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Syrien-Konflikt weitet sich aus

Damaskus und Ankara sperren gegenseitig den Luftraum / Libanon hilft Flüchtlingen

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Mit der gegenseitigen Sperrung des Luftraums für türkische und syrische Flugzeuge hat sich der Konflikt zwischen Damaskus und Ankara weiter verschärft. Nach Presseberichten hat die Türkei rund 250 Panzer an der Grenze zusammengezogen. Auch in Libanon ist die Lage angespannt.

»Natürlich merken wir die syrischen Unruhen hier, Libanon ist tief gespalten.« Der Mann der das sagt, möchte namentlich nicht genannt werden, er mache sich »große Sorgen« um seine Heimat. »Ich bin ein Libanese und ich sage Ihnen, 99 Prozent der Syrer wollen und brauchen einen politischen Wandel.« Was in Syrien geschehe, habe aber mit einer Revolution nichts zu tun. Das religiöse Element im Aufstand sei nicht zu übersehen, so der Mann: »In Aleppo kämpfen 5000 Dschihadisten (Gotteskrieger), sie haben die Aleppiner als Geiseln genommen.«

Die Internationale Krisengruppe wies am Wochenende auf die hohe Zahl von salafistischen Kämpfern bei den bewaffneten Gruppen in Syrien hin. Das sei eine »unwiderlegbare, schädi-gende aber nicht unbedingt unumkehrbare Entwicklung.« Das könne sich nur ändern, wenn »die Opposition deren Einfluss eindämmt, Angehörige der internationalen Gemeinschaft ihre Politik koordinieren und der gefährliche militärische Stillstand in eine politische Lösung über-führt wird«.

Verschiedene Medien berichteten am Samstag, dass die Jabhat al-Nusra, eine islamistische Gruppe, die Al Qaida zugerechnet wird, den bewaffneten Aufständischen »geholfen« haben soll, eine Raketenabwehrbasis in Nordsyrien (Al-Taaneh) einzunehmen. Von offizieller syri-scher Seite wurde die Angabe nicht bestätigt.

Von Seiten des Syrischen Nationalrates war kürzlich berichtet worden, die libanesische His-bollah kämpfe an der Seite der syrischen Armee. Das behauptet der »Nachrichtendienst« des »Strategischen Forschungs- und Kommunikationszentrums« SRCC, für das Osama Monajed verantwortlich zeichnet, Mitglied des Syrischen Nationalrates. Die Rebellen hätten »mindes-tens 75 bewaffnete Milizionäre der libanesischen schiitischen Hisbollah in einem Hinterhalt in der Nähe von Qusair getötet«, hieß es am 8. Oktober.

Der Chef der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah wies die Angaben zurück. Es sei be-kannt, dass 23 Dörfer im syrisch-libanesischen Grenzgebiet Hermel (Bezirk Bekaa Ebene) von etwa 30 000 libanesischen Familien bewohnt seien. Einige seien ermordet oder entführt worden, viele seien geflohen. Die geblieben seien, hätten sich gegen die Aufständischen be-waffnet. »Nicht, um mit der syrischen Armee zu kämpfen«, sondern um sich, ihre Familien und Dörfer »zu verteidigen«. »Sie wählen hier, sie sind Mitglieder libanesischer Parteien«, wie der Hisbollah, Amal und der KP.

Der libanesische Ministerpräsident Najib Mikati hat am Wochenende weitere Hilfe für syrische Flüchtlinge im Zedernstaat angekündigt. Zwar gebe es einen Regierungsbeschluss, wonach das Land sich aus dem innersyrischen Konflikt heraushalten will, allerdings helfe man den Flüchtlingen, sagte Mikati am Samstag.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind derzeit 94 213 Syrer im Libanon registriert oder warten auf ihre offizielle Registrierung.

Unterdessen sind bei einem Autobombenanschlag am Samstag in der Nähe von Damaskus nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London acht Menschen getötet worden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 15. Oktober 2012


"Assad braucht uns nicht"

Libanesische Hisbollah weist Vorwurf der Unterstützung Syriens zurück

Von Karin Leukefeld, Beirut **


Der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat am vergangenen Freitag Vorwürfe zurückgewiesen, wonach Kämpfer der Hisbollah in den Reihen der syrischen Armee gegen bewaffnete Aufständische kämpften. Die Behauptung wurde in den vergangenen Wochen und Monaten unter anderem vom »Strategischen Forschungs- und Kommunikationszentrum« (SRCC) verbreitet, das von dem Mitglied des »Syrischen Nationalrates« Osama Monajed geleitet wird. In einer SRCC-Meldung vom 8. Oktober hieß es, die Aufständischen hätten »mindestens 75 bewaffnete Milizionäre der libanesischen schiitischen Hisbollah in einem Hinterhalt in der Nähe von Qusair getötet«. Der Ort liegt nahe der libanesisch-syrischen Grenze in der Provinz Homs.

Hassan Nasrallah bestätigte zwar die Präsenz der Hisbollah, allerdings seien diese lediglich zur Verteidigung libanesischer Staatsbürger eingesetzt. Im syrisch-libanesischen Grenzgebiet Hermel gibt es 23 von Libanesen bewohnte Dörfer. Viele der rund 30000 Familien, die dort gelebt hatten, sind geflohen, nachdem einige von ihnen von bewaffneten Aufständischen entführt und ermordet worden waren. Die geblieben sind, hätten sich gegen die bewaffneten Aufständischen bewaffnet, sagte Nasrallah: »Nicht um mit der syrischen Armee zu kämpfen, sondern um sich zu verteidigen.« Die Menschen lebten in Syrien, hätten aber weiterhin die libanesische Staatsangehörigkeit.

Die Dörfer gehören verwaltungstechnisch zum Regierungsbezirk Bekaa. Anfang Oktober waren drei Mitglieder der Hisbollah in einem der Dörfer getötet worden, darunter der Militärkommandeur des Beeka, Ali Hussein Nassif. Die Position der Organisation zum Konflikt in Syrien sei von Anfang an klar gewesen, betonte Nasrallah: »Wir rufen zu einem Dialog auf, zu einer politischen Lösung und einem Ende des Blutvergießens. Das Regime braucht weder uns noch andere, um an seiner Seite zu kämpfen.«

Dem widersprach Hussein Solh, Koordinator der »Zukunftsbewegung« im nördlichen Bekaatal bereits im März. Die Hisbollah versuche, ihre Rolle »zur Verteidigung des Regimes zu verstecken«. Wegen »der klaren iranischen Einmischung in die syrische Krise« gelinge ihr das aber nicht. Der Schutz der Dörfer Tfeil und Maaraboun sei ein »Vorwand«, so Solh. Immer wieder gebe es Kämpfe zwischen Hisbollah und der »Freien Syrischen Armee« (FSA). Tatsächlich handelt es sich bei den Auseinandersetzungen offenbar um die Kontrolle einer wichtigen Nachschublinie für die Aufständischen. Die libanesischen Dörfer in Syrien seien dem Transport von Kämpfern und Waffen aus dem Nordlibanon nach Syrien im Weg, sagte eine namentlich nicht genannte Quelle der libanesischen Tageszeitung The Daily Star.

Beobachter in Beirut äußerten gegenüber junge Welt, daß die Hisbollah die syrische Armee mit Aufklärung und Beratung unterstütze. Was westliche Militärberater weltweit täten, sei auch zwischen Hisbollah und Syrien normal.

Der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates (SNR), Abdelbasit Sida, sagte gegenüber der kuwaitischen Zeitung As-Seyasah, die Hisbollah müsse ihre Haltung gegenüber dem syrischen Aufstand ändern. Sie müsse sich »für die Zeit nach Assad vorbereiten«, so Sida in einem am Sonntag veröffentlichten Interview. Außerdem müsse die Hisbollah einen ernsthaften Dialog mit anderen libanesischen Parteien aufnehmen, um »einen starken Nationalstaat« zu bilden. Am vergangenen Dienstag hatte Fahd Al-Masri von der FSA erklärt, sollte die Hisbollah nicht aufhören, »das Regime von Präsident Baschar Al-Assad zu unterstützen, schwöre ich, daß wir den Kampf aus Syrien in das Zentrum der südlichen Vororte von Beirut bringen.« Die Hisbollah sei »in die Ermordung der syrischen Bevölkerung und die Unterdrückung der Revolution verstrickt, besonders in Damaskus und Homs«, so Masri. Der Hisbollahabgeordnete im libanesischen Parlament, Kamel Rifai, wies das zurück. Es gebe eine »Grundregel« der Partei, wonach die Hisbollah nur gegen Israel kämpfe, alles andere sei verboten. »Es gibt Schiiten in Syrien, aber das macht sie noch nicht zu Hisbollahkämpfern«.

** Aus: junge Welt, Montag, 15. Oktober 2012


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