Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Syrien im Strudel der arabischen Revolution

Ruf nach Freiheit wird rund um Damaskus lauter *

Die Beisetzung von fünf getöteten Demonstranten ist am Samstag (19. März) in der Stadt Daraa im Süden von Syrien in eine Kundgebung für Freiheitsrechte umgeschlagen.

»Wir wollen Freiheit!« Das rief die Trauergemeinde laut Webseiten der syrischen Opposition beim Begräbnis von fünf Menschen, die von Sicherheitskräften am Freitag (18. März) bei einer Demonstration für mehr Bürgerrechte getötet worden waren. Die Behörden sperrten den Südteil der Stadt Daraa nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten vollständig ab, um zu verhindern, dass Demonstranten zu dem Trauerzug stoßen. »Sie haben Sicherheitskräfte und Soldaten mit Hubschraubern in der Nähe der Demonstranten abgesetzt, um ihre Macht zu zeigen«, sagte ein Regimegegner.

Eine Versammlung der Stämme in Daraa forderte die »kriminellen Banden des Regimes«, wie die Sicherheitskräfte bezeichnet wurden, dazu auf, sich aus der Stadt zurückzuziehen. Insgesamt waren am Freitag in der Hauptstadt Damaskus, in Homs, Aleppo, Deir al-Zor und Daraa mehrere tausend Menschen auf die Straße gegangen, um Freiheitsrechte und ein Ende der Korruption zu fordern. In Syrien, das von Präsident Baschar al-Assad mit eiserner Hand regiert wird, hatte es zuvor – anders als in anderen arabischen Ländern – keine größeren Proteste gegeben.

Syrien galt nicht unbedingt als anfällig für den Samen der arabischen Revolution, der von Tunesiern und Ägyptern gesät wurde. Denn jede Opposition im Land wird durch das Regime von Präsident Baschar al-Assad unterdrückt. Doch seit Anfang letzter Woche drängt es auch immer mehr Syrer auf die Straße. Täglich gibt es Berichte über Demonstrationen. Zwar versuchen die staatlich kontrollierten Medien, das Aufbegehren unterm Deckel zu halten. Doch wie schon zuvor in Tunesien und Ägypten finden auch in Syrien Videos und Berichte von den Demonstrationen über Internetseiten und soziale Netzwerke wie Facebook ihren Weg in die Öffentlichkeit. Und dass der Funke wie in Jemen, Bahrain oder Libyen auch hier überspringt, kann nicht mehr ausgeschlossen werden.

Syrien gilt als eines der am strengsten staatlich kontrollierten Länder im Nahen Osten. Seit vielen Jahren wird die Opposition von der alles beherrschenden Baath-Partei klein gehalten. Wegen des seit 1963 geltenden Ausnahmezustands sind viele Verfassungs- und Bürgerrechte außer Kraft. Regimegegner und Menschenrechtsaktivisten werden von Polizei und Geheimdiensten verfolgt, eingesperrt und gefoltert. Auch auf die jüngsten Proteste reagierte die Staatsgewalt mit Härte.

Bislang haben die Demonstranten vor allem mehr Freiheit gefordert. Der Ruf nach einer Entmachtung der seit vier Jahrzehnten herrschenden Familie Assad war nicht laut geworden. Doch nun droht auch Baschar al-Assad, der das Präsidentenamt 2000 von seinem verstorbenen Vater Hafiz übernommen hatte, unter Umständen der offene Aufstand.

* Aus: Neues Deutschland, 21. März 2011


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage