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"Befreiung" gegen Zivilisten

Aufständische in Syrien starten gemeinsam mit islamistischen Kämpfern militärische Kampagne im von Alawiten bewohnten Nordwesten. Rußland steht weiter zu Assad

Von Karin Leukefeld *

Nach Überfällen auf Tscherkessen auf dem Golan im Oktober vergangenen Jahres, auf Palästinenser im Flüchtlingslager Jarmuk bei Damaskus im Dezember und seit Ende Juli dieses Jahres auf Kurden im Grenzgebiet zur Türkei haben islamistische Kämpfer und Truppen der »Freien Syrischen Armee« (FSA) nun offenbar Alawiten in der nordwestlichen Provinz Lattakia ins Fadenkreuz genommen. In einer Erklärung vom Freitag sprach das in Istanbul sitzende Pressebüro der oppositionellen Nationalen Koalition von einer »Befreiung der Küstenregion«. Anhänger der Opposition leben in den jüngst attackierten Ortschaften allerdings kaum.

In der Propaganda spielt das keine Rolle. Das Pressebüro im Exil lobte die »Helden der Freien Syrischen Armee«. »Zum Schutz von Zivilisten und Familien« hätten sie in der Küstenregion »militärische Operationen gegen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte, Beobachtungsposten und Kasernen« gestartet. Auf keinen Fall dürften »FSA-Bataillone Anwohner gefährden, die in den umkämpften Gebieten« lebten, hieß es in der Erklärung weiter. Die syrischen Streitkräfte sollten »ihre Waffen abgeben und aufhören, syrische Zivilisten zu töten«. Der Präsident des oppositionellen Syrischen Nationalrates, George Sabra, bezeichnete die Angriffe gegenüber der libanesischen Tageszeitung As Safir, als »Siege auf dem Jabal Al-Turkman und im Umland von Lattakia«. Zusammen mit den nach seiner Darstellung »militärischen Fortschritten im Umland von Damaskus« beweise sich, »daß das Regime militärisch bald geschlagen ist«.

Die Realität sieht anders aus. Verschiedenen Berichten syrischer Oppositioneller zufolge seien bei diesen »Siegen« mindestens 200 Personen von Kämpfern verschiedener Islamistentruppen entführt worden, berichtete As Safir weiter. Dutzende Menschen seien vor den Angreifern in die Berge geflohen, mindestens 136 Dorfbewohner getötet worden. Die islamistische Offensive in Lattakia hat demnach am 4. August begonnen und ist auf eine Vereinbarung zwischen der Türkei und der FSA zurückzuführen. Der salafistische Prediger Shafi Al-Ajmi, der von Kuwait aus die Islamistengruppe Ahrar Al-Sham finanziert, erklärte, daß allein deren Truppen mit 26 Kampfverbänden an der Offensive beteiligt seien. Insgesamt sollen 40 Kampfverbände in dem Gebiet operieren, die sich als »Nachfahren von Aisha, der Mutter der Gläubigen« bezeichnen. Aisha war eine der Ehefrauen des Propheten Mohammed. Neben der Al-Nusra-Front und der zu Al-Qaida gehörenden Organisation »Islamischer Staat in Irak und Syrien« ist auch eine Muhajireen-Brigade, also eine Flüchtlingstruppe, die sich aus ausländischen Gotteskriegern zusammensetzt, beteiligt. Eine Brigade von etwa 200 Libyern ist ebenfalls involviert.

Strategisch geht es bei den Kämpfen offenbar um wichtige Bergpässe, über die Verbindungsstrecken zwischen Lattakia und Idlib kontrolliert werden. Seit Monaten hatten die Islamisten allerdings auch den offenen Krieg gegen die »Nusayris«, die Alawiten in der syrischen Küstenregion, gefordert. Innerhalb der Nationalen Koalition war für eine »Alawitische Front« plädiert worden, als Rache für Operationen der syrischen Streitkräfte, die angeblich gegen »Sunniten« gerichtet seien. Die Sprachregelung weist darauf hin, daß die Nationale Koalition und ihre internationalen Unterstützer offen eine Konfessionalisierung des Krieges in Syrien vorantreiben. Tausende Zivilisten aus den umkämpften Gebieten von Aleppo und Idlib hatten in den vergangenen Monaten Zuflucht in den syrischen Küstenstädten gefunden. Ungeachtet ihrer religiösen Zugehörigkeit waren die Flüchtlinge dort bereitwillig aufgenommen worden.

Der Kreml hat derweil am Freitag Meldungen über ein Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien dementiert. Diplomatische Kreise in Beirut hatten verbreitet, Riad werde für 15 Milliarden US-Dollar Rüstungsgüter kaufen, wenn Moskau seine Unterstützung für Präsident Baschar Al-Assad einstelle. Man habe sich über »die syrische Frage« ausgetauscht, sagte der außenpolitische Berater von Putin, Juri Uschakow, wies die Spekulationen aber zurück. Saudi-Arabien gilt neben dem Emirat Katar als größter Unterstützer der islamistischen Kampfverbände in Syrien. Ein arabischer Diplomat sagte, Präsident Putin habe seinem Gesprächspartner höflich zugehört »und ihm dann mitgeteilt, sein Land werde seine Strategie (in Syrien) nicht ändern«.

* Aus: junge welt, Montag, 12. August 2013


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