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Von Frauenquoten unbeeindruckt

Die Männer der syrischen Exilopposition wollen unter sich bleiben

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Ehe sie sich doch noch auf einen Minimalkonsens und eine neue Führung einigten, haben die syrischen Oppositionsgruppen im Exil in Doha eine Woche lang das getan, was sie auch sonst immer tun - ihre Rivalitäten austragen. Nur in einem war man sich offenbar schnell einig: Frauen gehören nicht in die Führung.

Der Syrische Nationalrat (SNR), die im Ausland agierende Opposition, hat ein Problem mit Frauen. Nicht, dass es keine Frauen gäbe, die sich in dem Gremium engagieren wollen, welches sich in diesen Tagen in der katarischen Hauptstadt Doha auf Druck der USA-Regierung rundum erneuern und mit anderen Gruppen zusammenschließen will. Das Problem ist, dass die Männer im Nationalrat Frauen offenbar keine politischen Fähigkeiten zutrauen. Das zeigte sich bei der Wahl zum Führungsgremium des SNR, einem 41-köpfigen Generalsekretariat. Obwohl Frauen kandidierten, wählten die mehr als 400 Ratsmitglieder keine einzige in das Sekretariat. Daran konnte auch eine Frauenquote für die Delegierten des SNR von 15 Prozent nichts ändern.

Peinlich berührt räumte der ehemalige SNR-Vorsitzende Abdelbasit Saida ein, es mache ihn »so traurig«, dass die Frauen es nicht in die Führung geschafft hätten. Er werde versuchen, »per Dekret« vier Frauen nachträglich in das Gremium zu befördern. Saidas Nachfolger, Georges Sabra, sagte, da nur fünf Prozent der SNR-Mitglieder Frauen seien, habe man versucht, ihnen mit der 15-Prozent-Quote für die Doha-Konferenz »einen Fuß in die Tür« zu stellen. »Sonst werden Männer für immer alles selber machen wollen«. Die Aufstände in Syrien waren von Anfang an von Männern getragen. Lediglich in den ersten Wochen des weitgehend friedlichen Protestes hatten sich Frauen aktiv gezeigt. Mit zunehmender Militarisierung wurden Frauen ebenso wie politisch und gewaltfrei arbeitende Gruppen verdrängt. Schon lange sind »Frauen und Kinder die Leidtragenden in diesem Krieg«, sagt Nasrin H. im Gespräch gegenüber »nd« in Damaskus. Frauen verlören ihre Söhne, Ehemänner, Väter, Brüder«, sagt die 31-jährige Arabischlehrerin und Mitbegründerin der Organisation »Syrische Frauen für das Leben«.

»Frauen tragen keine Waffen, sie wollen diesen Krieg nicht, dennoch leiden sie am meisten«, sagt Nasrin, die das Vorgehen der bewaffneten Opposition ebenso ablehnt wie die »Sicherheitslösung«, die Armee- und Sicherheitskräfte durchsetzten. Gewalt bewaffneter Männer von beiden Seiten richte sich gegen schutzlose, vertriebene Frauen, klagt Nasrin. Alleinstehende Frauen würden fliehen, um Entführung und Vergewaltigung zu entkommen, aus Scham und Angst sprächen sie nicht darüber, was ihnen angetan wurde. Die wirtschaftliche Not treibe Familien außerdem dazu, Mädchen früh und gegen den eigenen Willen zu verheiraten. Der Krieg zersetze die Gesellschaft.

Auf der Suche nach Gleichgesinnten wurde Nasrin auf das »Forum für Frauen und Demokratie« aufmerksam, das wiederum die Kampagne »Frauen für Frieden in Syrien« initiierte. Um den politischen Wandel in Syrien aktiv und gewaltfrei voranzubringen, soll ein landesweites Netzwerk Frauen für einen friedlichen Übergangsprozess gewinnen. Frauen sollen sich für ihre humanitären, politischen und sozioökonomischen Rechte organisieren, denn sie seien die Basis jeder Zivilgesellschaft, ist Nasrin überzeugt.

Sie selber hat Vorbilder für ihr Engagement, das sie schon als Schülerin mit 16 Jahren in die Armenviertel ihrer Heimatstadt Tartous führte: Nawal al-Saadawi, die Schriftstellerin aus Ägypten, und Martin Luther King. Besonders beeindruckt habe sie die Rede Luther Kings, die er 1963 in Washington hielt, fährt Nasrin fort: »Ich habe einen Traum, hat er damals gesagt - und heute ist Obama im Weißen Haus! Und ich habe einen Traum für Syrien: einen friedlichen Wandel, ohne Waffengewalt.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 12. November 2012

Karin Leukefeld

referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Was habt ihr dem arabischen Frühling in Libyen und Syrien angetan!?
Hier geht es zum Programm des Kongresses




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