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Libanons Außenminister: Syrien-Konflikt ist Sache der Syrer

Adnan Mansour im Gespräch mit der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti


In einem Interview mit RIA Novosti hat der Minister für Angelegenheiten des Äußeren und der Auswanderer des Libanons, Adnan Mansour, seine Ansichten über die Beziehungen zwischen Moskau und Beirut, über Russlands Position im Nahen Osten, die Situation in Syrien, syrische Flüchtlinge und mögliche Wege zur Regelung der Syrien-Krise geäußert.

RIA Novosti: Herr Mansour, wie sehen Sie die Situation um Syrien und wie sind Ihres Erachtens die möglichen Folgen dieser Krise für den Nahen Osten und den Libanon?

Adnan Mansour: Syrien spielt eine wichtige geografische und strategische Rolle in der Region. An der Stabilität und Sicherheit dort sind nicht nur der Libanon, sondern auch andere Länder interessiert. Seit dem Ausbruch der Syrien-Krise haben wir gesehen, dass es in diesem Land Oppositionskräfte gibt, die Reformen fordern. Sie sollten aber nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Reformen sind nur bei einem Dialog zwischen der Regierung und dem Volk möglich, wobei eine äußere Einmischung die Lösung des Problems behindern und die Krise nur in die Länge ziehen würde. Der Libanon mischt sich nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten Syriens ein. Wir können aber nicht die Entscheidungen der Arabischen Liga und des UN-Sicherheitsrats befürworten, die gegen die Syrische Arabische Republik getroffen wurden. Wir hatten von Anfang an gesagt, dass der einzige mögliche Weg für die Lösung des Syrien-Konflikts ein Dialog ist. Aber seit März 2011, als viele syrische Städte von den Unruhen und Anti-Regierungs-Aktionen erfasst wurden, bemerken wird, dass nicht nur Waffen und Geld den Weg in dieses Land finden, sondern auch Extremisten. Wir unterstützen den UN-Beauftragten für Syrien, Lakhdar Brahimi, in seiner Mission und sind der Ansicht, dass seine Arbeit Syrien vor der Krise retten und ein Ende der Gewalt bedeuten kann, wenn er von allen interessierten Seiten unterstützt wird. Wir finden, dass die Kriegshandlungen und die Gewalt sofort eingestellt werden sollten. Auch die Waffen- und Geldlieferungen sowie die Entsendung von Extremisten nach Syrien müssen gestoppt werden.

RIA Novosti: Wie sehen Sie die Regelung der Situation in Syrien? Kann sich Baschar al-Assad an der Macht halten?

Adnan Mansour: Die Frage ist nicht, ob Baschar al-Assad an der Macht bleibt oder nicht, sondern wie die Gewalt gestoppt und die Reformen gestartet werden können. Politische, wirtschaftliche und soziale Reformen können doch nicht durch Kriegsaktionen und Gewalt durchgeführt werden. Das ist nur durch Gespräche möglich. Deshalb sollten die syrischen Behörden und die Oppositionellen einen Dialog beginnen, um eine politische Entscheidung zu treffen und Syrien zu retten. Wenn eine der Konfliktseiten einfach abgeschafft wird, kann die Krise dadurch nicht gelöst werden. Sollte der Konflikt in Syrien andauern, würde das meines Erachtens gefährliche Folgen nicht nur für die Unabhängigkeit dieses Landes, sondern auch für Frieden und Stabilität in der ganzen Region haben.

RIA Novosti: Gibt es gewisse äußere Faktoren, die die Situation in Syrien beeinflussen?

Adnan Mansour: Da habe ich keine Zweifel. Wenn wir die Entwicklung der Situation seit Beginn der Syrien-Krise analysieren, dann müssen wir feststellen, dass es sich nicht um einen internen Konflikt handelt. Denn wir sehen, dass ständig Waffen, Geld und Extremisten in dieses Land geschickt werden. Wenn wir die politische, militärische und finanzielle Unterstützung sehen, verstehen wir, dass andere Länder nur eine der Konfliktseiten unterstützen. Deshalb sind wir überzeugt, dass die Einmischung in das Syrien-Problem seine Lösung unmöglich voranbringen kann, sondern im Gegenteil eine Eskalation der Gewalt in diesem Land provozieren und seine Wirtschaft zerstören wird. Wie wir sehen, sind die Kriegshandlungen auf die Zerstörung von zivilen, medizinischen und Bildungseinrichtungen, auf die Zerstörung der städtischen Infrastruktur ausgerichtet. Die Situation in Syrien spannt sich weiter an.

RIA Novosti: Wie verhält sich der Libanon zu den syrischen Flüchtlingen?

Adnan Mansour: Wir haben Mitgefühl mit unseren Brüdern, die aus Syrien fliehen müssen. Der Libanon hat sehr geringe Möglichkeiten, aber wir bemühen uns um die Koordinierung unserer Arbeit mit humanitären Organisationen. Die Flüchtlinge brauchen Lebensmittel, Unterkunft, ärztliche Betreuung usw. Dennoch sind wir bereit, ihnen weiter zu helfen.

RIA Novosti: Ist es Ihres Erachtens möglich, dass eine neue „arabische Revolutionswelle“ auf den Libanon zurollt?

Adnan Mansour: Der Libanon nimmt eine besondere Position in der Nahost-Region ein. Wir reagieren sehr vorsichtig auf die Ereignisse in unseren Nachbarländern. Wie ich bereits gesagt habe, können die Ereignisse in der Region, darunter in Syrien, die Situation in den Nachbarländern beeinflussen, auch im Libanon. Deshalb bemühen wir uns um Stabilität und Sicherheit innerhalb unseres Landes. Unsere Armee und Sicherheitskräfte kontrollieren die Staatsgrenzen und tun ihr Bestes, um eine Wiederholung solcher Ereignisse bei uns zu verhindern. Aber allgemein glauben wir, dass diese Ereignisse die innenpolitische Situation in unserem Land, unsere Sicherheit und die Einheit des libanesischen Volkes nicht besonders beeinflussen. Ich muss jedoch sagen, dass die Großzahl der Syrer auf unserem Territorium gewisse Schwierigkeiten für uns verursacht. Die Zahl der Flüchtlinge hat inzwischen 35 000 erreicht. Außerdem leben etwa 400 000 Palästinenser im Libanon, obwohl unser Land nur etwas mehr als 10 000 Quadratkilometer groß ist.

RIA Novosti: Einige westliche Länder haben die Nationale Koalition der syrischen Oppositionskräfte anerkannt. Könnte auch der Libanon aus diesem Grund seine Position ändern?

Adnan Mansour: Die offizielle Position des Libanons ist klar und deutlich. Wir halten uns aus der Syrien-Frage heraus und mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten dieses Landes ein. Wir haben uns für diese Position entschieden, nachdem die Arabische Liga und andere internationale Organisationen anti-syrische Entscheidungen getroffen hatten. Syrien und sein Volk sind durchaus in der Lage, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Andere Länder sollten das nicht tun. Wer sich in innere Probleme eines souveränen Staates einmischt, der schürt Gewalt und vertieft die Krise, anstatt sie zu lösen. Wir sollten nicht in diesen Konflikt eingreifen, denn wir sind nicht gegen das Regime und auch nicht gegen das syrische Volk.

Das Gespräch führten Michail Gussew und Denis Malkow.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Freitag, 28. Dezember 2012


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