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Syrien und der Geisterkampf in der Linken

Zur Debatte über den Aufstand gegen Assad, falsche Parteinahmen und die Möglichkeiten, dennoch einzugreifen

Von Arno Klönne *

Was ist zu erhoffen: Ein „Sieg im Volkskrieg“, der weiter anhält im syrischen Terrain, ein Erfolg in diesem Abschnitt der arabischen Rebellion - oder die Rettung des Assad-Regimes, dem jetzt die Hisbollah zur Hilfe gekommen ist? Darüber wird seit längerem in der deutschen Linken ziemlich erbittert gestritten, in ihren Print- und Onlinemedien, nicht immer mit offenem Visier, aber oft mit erheblichem intellektuellen Aufwand. Und der Streit hat Verletzungen zur Folge, auch neue Fraktionierungen. Er wird so geführt, dass ideelle Fronten sich herausbilden, eine Parteinahme erwartet wird.

Die eine Position: Keineswegs wird hier verkannt, dass beim Aufstand gegen Assad Kräfte mitwirken, die alles andere als politische und soziale Emanzipation im Sinne haben. Aber die Eigendynamik eines revolutionären Prozesses, so die Annahme, werde nach dem Sturz von des Regimes zum Progressiven hin treiben, nach links hin sich entwickelnde gesellschaftliche Verhältnisse hervorbringen, auch Antiimperialismus.

Die andere Position: Es ist nicht so, als würde in ihr Sympathie für Assad und Co.stecken, für deren Herrschaftszwecke und Praktiken. Aber „Regime change“ in Syrien, so die Einschätzung, werde geopolitisch nur dem Zugriff der USA und anderer NATO-Staaten auf den Nahen Osten dienen, auch der Vorbereitung eines Angriffs auf den Iran. Ein Staat, der dem widersteht, obwohl durchaus kein demokratischer und zu Recht unbeliebt, verkörpere in dem globalen Konflikt um Raum und Macht eine antiimperialistische Kraft .

Muss jemand, der hierzulande links denkt und zu handeln versucht, sich für eine der beiden Positionen entscheiden, für diese diskurspolitisch kämpfen? Da empfiehlt es sich, die Großbilder vom Verlauf der Geschichte erst einmal beiseite zu stellen; es kommen dann Realien in den Blick, möglicherweise irritierende.

Erstens: Die gesellschaftlichen Rebellionen in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens haben gemeinsame Entstehungsgründe im Aufbegehren gegen Elend und Despotie, aber in ihren Verläufen und Ergebnissen fügen sie sich offenbar nicht in ein Muster von „Fortschritt oder Reaktion“ , von „links oder rechts“ ein. Die Ablösung eines despotischen Regimes kann eine neue Despotie mit modernisierten Formen zur Folge haben. Die Deutung des Islam als „Weltfeind“ ist interessengeleitete Demagogie; aber das heißt nicht, islamistische Ideologien und Gruppierungen seien - wenn auch unfreiwillig - Wegbereiter hin zu menschenrechtlichen und demokratischen Zuständen. Denkbar ist, dass sich nach dem Zerfall des irakischen und nun des syrischen Staates im Nahen Osten ein neuer Machtkomplex in der Regie der Golfstaaten herausbildet, im lockeren Bündnis mit den USA, aber durchaus mit eigenen imperialistischen Ambitionen, „islamische Ordnung“ reklamierend und - wenn man es so nennen will - „konterrevolutionär“ sich betätigend.

Zweitens: Anders als in früheren Epochen sind rebellische Bewegungen und gesellschaftliche Umbrüche in einem Land nicht mehr unbedingt „authentisch“, also maßgeblich bestimmt von sozialen Klassen und politischen Bewegungen in der eigenen Gesellschaft. Der Fall Syrien: Im Aufstand gegen das Regime wirken zusammen und bekämpfen sich zugleich einheimische Rebellen, „Basisoppostionelle“, militante Organisationen aus benachbarten Ländern, „staatenlose Wanderkrieger“, Agenten und Söldner externer Mächte. Das Resultat ist ein materiell, psychisch und sozial zerstörtes Terrain. Dass daraus Demokratie oder gar Sozialismus hervorgehen könnte, ist unwahrscheinlich. Und eine Revolution taugt nicht als Impuls zur Nachahmung, wenn sie Massen von Menschenopfern als „Kosten“ zu verbuchen hat.

Drittens: Die Toten auf den Feldern des Kampfes werden nicht lebendig, wenn man sie als Antiimperialisten würdigt. Und auch mit der Gegnerschaft eines Staates zur expansiven Machtpolitik des US-amerikanischen Imperiums oder zu neokolonialen Ambitionen der ehemaligen Kolonialstaaten Europas verbindet sich nicht die Garantie, dass darin die Perspektive für eine politische und soziale Emanzipation liegt. Aus der Abwehr eines imperialistischen Zugriffs kann sich konkurrierender Imperialismus entwickeln, Einpassung in das Grundmuster internationaler Macht- und Gewaltpolitik. Das Assad-Regime verfügt nicht über die dafür erforderlichen Ressourcen, in Frage kommt es jedoch als Gehilfe für andere, potente Teilnehmer im blutigen Spiel um Terraingewinn in der Globalpolitik.

So betrachtet schwebt jedes Verlangen, die hiesige Linke müsse sich zum „historischen Prozess in Syrien grundsätzlich positionieren“, außerhalb des Irdischen, es stellt eine Einladung dar zum Gang ins Geschichtsmythologische. Man muss ihr nicht folgen. Versuchen wir es mal empirisch:

Die Möglichkeiten für Linke, von der Bundesrepublik aus Menschen im zerrütteten syrischen Land zu helfen und demokratische Gruppen zu unterstützen, lassen sich nutzen; sie sind freilich sehr begrenzt. Auf die weitere Entwicklung der inneren Auseinandersetzungen dort haben Deklarationen aus der deutschen Linken keinen Einfluss.

Die Linke in der Bundesrepublik kann allerdings etwas tun angesichts der elenden Gewalt in Syrien, energischer als bisher: Öffentlich aufklären über die verheerenden Wirkungen der operativen Methoden internationaler Politik, die von den Staaten der „westlichen Wertegemeinschaft“ eingesetzt werden, über das staatskriminelle Zusammenwirken von Geheimdiensten, unternehmerischen Interessenten, Militärplanern und „eingebetteten“ Medien bei vorgeblich der Zivilisierung dienenden Expeditionen. Und entschiedener angehen speziell gegen die florierende deutsche Waffenindustrie; sie hat wesentlich dabei mitgewirkt, den Nahen Osten mit Mordwerkzeug aller Art vollzustopfen, und dieses todbringende Geschäft dehnt sie derzeit noch weiter aus. „Parteinahme“ - hier ist sie notwendig, als Eingriff in die laufende Maschinerie eines profitgetriebenen Menschenschlachthauses, jetzt ist es in Syrien in Betrieb, die Aktionäre desselben sind überwiegend im Ausland angesiedelt. Unter anderem in der Bundesrepublik.

* Aus: neues deutschland (online-Ausgabe), Dienstag, 11. Juni 2013


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