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Machtkampf in der Oase

Vormarsch auf Damaskus gestoppt: Syrische Armee drängte islamistische Brigaden zurück. Dann kamen Berichte über Giftgasangriffe

Von Karin Leukefeld *

Sollten die USA in Syrien mit »gezielten Luftschlägen« eingreifen, werden sie nicht die syrische Zivilbevölkerung beschützen. Das Ziel der Angriffe dient vermutlich eher der Herstellung eines »militärischen Gleichgewichts« zu ungunsten der syrischen Streitkräfte, die in den vergangenen Monaten und Wochen militärisch erfolgreich die Aufständischen in vielen Teilen des Landes zurückschlagen konnten. Die Angriffe werden aber nicht die weitgehend unklare Struktur der »Freien Syrischen Armee« unterstützen, sondern Brigaden von Islamisten, die aus Damaskus die Hauptstadt eines »Islamischen Kalifats« machen wollen. Dank ihrer überwiegend saudischen Geldgeber haben sie seit ihrem ersten Angriff auf die Metropole im Juli 2012 rund 25.000 Kämpfer im Gebiet Ghouta (Oase) zusammengezogen. Der einstige Grüngürtel im Osten und Süden von Damaskus ist zur Kampfzone und zum Sammelpunkt von Kämpfern aus allen Landesteilen und aus dem Ausland geworden. Mindestens 13 verschiedene Brigaden mit Namen wie »Harun Al-Rashid«, »Schwerter der Wahrheit« oder »Ruhm des Kalifats« kämpfen in dem Gebiet zwischen Arbeen, Zamalka und Sakba, von Barzeh über Qaboun und Jobar bis Douma und Harasta und den südlichen Ausläufern des palästinensischen Jarmuk-Lagers. Die Zivilbevölkerung hat diese Gebiete seit Monaten verlassen.

Am 21. August hatten die syrischen Streitkräfte in ihrer Operation »Schutzschild der Stadt« Kämpfer der Nusra-Front von einem strategisch wichtigen Stützpunkt am Eingang zum Vorort von Jobar zurückgedrängt, berichtet die libanesische Tageszeitung Al-Safir. Ziel war, die Belagerung von Damaskus im Süden und Osten zu brechen. Der eingenommene Stützpunkt sei für den Nachschub von Kämpfern zentral gewesen, die – über die Ghouta – aus Jordanien kommen, wo sie vom US-Geheimdienst CIA ausgebildet und von saudischen Geldgebern ausgerüstet würden. Koordiniert werde diese Versorgungskette zwar auch vom Militärrat der »Freien Syrischen Armee«. Deren Kämpfer sollen allerdings an der Front von den Islamisten zurückgedrängt worden sein.

Zur Abwehr des Vormarsches der syrischen Armee hatte die Nusra-Front in den Tagen vor und nach dem 21. August Mörsergranaten auf Wohngebiete in Tijara und Qassa und auf Bab Touma gefeuert, die an Jobar angrenzen. Doch die Angriffe konnten den Vormarsch nicht stoppen. Dann seien die Berichte von Giftgasangriffen auf Jobar und andere Orte in der östlichen Ghouta gemeldet worden, heißt es in Al-Safir. Als erster berichtete der saudische Nachrichtensender Al-Arabija darüber, nachdem bereits am Tag zuvor im Internetportal Youtube Videos zu dem Angriff aufgetaucht waren. Nach Al-Arabija trug die Nachrichtenagentur Reuters die Meldungen weiter, die sich wie ein Lauffeuer weltweit ausbreiteten.

Kaum ein Medium ging auf die Frage ein, warum die syrische Armee Giftgas einsetzen sollte in einer Situation, wo sie erfolgreich und auf dem Vormarsch war. Der Medienaufstand schaffte es allerdings in Rekordzeit, fünf US-Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer zusammenzuziehen, Kampfjets und Piloten in Alarmzustand zu versetzen, Panzer und Truppen in Jordanien in Bewegung zu setzen und den Ölpreis in die Höhe zu treiben. Um die UN-Inspektoren, die eigentlich zur Untersuchung von drei anderen vermutlichen Giftgaseinsätzen nach Syrien gekommen waren, sicher zu den neuen Tatorten in der Ghouta zu geleiten, mußten die syrischen Streitkräfte ihre im militärischen Sinne erfolgreiche Operation abbrechen.

Die Entwicklung deutet darauf hin, daß die Sponsoren der islamistischen Brigaden ihren unter Druck geratenen Bodentruppen eine Pause verschaffen wollten. Der Giftgasangriff bot ihnen eine goldene Gelegenheit. Hinter verschlossenen Türen fordern die Amerikaner eine »Wiederherstellung der Machtbalance« als Voraussetzung für die Genfer Syrien-Konferenz, wie der amerikanische UN-Diplomat Jeffrey Feltman in Teheran sagte.

Trotz der massiven westlichen und saudischen Unterstützung konnten die Aufständischen sich gegen die syrische Armee nicht durchsetzen. Innerhalb der Aufständischen-Front gibt es zudem Differenzen zwischen den Gruppen, die von den Saudis finanziert werden und denen, die dem Emirat Katar unterstehen. Der saudische Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan hält die Gruppen aus, die gemeinhin als »Al-Qaida-nah« beschrieben werden. Katar wiederum unterstützt islamistische Gruppen, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Wiederholt ist es zwischen diesen Lagern zu tödlichen Konfrontationen gekommen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 31. August 2013


Russische Vergeltung?

Moskau betont Interesse am Frieden und wirft USA Kanonenbootdiplomatie vor

Von Knut Mellenthin **


Wir würde Rußland reagieren, wenn die USA – wozu Präsident Barack Obama fest entschlossen scheint – in den nächsten Tagen Syrien militärisch angreifen? Außenminister Sergej Lawrow warf den USA auf einer Pressekonferenz am 26. August »Kanonenbootdiplomatie« vor, betonte aber auch absolut eindeutig: »Krieg führen wollen wir gegen niemand.« Im Gegenteil: »Wir wollen auf jeden Fall vermeiden, daß es zu einem ›Krieg der Zivilisationen‹ kommt. Wir sind für den Dialog, die Allianz der Zivilisationen.«

Im Widerspruch dazu stehen Gerüchte und Vermutungen, daß Rußland zu militärischen Maßnahmen greifen könnte, falls die US-Administration ihre Ankündigungen wahr macht, und daß dann vielleicht sogar ein größerer militärischer Konflikt drohen könnte. In manchen oberflächlichen Betrachtungen fällt sogar der Begriff »3. Weltkrieg«.

In den vergangenen Tagen wurde im Internet nicht etwa nur als Gerücht, sondern als angeblich sichere Tatsache verbreitet, daß das Büro des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Mittwoch den Streitkräften den Befehl übermittelt habe, im Fall einer westlichen Aggression gegen Syrien mit einem »massiven Militärschlag« gegen Saudi-Arabien zu reagieren. Falschmeldungen dieser Art entwickeln auf Grund der heutigen Kommunikationstechnologie in rasendem Tempo eine Eigendynamik, weil manche an sich seriösen und rationalen Personen und Gruppen nichts dabei finden, sie ungeprüft weiterzugeben und sich damit, scharf gesagt, zu nützlichen Idioten von Desinformationszentren zu machen.

Die eben erwähnte »Ente« läßt sich leicht zum Internet-Portal EU-Times zurückverfolgen. Dieses beschäftigt sich, warum und in wessen Dienst auch immer, praktisch ausschließlich mit der Produktion von Lügen. Auffallend oft geht es dabei um angebliche russische Absichten, sich gegen Provokationen und Zumutungen des Westens mit militärischen Mitteln zur Wehr zu setzen.

Russen, die mit diesen Desinformationen vertraut sind, versichern, wenn sie danach gefragt werden, immer wieder, daß allen, wirklich allen Richtungen des politischen Spektrums in ihrem Land solche Überlegungen so fern liegen, daß darüber nicht einmal diskutiert wird. Rußland kann und will sich mit dem Westen nicht militärisch konfrontieren – auf keinen Fall unter den gegenwärtigen Voraussetzungen. Daß Rußland künftig vor der Notwendigkeit stehen könnte, eigene »rote Linien« zu formulieren und gegebenenfalls auch zu verteidigen, ist eine langfristig zu behandelnde Frage, aber keine aktuelle.

Seinen »Flottenstützpunkt« im syrischen Tartus, von dem in diesem Zusammenhang oft die Rede ist, hat Rußland schon im Juni praktisch geschlossen, indem es sein gesamtes Personal von dort abzog. Ein Stützpunkt im westlichen Sinn war Tartus ohnehin nicht. Russische Kriegsschiffe können ihn zur Aufnahme von Proviant und Treibstoff oder auch für Reparaturen anlaufen, aber mehr nicht. Rußland spricht offiziell von einem »Materiell-Technischen Unterstützungspunkt«. Russische Kriegsschiffe, die erstmals seit dem Ende der Sowjetunion wieder in größerer Zahl regelmäßig das Mittelmeer befahren, könnten im Fall eines militärischen Konflikts mit dem Westen in keinem Küstenland – abgesehen von Syrien – landen. Zudem hat Rußland keine Kampfflugzeuge in der Region. Das bedeutet: Diese Flotte ist ein politisches Symbol, aber kein militärisches Instrument.

Das heißt selbstverständlich nicht, daß Moskau nach einem eventuellen Überfall auf Syrien so tun würde, als sei nichts geschehen. In diesem Sinn muß man den Kommentator Jewgenij Schestakow verstehen, der oft die Sichtweise des Außenministeriums wiedergibt und der am Freitag in der Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta schrieb: »Rußland wird sich nicht direkt in den syrischen Konflikt einmischen. Daß es nicht einverstanden ist mit der Position des Westens, wird es auch weiterhin auf diplomatischem Wege äußern. Jedoch wird das offene Ignorieren der Position Moskaus durch eine Reihe europäischer Hauptstädte und Washington gewiß nicht der Zusammenarbeit im Rahmen der UNO dienen, was andere für den Westen wichtige Probleme angeht. Etwa bei für unsere Partner so wichtigen Fragen wie Waffenlieferungen an dritte Länder oder das iranische Atomprogramm. Je demonstrativer Washington die russische Position gegenüber Syrien nicht berücksichtigt, desto weniger wird das Weiße Haus die Möglichkeit haben, sich mit dem Kreml über irgend etwas zu verständigen.«

** Aus: junge Welt, Samstag, 31. August 2013


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