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Minister sind "Gefangene"

Ehemaliger Regierungsbeamter sieht Syriens Führung gespalten *

Ein geflohener ranghoher syrischer Beamter hat in Interviews neue Akzente in dem Konflikt gesetzt.

Arabische Fernsehsender strahlten am Donnerstag (5. Jan.) Interviews mit dem ehemaligen obersten Finanzkontrolleur des Ministerpräsidenten und des Verteidigungsministeriums, Mahmud al-Hadsch Hamad, aus. Er hatte sich nach Ägypten abgesetzt. Der frühere hochrangige Regierungsbeamte kritisierte das Regime von Präsident Baschar al-Assad scharf: »Die Verantwortung für die Gewalt gegen Demonstranten liegt bei den Sicherheitskräften, und zwar konkret beim Militärgeheimdienst, bei der Direktion des Allgemeinen Geheimdienstes und beim Geheimdienst der Luftwaffe.«

Die Regierung hat nach Darstellung Hadsch Hamads nichts damit zu tun. Die Mitglieder des Kabinetts seien »Gefangene, die ohne Begleitung der Sicherheitskräfte keinen Schritt mehr tun dürfen«. Viele Minister wollten sich vom Regime lossagen, sie harrten aber aus, weil sie Angst hätten, dass ihren Angehörigen dann etwas angetan werden könnte. Das Gleiche gelte für viele führende Offiziere. Wie sich Hadsch Hamad mit seiner Familie nach Kairo absetzen konnte, wurde nicht gesagt.

Der Geflohene warf Irak und Iran vor, das gewaltsame Agieren der syrischen Führung gegen Demonstranten finanziell zu unterstützen. Hadsch Hamad erklärte demnach, Damaskus habe bereits zwei Milliarden syrische Pfund (knapp 28 Millionen Euro) ausgegeben. Mit dem Geld seien Milizen bezahlt worden, die an der Seite der Armee Gewalt gegen Demonstranten anwenden würden.

Die syrische Führung hat nach Angaben staatlicher Medien 552 im Zusammenhang mit den seit Monaten anhaltenden Protesten Festgenommene aus der Haft entlassen. Die freigelassenen Häftlinge seien in die Proteste gegen Assad »verwickelt« gewesen, hätten aber »kein Blut an den Händen«, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Sana am Donnerstag. Die Freilassung politischer Gefangener ist einer der Schlüsselpunkte im Friedensplan der Arabischen Liga, mit dem der Konflikt beigelegt werden soll.

Unterdessen hat die Arabische Liga »Fehler« bei ihrer Beobachtermission in Syrien eingeräumt und die Vereinten Nationen um »technische Hilfe« gebeten. Katars Regierungschef Scheich Hamad bin Dschassem al-Thani traf sich laut der Nachrichtenagentur Kuna mit UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon. Die oppositionelle Freie Syrische Armee bezeichnete die Mission der Liga als »gescheitert«.

* Aus: neues deutschland, 6. Januar 2012


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