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Kein Plan für Syrien?

Die Nachbarn Syrien suchen nach einer Position

Von Karin Leukefeld *

Der syrische Außenminister Walid Mou’allem hat die UN-Generalversammlung der vergangenen Woche als Bestätigung der Position der syrischen Regierung bezeichnet. Die Generalversammlung sei „anders als die vorhergehende“ gewesen, sagte der Außenminister im Interview mit dem russischen Nachrichtensender ‚Russia Today’ am Wochenende. Die anderen Staaten „verstehen allmählich besser, was in Syrien geschieht“, so Mou’allem. „Wir haben Kämpfer aus 83 Staaten aus aller Welt in Syrien“, Syrien kämpfe gegen Terroristen, die mit Al-Khaida verbunden seien.

Der Außenminister begrüßte, dass jetzt, nachdem Syrien der Chemiewaffenkonvention beigetreten sei, endlich über eine politische Lösung in Syrien gesprochen werde. Erstmals werde in einer UN-Sicherheitsratsresolution die Genf II Konferenz gefordert und die syrische Führung habe immer betont, dass „die politische Lösung durch einen Dialog der Syrer untereinander der richtige Weg“ sei, die Probleme zu lösen. Wenn die Staaten, die über eine politische Lösung sprächen, auch „die Finanzierung und Bewaffnung der terroristischen Gruppen“ einstellten, könnte der Konflikt „in wenigen Wochen“ gelöst sein. Wenn die Türkei, Saudi Arabien und Katar die Unterstützung der bewaffneten Gruppen einstellten, werde das „der Anfang einer erfolgreichen Genf II Konferenz“ sein.

Allerdings gebe es in Syrien Zweifel über die Ehrlichkeit der westlichen Haltung gegenüber Syrien. Der Westen verfolge einen „anti-syrischen Plan“, so Mou’allem. „Schon bevor wir anfingen unsere Verpflichtungen hinsichtlich der Chemiewaffenkonvention umzusetzen, haben sie Zweifel gestreut.“ Derzeit sei es zwar im Interesse der Amerikaner, sich mit Russland (über Syrien) zu einigen, doch ändere Washington ständig seine Haltung. Man müsse weiter davon ausgehen, dass der Westen Syrien angreifen wolle.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Ende August die Bereitschaft erklärt, sich einem US-Krieg gegen Syrien anzuschließen. Die Ankündigung Obamas, nur wenige gezielte Angriffe für kurze Zeit durchführen zu wollen, hatte Erdogan als ungenügend zurückgewiesen und als Ziel einen „Regierungswechseln in Damaskus“ benannt. Präsident Abdullah Gül bezeichnete vor der UN-Vollversammlung die Geschehnisse in Syrien als „Schande“ und sagte, dass es ohne die chemischen Waffen in Syrien vermutlich nie eine (politische) Intervention in Syrien gegeben hätte. Man dürfe die Syrer nicht allein lassen, der UN-Sicherheitsrat habe versagt, so Gül. Darum brauche man eine neues „internationales Konzept“ um in „inländische Probleme eingreifen zu können“. Syrien sei dafür ein „wichtiger Testfall“.

Die Türkei war in den letzten Monaten über ihre Rolle im Syrien-Konflikt international und regional ins Abseits geraten. Doch obwohl iranische Medien den türkischen Ministerpräsident Erdogan kürzlich noch als „Kriegstreiber“ kritisiert hatten, schlug der neue iranische Präsident Hassan Rouhani einen versöhnlich Ton in Richtung Türkei an. Die Welt habe sich geändert, schrieb er in einem Beitrag für die Washington Post (20.9.2013). Von politischen Führern würden nicht blutige Kämpfe erwartet, sie müssten „Drohungen in Chancen“ umwandeln. Gül hatte etwa zeitgleich vor türkischen Journalisten erklärt, dass die Türkei sich für eine Teilnahme Irans an der Genf II-Konferenz einsetzte. Das hatten Frankreich, Großbritannien und die USA bisher abgelehnt.

Auch der Vorsitzende der oppositionellen Nationalen Koalition, Ahmed Jarba, hat mittlerweile eingewilligt, an der Genf II-Konferenz teilzunehmen. Bei einem Treffen mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon am Samstag sagte Jarba zu, eine Delegation zusammenzustellen.

Der irakische Außenminister Hoshyar Zebari äußerte sich derweil skeptisch über die Entwicklung in Syrien. Zwar hätten beide Seiten jegliche Vorbedingungen für die Genf II-Gespräche aufgegeben, sagte Zebari der saudischen Tageszeitung al Hayat am Rande der UNO-Vollversammlung in New York. Dennoch könnten sich die Kämpfe noch Jahre lang hinziehen. „Alle Strategien der Türkei, vom Golf, vom Irak oder anderen arabischen Staaten sind gescheitert“, so Zebari. Der Konflikt sei „größer als die regionalen Parteien“.

Der neue Außenminister von Katar, Khalid al-Attiyah nutzte die UN-Generalversammlung um die Position seines Landes in der syrischen Frage zu bekräftigen. Im Gespräch mit Al Hayat sagte Al-Attiyah, die Golfstaaten oder Katar hätten „keinen Plan in Syrien“. Darum seien sie nicht gescheitert, sie hätten lediglich auf die „Hilferufe des syrischen Volkes reagiert“. Zusammen mit den „Freunden Syriens“ tue man alles, um „den Schutz des syrischen Volkes zu gewährleisten“. Katar werde durch den „international anerkannten“ Hohen Militärrat weiterhin die „Freie Syrische Armee“ unterstützen. Mit Saudi Arabien und den Golfstaaten diskutiere man zudem weitere Mechanismen zum „Schutz des syrischen Volkes“. Einer davon sei die 1950 verabschiedete UN-Resolution 377, „United for Peace“.

Danach können UN-Mitgliedsstaaten dem UN-Sicherheitsrat die Entscheidung entziehen, wenn dieser sich nicht einigt und damit den Weltfrieden gefährdet. Die Resolution war 1950 vor dem drohenden Korea-Krieg verabschiedet worden. Zuletzt hatte Greenpeace die UN-Vollversammlung am 12. März 2003 zur Anwendung der Resolution aufgerufen, um einen Krieg gegen den Irak zu vermeiden. Katar und die Golfstaaten denken offenbar eher an einen Krieg, um das syrische Volk zu schützen.

Dieser Artikel erschien unter dem Titel "Testfall Syrien" gekürzt in der "jungen Welt" vom 30. September 2013


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Damaskus erklärt sich offen für Dialog mit Regimegegnern

Nach Verabschiedung der UNO-Resolution zu Syriens Chemiewaffen wird eine neue Friedenskonferenz angestrebt **

Nach der Resolution des UNO-Sicherheitsrates zur Vernichtung der Chemiewaffen Syriens steht die Regierung in Damaskus jetzt in der Pflicht.

Während UN-Inspekteure noch untersuchen, ob es in Syrien mehr als nur einen Einsatz von C-Waffen gegeben hat, könnten weitere Experten schon ab Dienstag die Chemiewaffen-Arsenale der syrischen Streitkräfte inspizieren.

In der vom Sicherheitsrat einstimmig verabschiedeten Resolution 2118 wird Damaskus zur Herausgabe und Vernichtung seiner Chemiewaffen verpflichtet. Zudem treiben die Vereinten Nationen die Initiative zu einer Syrien-Konferenz voran, mit der das Blutvergießen in dem Bürgerkrieg möglichst beendet werden soll.

Die Führung in Damaskus erklärte sich offen für einen Dialog mit den Regimegegnern bei einer Friedenskonferenz, lehnte aber die von der Opposition geforderte Machtübergabe kategorisch ab. Der syrische Außenminister Walid al-Muallim betonte im Interview mit dem Sender Sky News Arabia, dass Präsident Baschar al-Assad bis zur nächsten Wahl Mitte 2014 legitimes Staatsoberhaupt sei. Die zweite internationale Syrien-Konferenz »Genf 2« ist nach mehreren Verzögerungen nun für Mitte November in Genf geplant. Syriens wichtigste Oppositionsplattform – die Nationale Koalition – hat ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme erklärt, beharrt aber auf dem Rückzug Assads. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die gespaltene syrische Opposition zur Geschlossenheit auf. Nach Angaben eines Sprechers begrüßte Ban bei einem Gespräch mit Oppositionsführer Ahmed al-Dscharba in New York die Zusage, dass dessen Nationale Syrische Allianz eine Delegation zur Syrien-Konferenz entsende. Zugleich forderte Ban die Gruppe aber auf, sich mit anderen Oppositionsgruppen zu verständigen. Ziel müsse eine gemeinsame Delegation sein.

Die Resolution des Sicherheitsrates stieß allgemein auf positive Resonanz. »Das sind die ersten guten Nachrichten zu Syrien seit langer Zeit«, sagte Generalsekretär Ban. »Wir haben zu unserer Verantwortung zurückgefunden, die Wehrlosen zu verteidigen«, erklärte US-Außenminister John Kerry. Im Weißen Haus wurde der »bedeutende Durchbruch« hervorgehoben.

Auch Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle begrüßte die Resolution. »Damit hat der UNO-Sicherheitsrat endlich seine jahrelange Lähmung überwunden und Handlungsfähigkeit im Umgang mit der Krise in Syrien gezeigt.« Zusammen mit einer Annäherung im Atomstreit mit Iran sei dies »eine gute Woche für die Welt« gewesen, sagte Westerwelle vor der UNO-Vollversammlung. Zugleich verlangte der Politiker aber auch, die Verantwortlichen im Regime für den Giftgas-Einsatz im August vor den Internationalen Strafgerichtshof zu stellen. Davon steht in der Resolution nichts.

Kritik kam von den syrischen Regimegegnern. Sie bemängelten, die Resolution sei nur auf die Vernichtung der Chemiewaffen des Regimes fokussiert. Der Text könne als »Freibrief für das Töten von Syrern mit allen Waffen – mit Ausnahme von Chemiewaffen und Atomwaffen – verstanden werden«, zitierte die Website All4Syria den früheren syrischen Kulturminister Riad Naasan Agha.

** Aus: neues deutschland, Montag, 30. September 2013


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