Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Verhaltene Hoffnungen auf Syrienkonferenz

Regierung und Vertreter der gewaltfreien Opposition begrüßen Idee Russlands und der USA

Von Karin Leukefeld *

Der russisch-US-amerikanische Vorschlag für eine neue Syrienkonferenz hat in Syrien für vorsichtigen Optimismus gesorgt. Das Außenministerium in Damaskus begrüßte die Entscheidung, auf Basis des Genfer Abkommens (Juni 2012) mit Verhandlungen zu beginnen. Russland habe sich mit seinem Einsatz für die Einhaltung des Völkerrechts Gehör verschafft.

Insbesondere das Prinzip der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten eines Staates wurde in der Erklärung des Außenministeriums hervorgehoben. Die Glaubwürdigkeit der USA werde sich daran messen lassen müssen, wie ernsthaft Washington »mit seinen Verbündeten arbeitet, um Gewalt und Terrorismus und Ressourcendiebstahl« in Syrien zu stoppen, hieß es. Betont wurde auch, dass nur das syrische Volk das Recht habe, über seine Zukunft und seine Verfassung zu bestimmen, ohne ausländische Einmischung.

Louay Hussein von der oppositionellen gewaltfreien Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen« zeigte sich im Gespräch mit Journalisten in Damaskus vorsichtig optimistisch. Die kommenden Wochen würden für Syrien »äußerst wichtig«. Wenn die Konferenz nicht zustande käme, werde man wohl keine Chance mehr haben, Syrien zu retten. Die Verhandlungen würden lange dauern und hart werden, sagte Hussein. Doch seien sie unabdingbar, damit das Blutvergießen aufhöre. Hussein betonte, dass es wichtig sei, die Opposition in Syrien auf ein gemeinsames Vorgehen zu verpflichten. Er forderte für den Syrienvermittler Lakhdar Brahimi eine neue UNO-Mission. Diese müsse aus Experten bestehen, die in Konfliktlösung erfahren seien. Nur langfristig werde man den politischen Übergang gestalten können.

In New York und Genf haben russische und US-Experten am Sitz der UNO mit den Vorbereitungen für die Konferenz begonnen, die noch im Mai stattfinden soll. Damaskus hatte bereits vor einem Monat eine Delegation zusammengestellt. Schwieriger dürfte es sein, die tief zerstrittene oppositionelle Nationale Koalition und deren Finanziers in Katar, Saudi-Arabien und der Türkei an den Verhandlungstisch zu bewegen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 11. Mai 2013


Erdogan heizt Konflikt um Syrien an

Türkei-Premier: Assad setzte C-Waffen ein **

Im Syrienkonflikt verschärft die Türkei den Ton. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte dem US-Sender NBC, die von den USA gezogene »rote Linie« zum Einsatz von Chemiewaffen sei von der Assad-Regierung längst überschritten. Er forderte Washington zum Handeln auf. »Es ist klar, dass das Regime chemische Waffen und Raketen eingesetzt hat«, behauptete Erdogan. Er verwies auf Teile von Raketen, die man gefunden habe und die auf eine Bestückung mit Kampfstoffen schließen ließen. Außerdem seien bei verletzten syrischen Flüchtlingen entsprechende Symptome festgestellt worden. Einzelheiten oder Zeitpunkt des angeblichen Einsatzes nannte er nicht. Die türkische Regierung schicke nun Experten an die syrische Grenze, die dort Flüchtlinge auf mögliche Verletzungen durch chemische und biologische Waffen untersuchen sollen, berichtete Anadolu.

Die libanesische Hisbollah richtete derweil an Israel wegen der jüngsten Luftangriffe in Syrien eine Kampfansage. Generalsekretär Hassan Nasrallah sagte bei einer Fernsehansprache, seine Organisation sei bereit für Waffenlieferungen aus Syrien, die die militärische Balance im Nahen Osten verändern würden. Israel hatte zuvor Lieferungen von Chemiewaffen sowie von hochmodernem Militärgerät an die Hisbollah als »rote Linie« bezeichnet, die die Armee zum Eingreifen zwingen würde.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 11. Mai 2013


Kerrys falsches Spiel

Kesseltreiben gegen Rußland und Syrien

Von Werner Pirker ***


Die israelische Luftwaffe verbittet sich, in ihren Aggressionshandlungen gegen Syrien von einem Raketenabwehrsystem behindert zu werden. So lassen sich die Proteste Israels gegen die angeblich geplante Lieferung des russischen Raketenabwehrsystems S-300 an die Regierung in Damaskus interpretieren. Daß sich US-Außenminister John Kerry die israelische Sichtweise zu eigen macht – ein in Syrien installiertes System zur Abwehr von Raketen sei für Israel »potentiell destabilisierend«, sagte er – entspricht dem gewohnten amerikanischen Verhaltensmuster in bezug auf israelische Kriegshandlungen. Daß solche für Syrien »potentiell destabilisierend« sein könnten, wird erst gar nicht in Erwägung gezogen. Sie abwehren zu wollen, erscheint hingegen als nicht hinnehmbare Bedrohung Israels und des Weltfriedens.

Die massive Stimmungsmache gegen das Raketenabwehrsystem, zu dessen Stationierung Damaskus nach den israelischen Raketenangriffen auf syrisches Territorium jedes Recht der Welt hätte, zielt offenbar darauf, die amerikanisch-russische Initiative zur Einberufung einer Syrien-Konferenz, auf der Vertreter der Regierung und der Opposition eine Übergangsregierung aushandeln sollen, von vornherein zu beschädigen. Doch das hat Kerry ohnedies bereits getan, indem er anläßlich eines Treffens mit seinem jordanischen Amtskollegen Nasser Judeh eine Teilnahme des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad an einer solchen Regierung kategorisch ausgeschlossen hat. Eine politische Lösung unter Ausschaltung von Assad hätte die syrische Regierungsseite schon seit jeher erzielen können. Doch das hätte die totale Kapitulation bedeutet. Denn die Opposition will im Grunde nicht mit Regierungsvertretern, sondern mit Überläufern verhandeln. Assad, dessen Sturz die Opposition zur Conditio sine qua non gemacht hat, kann, selbst wenn er es wollte, nicht überlaufen. Die Opferung des Systemrepräsentanten führte unweigerlich zur Spaltung und in der Folge zur Erosion des Regierungslagers.

Eine politische Lösung kann nur auf der Grundlage eines nationalen Ausgleichs erfolgen, nicht auf der Vernichtung des einen Lagers durch das andere. Präsident Assad von einer Friedenslösung ausschließen zu wollen, bedeutet, sich für den Krieg zu entscheiden. Zu denen, die eine Entscheidung zum Krieg mit allen Mitteln der Intrige unbedingt erzwingen wollen, gehört neben Israel und den Golfstaaten auch die Türkei. Deren größenwahnsinniger Premier bezichtigt unter Berufung auf türkische Geheimdienstinformationen die syrische Armee, Chemiewaffen eingesetzt zu haben. Die rote Linie sei längst überquert, bläst Recep Tayyip Erdogan, der sich bei passender Gelegenheit auch als Schutzherr der Palästinenser darzustellen beliebt, im Einklang mit der Netanjahu-Regierung zum Angriff. Es wäre nicht das erste Mal, daß eine dreiste Lüge einen Krieg mit katastrophalen Folgen ausgelöst hat.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 11. Mai 2013


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