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Beschuldigungen ohne Beweise

Sonderermittler Detlev Mehlis will Syrien auf der Anklagebank sehen

Von Jürgen Cain Külbel*

Der am Montag dem UN-Sicherheitsrat übergebene 25-seitige Report des Sonderermittlers Detlev Mehlis zum Sachstand im Mordfall Rafik Hariri liefert wie schon der erste Bericht vom Oktober keinen einzigen Beweis, der den Wunschtäter Syrien endlich überführen könnte.

Der Aufsatz des Oberstaatsanwalts birgt politischen Sprengstoff, der den Sicherheitsrat nachgerade in die Verantwortung zu zwingen sucht: »Die Syrer kooperieren weiterhin nicht mit dem UNO-Team, und Syrien hat zeitweise versucht, die Ermittlungen in die falsche Richtung zu lenken.« Für John Bolton, USA-Botschafter bei den Vereinten Nationen, ist das alles »sehr beunruhigend«. Der Bericht zeige, »dass Syrien die Resolution 1636 nicht erfüllt hat.« Die Resolution droht weitere Maßnahmen gegen Syrien an, sollte die Regierung in Damaskus ihre angebliche Blockadehaltung nicht aufgegeben. So widmet Mehlis denn auch allein der »Syrischen Kooperation mit der Kommission« volle drei Seiten.

Seine Darlegungen über den »Fortschritt in der Untersuchung« bleiben dagegen blass und substanzlos. »Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wurden 19 Personen als ›Verdächtige‹ identifiziert«, berichtet er, und es gebe »Anlass zu glauben, dass diese Personen auf irgendeine Art in die Planung oder Ausführung des Verbrechens oder in absichtliche Versuche, die Untersuchung in die falsche Richtung zu führen, verwickelt waren«. Bei den 19 »Verdächtigen« handelt es sich um nicht näher bezeichnete »Syrer und Libanesen«.

Anfang Dezember wurden fünf Syrer in Wien verhört. Den Aussagen zweier von ihnen sei zu entnehmen, »dass in Damaskus alle Geheimdienstdokumente in Sachen Libanon verbrannt« wurden. Das müsse weiter untersucht werden, weshalb Syrien jene Personen verhaften müsse, die er – Mehlis – als Verdächtige betrachtet.

Bezeichnend für die Arbeit der Kommission ist das »Schicksal« der vier libanesischen Generäle, die Mehlis am 30. August verhaften ließ. »Die vier bleiben in Haft«, befiehlt der Sonderermittler, obwohl sie »in den vergangenen sieben Wochen nicht mehr verhört wurden«, weil das »Sammeln und Analysieren von Beweisen über ihre Verwicklung in das Verbrechen« noch »in der Schwebe« ist. Verdächtige schmoren also sieben Wochen in der Zelle und werden nicht verhört, weil es die Beweislage nicht zulässt!

Den Ausfall wichtiger »Kronzeugen« umschifft Mehlis durch kriminaltechnische Tricks: Said Saddik, in U-Haft sitzender vorbestrafter Betrüger, »wurde zum Millionär«, nachdem er vor der Mehlis- Kommission detailliert über Täter und Ort der Planungen, angeblich ein Appartement in Beirut, ausgesagt hatte. Mehlis vermerkt nun, dass in jenem Appartement keine DNA-Spuren von Saddik gefunden wurden. So ist der Betrüger zwar vorerst aus dem Rennen, doch das von ihm erfundene »Schurkenloch« bleibt im Spiel.

Hussam Taher Hussam hatte erklärt, seine Aussage vor der Mehlis-Kommission sei durch Folter, Drogen und Schmiergeldangebote erzwungen worden. Mehlis behauptet nun, Hussam sei von den syrischen Autoritäten manipuliert worden, bleibt den Beweis aber schuldig. In einem Interview sagte er nur: »Dies war der Versuch, die Ermittlungen zu behindern.« Bolton gab ihm Rückendeckung: »Das ist Behinderung der Justiz durch die syrische Regierung. Wir werden die Konsequenzen beraten.«

Syriens Präsident Bashar Al-Assad bekräftigte am Sonntag, sein Land sei unschuldig und »jeder Versuch, Sanktionen gegen Syrien zu verhängen, könnte die Region destabilisieren«. Nur Stunden nach Übergabe des Mehlis-Reports an UNO-Generalsekretär Kofi Annan explodierte in Beirut jedoch wieder eine Autobombe, durch die der »antisyrische« Politiker und Zeitungsmacher Gebran Tueni und drei weitere Menschen ums Leben kamen. Der UN-Sicherheitsrat nahm seine Beratungen über Libanon und Syrien daraufhin prompt einen Tag früher als geplant auf, um mögliche Sanktionen gegen Syrien zu beraten.

Indes mehren sich auch in Libanon die Zweifel, ob die Syrer wirklich so »dusselig« sind und ein Attentat nach dem anderen »drauflegen«. Seit dem Mord an Hariri am 14. Februar wurde das Land von 13 Bombenanschlägen erschüttert. Misstrauen richtet sich längst auch gegen die regierende Kaste Liba-nons. Walid Dschumblatt, Sprachrohr der so genannten Zedernrevolution vom Frühjahr, ließ zuletzt keine Fernsehshow aus, um für die nahe Zukunft »mehr Bomben« anzukündigen. Gesagt, getan. Am Sonnabend fanden Arbeiter nahe der Straße zu Dschumblatts Palast Moukhtara vier Panzerabwehrraketen, zu einem Sprengsatz gebündelt. Allerdings war das Teil nicht funktionstüchtig. Etliche Libanesen glauben, Dschumblatt habe das Ganze inszeniert, um sich in Szene zu setzen. Michel Aoun, Präsidentschaftskandidat, verlangt Aufklärung darüber, was Dschumblatt über »bevorstehende Attentate« wisse. Pikant: In Libanon weiß man, dass Mehlis häufig Gast auf Dschumblatts Schloss war.

In weiser Voraussicht rät der Sonderermittler in seinem neuen Report, »die weitere Untersuchung« sollte sowohl die »Hariri-Explosion« als auch »die anderen Explosionen« umfassen. Mehlis selbst steht jedoch nach der von ihm verfassten Steilvorlage gegen Syrien für weitere Ermittlungen nicht mehr zur Verfügung. Über seinen Nachfolger und das weitere Vorgehen gegen Damaskus entscheidet der Sicherheitsrat.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2005


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