Keine Ramadan-Kontrolle in Damaskus
Im säkularen Syrien ist die Einhaltung des Fastengebots freiwillig, Verstöße sind nicht sanktioniert
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Mit dem Vollmond, der lautlos über den Dächern von Damaskus den Nachthimmel durchstreift, hat
der muslimische Fastenmonat Ramadan auch in Syrien seinen Zenit überschritten. Am 9. oder 10.
September, je nach Stand des Mondes, wird »Ramadan Kerim«, der »Freundliche Ramadan«, mit
dem traditionellen Eid al-Fitr zu Ende gehen.
Syrien ist ein säkularer Staat, dessen Bevölkerung sich, Statistiken zufolge, in etwa 85 Prozent
Muslime und 10 Prozent Christen unterteilt. Rund fünf Prozent gehören anderen
Glaubensgemeinschaften an wie Drusen und Jesiden. Christen kennen Zeiten des Fastens vor
Weihnachten und Ostern, während des Ramadan ist das Fasten Sache der Muslime. Essen, Trinken
und Rauchen sind von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang untersagt. Ausgenommen sind Kinder,
Kranke, schwangere Frauen und alte Menschen. Gegessen und getrunken wird am Abend, nach
dem Fastenbrechen »Iftar«, das in Damaskus neuerdings mit einem Kanonenschlag angekündigt
wird. Die fastenfreie Nacht endet mit »Suhur«, dem Morgengebet vor Sonnenaufgang, vor dem die
Gläubigen noch einmal ein leichtes Frühstück einnehmen dürfen.
Diese Regeln werden in den muslimischen Staaten unterschiedlich streng befolgt oder durchgesetzt.
Anders als in den Golfstaaten, Jordanien oder Nordafrika, gibt es in Syrien keine Strafen, sollte
jemand dennoch essen und trinken. Allerdings wird darum gebeten, dies nicht in der Öffentlichkeit zu
tun. Viele Imbisslokale bleiben während des Ramadans ganz geschlossen. Andere machen
tagsüber gute Geschäfte. Denn wer nicht fastet, nimmt sich das Essen mit ins Büro oder nach
Hause.
In vielerlei Hinsicht könnte die Ramadanzeit mit der christlichen vorweihnachtlichen Adventszeit
verglichen werden. Die Menschen sind aufgerufen zu spenden und Gutes zu tun, Armen und
Kranken zur Seite zu stehen und sich dem Gebet und dem Nachdenken über Gott zu widmen.
Familien und Freunde verbringen den Abend beim Fastenbrechen miteinander, die Mittellosen
werden in Moscheen und öffentlichen Zelten mit Essenspenden Wohlhabender verköstigt.
Wie die christliche Adventszeit hat auch der Ramadan zwei Seiten. Neben der spirituellen Botschaft
geht es um das Geschäft. Balkone und Fenster sind mit leuchtenden Monden und Sternen, Blumen
und Lampiongirlanden geschmückt, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab. Immer häufiger
überreicht man sich schon vor dem Eidfest kleine Geschenke, sofern man es sich leisten kann. Zum
Fastenbrechen bieten viele Restaurants in und um Damaskus besondere kulturelle und kulinarische
Leckerbissen an. Mit großem Buffet, Live-Musik, Kartenspielen und Wasserpfeiferauchen bis zum
Frühgebet »Suhur« wirbt ein Lokal in der Altstadt, mit Unterhaltung auf überdimensionalen
Bildschirmen und Wettbewerben lockt ein anderes Restaurant. Und überall flimmern auf den
Bildschirmen die Ramadanserien von Herz und Schmerz, die nicht nur in Syrien, sondern in allen
arabischen Staaten mit Hingabe verfolgt werden.
Abu Ahmed dient das Fasten der moralischen und religiösen Selbstreflexion, und so kommt vor der
morgendlichen Lektüre von Börsennachrichten in seinem Internetcafé das Studium des Korans.
Anders als sonst gibt es zur Begrüßung weder Tee noch Kaffee. Kurz vor dem »Iftar« gegen 19.20
Uhr schließt Abu Ahmed sein Internetcafé für zwei Stunden, um bepackt mit Süßigkeiten und Obst
nach Hause zur Familie zu eilen.
Mohammed aus Aleppo, der den kargen Lebensunterhalt für sich und seine Familie als
Reinigungskraft in einem Damaszener Hotel verdient, radelt durch die spätnachmittägliche Hitze mit
dem Fahrrad den Damaszener Hausberg Qasioun hinauf, wo er später auf die Minute genau zum
»Iftar« süße Getränke an Frau, Kinder und Verwandte austeilt. Für eine Stunde bleiben dann
Straßen und Plätze der syrischen Millionenmetropole wie leergefegt.
Die heiße Sommerzeit setzt den Fastenden in der arabischen Welt zu. Bei Temperaturen bis zu 50
Grad brauchen die Menschen Strom und Wasser, beides ist knapp in der Region. In Irak, Libanon
und Ägypten kam es wegen langer Stromausfälle zu heftigen Protesten, denen Politiker nicht mehr
als das Versprechen entgegenzusetzen hatten, man werde alles tun, um die Engpässe zu beheben.
»Straßenblockaden und brennende Reifen« seien nicht nützlich, hieß es zum Beispiel in Libanon. In
Jordanien müssen wegen akuter Wassernot des öffentlichen Verteilers die Menschen das kostbare
Nass teuer von privaten Anbietern kaufen.
Die israelischen Behörden hielten derweil für die Palästinenser ein besonderes Geschenk zu
Ramadan bereit, wie Jeff Halper vom Internationalen Komitee gegen Hauszerstörungen sarkastisch
anmerkte. In der Nacht vor Beginn des Fastenmonats machten sich Arbeiter unter dem Schutz von
Polizisten auf dem historischen muslimischen Mamilla-Friedhof in Jerusalem zu schaffen und
zerstörten Grabsteine. Die ältesten Gräber des Friedhofs stammen aus dem 7. Jahrhundert, als die
ersten Muslime in die Region kamen. Auch Zehntausende Kämpfer der Armee Salah ad-Dins sollen
dort begraben sein, die 1187 geholfen hatten, Jerusalem von den Kreuzrittern zu befreien.
* Aus: Neues Deutschland, 2. September 2010
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