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Kundgebung in Amman, Ruhe in Damaskus

Jordanien sucht den friedlichen Wandel *

Während in Jordaniens Hauptstadt Amman am Freitag (4. Feb.) Hunderte für Reformen demonstrierten, blieben angekündigte Aktionen in Syrien aus.

Amman/Damaskus (Agenturen/ ND). Etwa tausend Menschen sind laut Polizeiangaben in der jordanischen Hauptstadt Amman für politische Reformen auf die Straße gegangen. Die Demonstranten folgten am Freitag einem Aufruf der islamistischen Opposition, die sich auch solidarisch mit der Protestbewegung in Ägypten erklärte. Die Teilnehmer der Kundgebung riefen in Sprechchören Slogans wie »Wir wollen ein zufrieden stellendes Wahlgesetz«, »Wir wollen in Freiheit leben« und »Wir brauchen eine Regierung für die Armen«. Die Demonstration begann vor dem Sitz der Regierung und zog dann vor die ägyptische Botschaft in Amman. Dort bekundeten die Demonstranten ihre Unterstützung für die Proteste in Ägypten gegen Staatschef Husni Mubarak. Die Demonstration verlief friedlich.

Zu der Kundgebung hatte die oppositionelle Islamische Aktionsfront (FAI) aufgerufen, die von den Linksparteien des Landes unterstützt wird. Der politische Arm der Muslimbruderschaft fordert nicht den Sturz der Führung, sondern politische Reformen. Bereits in den vergangenen Wochen waren Menschen aus Protest gegen hohe Lebenshaltungskosten und die Wirtschaftspolitik der Regierung auf die Straße gegangen. Am Dienstag setzte König Abdullah II. daraufhin Maruf Bachit als neuen Regierungschef ein und beauftragte ihn mit »wahrhaftig politischen Reformen«. Am Donnerstag führte der König Gespräche mit der FAI. Während der König »ernste Schritte« des Wandels versprach, lobte die FAI das Treffen als »ehrlich« und »positiv«. Die FAI forderte zahlreiche Verfassungsänderungen. So soll der Premier künftig von der Parlamentsmehrheit und nicht vom König bestimmt werden.

Derweil ist ein Aufruf im Internet zu Protesten gegen die Regierung des autoritär regierenden syrischen Präsidenten Baschar al-Assad am Freitag nicht befolgt worden. In der Hauptstadt Damaskus blieb auch nach dem Ende des Freitagsgebets alles ruhig, und auf den großen Straßen war außer einer verstärkten Polizeipräsenz nichts Ungewöhnliches zu sehen, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Der Präsident der syrischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte, Abdel Karim Rihaui, sagte, der Aufruf auf Facebook stamme aus dem Ausland. »Die syrischen Oppositionellen haben auf den Aufruf nicht reagiert, weil sie von der Ineffizienz von Protesten zum gegenwärtigen Zeitpunkt überzeugt sind.«

* Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2011


Syrer haben "noch nicht so viel Mut"

Wenig Resonanz am geplanten Tag des Zorns

Von Martin Lejeune


Auch Syriens Opposition würde gerne an die Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten anknüpfen. Ein Aufruf zum »Tag des Zorns« fand am Freitag (4. Feb.) jedoch wenig Resonanz.

»Wir waren einige hundert junge Leute, die sich in kleinen Gruppen auf dem Sadallah-al-Jabri-Platz in Aleppo versammelten hatten« berichtete Herbi M., ein linker kurdischer Aktivist aus einem Vorort der syrischen Großstadt am Telefon. »Geheimdienste und Polizei zeigten sofort starke Präsenz.« Die Demonstranten hätten befürchtet, geschlagen zu werden, wie das am Mittwoch aus Damaskus gemeldet worden war.

Am Bab Al-Tuma im christlichen Viertel der Altstadt von Damaskus hatten sich ein paar Dutzend junger Leute zu einer Mahnwache als Zeichen der Solidarität mit den Aufständischen in Ägypten zusammengetan. »Sie zündeten Kerzen an und hielten eine stille Demonstration ab«, berichtete am Telefon Faizal Fawaz, der die spontane Demonstration als Zuschauer erlebte. 15 Teilnehmer der Solidaritätsaktion seien von der Geheimpolizei zusammengeschlagen worden, darunter zwei Frauen, die anschließend zur Polizei gingen, um Anzeige zu erstatten. Doch eine der beiden, Zuheir al-Tafi, Spross einer der bekanntesten Familien von Damaskus, wurde auf dem Polizeirevier misshandelt. »Sie wurde als Agentin des Auslands und Virus bezeichnet, der die syrische Gesellschaft mit ausländischer Propaganda infiziere«, schilderte ein Student, der mit der jungen Frau zusammen in der Protestbewegung aktiv ist, seinen Namen aber nicht veröffentlicht sehen möchte. »Ich habe Angst vor Repressionen des Geheimdienstes. Es ist sehr gefährlich für uns, mit Ausländern zu sprechen. Auf Zuheirs Familie wird viel Druck ausgeübt.«

Auch Faizal Fawaz, bis 2003 Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Syriens und heute unabhängiger Oppositioneller, macht nicht nur das schlechte Wetter dafür verantwortlich, dass der Freitag relativ ruhig verlief: »Es regnete und schneite sogar den ganzen Tag. Aber vor allem schreckt die allgegenwärtige Sicherheitspolizei in Zivil die Leute ab, auf die Straße zu gehen. Die Leute sind verängstigt und eingeschüchtert durch die Diktatur. Wir haben noch nicht so viel Mut wie die Menschen in Ägypten.«

Fawaz fordert mehr gesellschaftliche Freiheiten und »einen Staat, der seine eigenen Gesetze respektiert«. Die jungen Menschen bräuchten Arbeit; Korruption und Armut müssten bekämpft werden – »nicht nur hier in Syrien, sondern überall in der arabischen Welt«. Zur Rolle von Islamisten in Syrien äußerte er: »Es gibt viele islamistische Kräfte in Syrien, aber sie agieren nicht einheitlich. Daher sehe ich in ihnen nicht die führende Kraft in der Opposition.«

** Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2011


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