinem Vater geerbt. Er hofft, dass eines Tages sein Sohn die Arbeit mit den arabischen Wohlgerüchen fortsetzen wird. Der eigentliche Verkauf laufe über seine Fabrik, erzählt er bereitwillig. Ein Mann, der wenige Schritte entfernt dem Gespräch offensichtlich interessiert zuhört, stört ihn nicht. Er exportiere seine Waren in fast alle Nachbarländer Syriens, sagt Herr Akkad. Nur nicht in den Irak, fügt er hinzu. »Sie wissen doch, wie es dort zugeht?« Die jüngsten Kriegsgerüchte aus Israel stören ihn nicht, meint er. Es sei noch nicht lange her, da habe es geheißen, es gebe Friedensverhandlungen zwischen Israel und Syrien. »Die Medien schreiben, wie sie wollen.« Alle Syrer wollten Frieden, in Libanon, in Palästina und in Irak. Von überall her kämen die Flüchtlinge, die Menschen seien müde vom Sterben und den Zerstörungen.

Ob Frieden mit Israel möglich sei? Herr Akkad verschränkt die Arme und reibt sich mit der rechten Hand nachdenklich das Kinn. »Nein, ich glaube es nicht«, sagt er schließlich. Israel und die Politik der USA seien schlecht, sie respektierten die Araber nicht. »Die Amerikaner sind für das alles verantwortlich, ihre Gier nach Öl ist endlos.« Herr Akkad ist tiefgläubiger Muslim, das politische Chaos im Nahen Osten ist für ihn ein Zeichen, dass das Jüngste Gericht nicht mehr fern sei. Politische Entscheidungen seien vergänglich, sagt er. »Wir müssen sehen, wie wir uns am Leben halten können, in Würde, zum Wohl unserer Kinder.«

Nicht weit entfernt vom Gewürzmarkt liegt die ältestes Brokatweberei Syriens, die Azem Schule für Seidenbrokat. Hier verdient Osman Ramadan am Webstuhl den Unterhalt für sich und seine Familie. Osman Ramadan ist 70 Jahre alt, seit 60 Jahren webt er den Seidenbrokat und gehört zu den letzten Brokatwebern in Damaskus.

Ein Handwerk stirbt aus

Wenn der Weber seine Arbeit einstellt, wird auch die Azem Schule aufhören zu existieren, sagt Marouf Khoury, der Inhaber. Die Familie Khoury ist eine bekannte, christliche Familie in Syrien und Libanon, woher auch Marouf Khoury stammt. »Dann hören wir auf, kein Brokat mehr«, sagt er schulterzuckend. »Wir haben hier im Lager noch etwa 6000 Meter Brokat. Wenn wir das verkauft haben, machen wir zu.« Für einen Meter handgewebten Brokat zahlt man bei Marouf Khoury 50 Euro. Für die aufwendige Handarbeit sei das kein hoher Preis, meint er. Die Azem Brokatweberei ist ein Familienbetrieb, früher habe man zehn Webstühle in Betrieb gehabt.

Heute werde Seidenbrokat maschinell gewebt, erzählt er. Der so hergestellte Stoff sei bei weitem nicht so schön, wie das weiche, knitterfreie, waschbare und von Hand gefärbte und gewebte Tuch. Die Stoffe seien mit Gold- oder Silberstreifen durchwirkt, mit bis zu sieben Farben. »Früher nahmen wir echtes Gold, heute sind die Fäden nur von Gold umhüllt«, erklärt Marouf Khoury. Aus den kostbaren Stoffen werden Tücher und Schals, Krawatten und Westen gefertigt. Auf Wunsch werden Jacken oder Kleider nach Maß geschneidert. Auch für Kissenbezüge, als Gardinen oder Bezugsstoffe für Möbel wird der Seidenbrokat verarbeitet. Der Empfangssaal des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist komplett mit Brokat aus der Azem Weberei dekoriert.

Es gibt eine Fülle von Mustern, manche sind Jahrzehnte alt. Wie zum Beispiel ein Design, das Anfang der 1950er Jahre für die Hochzeit der britischen Königin entworfen wurde. »Unser damaliger Präsident gab es in Auftrag, als Geschenk. Wir fertigten 15 Meter weißen und 15 Meter schwarzen Brokat. Weiß für das Hochzeitskleid und schwarz für die Abendgarderobe.« Herr Khoury zieht aus dem hohen Stapel farbenprächtiger Stoffballen einen hervor. »So sieht er aus, wir nennen es das Königin Elisabeth Design, das Design mit den Liebesvögeln.« Noch immer sei es für junge Frauen, sofern sie es sich leisten können, ein beliebtes Design für das Hochzeitskleid. »Die Liebesvögel symbolisieren die Liebe, die sie das ganze Leben begleiten sollen. Hoffentlich«, fügt er noch hinzu und lacht leise vor sich hin.

Die Kunst des Brokatwebens möchte heute niemand mehr erlernen, bedauert Marouf Khoury. »Wir haben versucht, junge Männer zu finden, um sie in das Handwerk einzuweisen. Doch nach ein paar Wochen machen sie sich auf und davon.« Möchten nicht junge Frauen das Handwerk erlernen? »Oh, nein!« Wie aus einem Munde wehren Herr Khoury und Osman Ramadan, der Weber, die Frage ab. »Es ist für sie viel zu schwer.« 35 Kilogramm stemmt Osman Ramadan jedes Mal, wenn er die Pedale für die Schäfte des Webstuhls in Gang setzt. Für einen Zentimeter tritt er die Pedale 50 Mal, pro Tag webt er, je nach Schwierigkeitsgrad des Musters, bis zu einem Meter Brokat. Dafür erhält er 1200 Syrische Pfund (etwa 20 Euro). Für Syrer ist das kein schlechter Lohn, doch angesichts der allgemeinen Teuerung in Syrien reicht das Geld kaum aus, eine Familie zu ernähren.

Eine neue Zeitrechnung

»Vorher kamen unsere Kunden aus aller Welt«, erzählt Marouf Khoury. »Touristen und Geschäftsleute aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien. Viele kamen aus den USA, doch nun dürfen sie nicht mehr nach Syrien kommen.« Vorher und nachher, im syrischen Tourismusbetrieb gibt es eine neue Zeitrechnung. Vor und nach dem 11. September 2001, der das Leben auch in Syrien veränderte. Die US-Regierung verschärfte den Ton politisch, wirtschaftlich wurde das bestehende Embargo ausgeweitet. »Dieser Krieg in Irak und in Libanon, die Situation in Palästina, es kommen kaum noch Touristen nach Syrien«, seufzt Marouf Khoury. Das Geschäft sei um die Hälfte zurückgegangen. Für den alten Brokathändler ist klar: »Solange der US-Präsident George W. Bush heißt, können wir nur beten, dass es nicht noch schlimmer wird.«

Leben nach dem Krieg

Das Restaurant Omajaden Palast erreicht man über eine gewundene Treppe, die in ein unterirdisches Gewölbe führt. Das Restaurant ist berühmt für seine Speisen und den abendlichen Derwischtanz. Das Restaurant eröffnete 1992, davor soll es eine Färberei gewesen sein. Dem Baustil nach stammt das Gebäude aus dem 8. Jahrhundert, als auch die Omajaden Moschee entstand. Dokumente darüber gebe es aber nicht, erläutert Salim Amer, der Geschäftsführer. Der Besitzer habe seine Leidenschaft für das Sammeln von Antiquitäten mit dem Kulinarischen verbunden. In Vitrinen, an den Wänden und auf vielen Regalen kann man Schmuck, Textilien, Geschirr und Gemälde bewundern, bevor man sich den Genüssen der arabischen Küche zuwendet.

In einer hell erleuchteten Nische wartet ein köstliches Buffet auf hungrige Gäste, die vielleicht noch kommen werden. Für die ausländischen Gäste habe man die Zubereitung verändert, sagt Salim Amer. »Die orientalische Küche bereitet den Ausländern oft Magenbeschwerden, darum kochen wir mit weniger Fett und mehr Gemüse.« Die 150 Plätze des Restaurants seien »vorher« immer ausgebucht gewesen. Um die Gäste zu versorgen, hätte man gut planen müssen. »Wir hatten täglich viele Touristengruppen. Doch seit dem 11. September kommen tagelang gar keine Gäste.«

Ein Musiker im Hintergrund legt seine Oud, die arabische Laute, beiseite. Er steht auf, greift zu einem Tambourine und beginnt zu singen. Ein einsamer Derwisch betritt die Tanzfläche. Wenn kaum Touristen kämen, tanze nur noch ein Derwisch, erklärt Herr Amer. Um Kosten zu sparen. Der junge Mann dreht sich wieder und wieder um die eigene Achse, bewegt seine Hände wie Standarten auf und ab. Sein ausgebreitetes, weißes Kleid rauscht über den Boden.

Die Derwische kämen aus der gleichen Familie, sagt Herr Amer. Die Jungen lernten den Tanz schon als Kinder. Da kaum Touristen kämen, müssten sie sich andere Arbeit suchen. »Mit dem 11. September haben diese Kriege um uns herum angefangen, in Irak, Libanon. Viele Gruppen haben ihre Buchungen storniert«, meint Salim Amer. Vor allem Touristen aus Europa würden durch die negative Berichterstattung in den Medien von einem Besuch in Syrien abgehalten, dabei sei Syrien ein sicheres Land. »Sie würden sich hier wohlfühlen, sie sind willkommen!«

* Aus: Neues Deutschland, 31. August 2007


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