Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Ready to go"

US-Streitkräfte warten auf Obamas Angriffsbefehl gegen Syrien. Arabische Liga verweigert den Segen zum geplanten Krieg. Keine Überfluggenehmigung aus Österreich

Von Knut Mellenthin *

Die US-Streitkräfte stehen bereit zum Angriff auf Syrien. Das verkündete Pentagon-Chef Chuck Hagel am späten Dienstag abend im britischen Sender BBC. »Wir haben unsere Kräfte in Stellung gebracht, damit sie jede Option ausführen können, zu der der Präsident zu greifen wünscht. We are ready to go.« Zuvor soll aber offenbar noch die Sitzung des britischen Parlaments am heutigen Donnerstag abgewartet werden. Premier David Cameron hat die Abgeordneten aus dem Urlaub zurückbeordert. Offenbar hofft der Vorsitzende der Konservativen auf ein »demokratisches Mandat« für militärische Aktionen, das auch die oppositionelle Labour Party einbindet. Deren maßgebliche Politiker haben bisher keine Kritik an der Kriegsplanung geäußert, aber betont, daß zuvor das Parlament befragt werden müsse.

Der US-Präsident, der laut Verfassung Oberkommandierender der Streitkräfte ist, wird vor dem Befehl zum Losschlagen wahrscheinlich die Debatte im UN-Sicherheitsrat abwarten, die am Mittwoch beginnen sollte. Cameron hat angekündigt, daß Großbritannien dort einen Resolutionsentwurf einbringen würde, der die seit Tagen laufende beweislose Verurteilung der syrischen Regierung wegen des Giftgasangriffs vom 21. August fortsetzen soll. Zunächst war unklar, ob der britische Antrag auch ein Mandat für Militärschläge enthalten sollte. Daß die Russen einem solchen Antrag nicht einmal zustimmen könnten, wenn er sich »nur« auf die Verurteilung der syrischen Führung beschränken würde, steht von vornherein fest. Auch China wird vermutlich nicht für eine solche Entschließung zu gewinnen sein.

Indessen sind die USA und ihre Verbündeten am Dienstag mit ihrer Absicht gescheitert, sich von der Arabischen Liga, dem lockeren Dachverband von 22 überwiegend arabischen Staaten, eine Aufforderung zum Krieg gegen Syrien erteilen zu lassen. Neben Algerien und dem Libanon sprach sich auch das ägyptische Militärregime dagegen aus. Immerhin wurde auf dem Treffen aber eine Verurteilung Syriens wegen des Giftgaseinsatzes verabschiedet. Demgegenüber erklärte der Chef der kurdischen PYD im Norden Syriens, Saleh Muslim, das Regime in Damaskus sei nicht für den Chemiewaffeneinsatz verantwortlich. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters beschuldigte er indirekt die Aufständischen. Es gebe dort Kräfte, die das Regime als Schuldigen darstellen wollten.

Der Sonderbeauftragte der Arabischen Liga und der UNO für Syrien, der Algerier Lakhdar Brahimi, hat sich am Mittwoch entschieden und eindeutig gegen die geplanten militärischen Angriffe ausgesprochen. »Es wird schon genug getötet in Syrien, man will nicht noch mehr Tötungen, man will, daß das Töten aufhört.« Auf jeden Fall dürfe es aber keine Kriegshandlungen gegen Syrien ohne Zustimmung aller 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats geben. Auch Österreich sprach sich gegen einen nicht von den Vereinten Nationen mandatierten Einsatz aus und will NATO-Kampfflugzeugen auf dem Weg nach Syrien die Überfluggenehmigung verweigern, berichtete am Mittwoch die Kronen Zeitung unter Berufung auf einen Sprecher des Außenministeriums in Wien.

Unterdessen hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Mittwoch mitgeteilt, daß das Expertenteam der Vereinten Nationen noch vier Tage für die Beendigung der Untersuchung des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes bei Damaskus brauche. »Sie arbeiten sehr hart, unter sehr, sehr gefährlichen Umständen.« Nach den vier Tagen müßten die Ergebnisse mit Experten analysiert werden, erst danach könne dem Sicherheitsrat ein Bericht überstellt werden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. August 2013


Angetreten zur Strafaktion

Der Westen scheint zum Schlag gegen Syrien auch ohne UN-Mandat bereit

Von Uwe Kalbe **


Die Unbestimmtheit der Informationen ist das vielleicht augenfälligste Indiz für einen nahenden Militäreinsatz gegen Syrien. Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst ... Es seien »Anzeichen« eines Chemiewaffeneinsatzes gefunden, wurde am Mittwoch UN-Sondergesandter Lakhdar Brahimi zitiert. Die USA erklärten, jederzeit zum Schlag bereit zu sein. Ein Einsatz der Bundeswehr sei wenig wahrscheinlich, erklärten in Interviews Politiker aus Union und FDP.

Es sei nicht vor dem heutigen Donnerstag mit einem Militärschlag zu rechnen, verlautete in Washington. Präsident Barack Obama wolle auf die Entscheidung des britischen Unterhauses in London warten, dessen Mitglieder aus dem Urlaub zurückgerufen worden sind. Auf das französische Parlament scheint Obama nicht warten zu wollen – dieses soll erst am 4. September zusammentreten.

Den Grund für einen offenbar punktuell geplanten Schlag westlicher Staaten gegen Syrien liefert die Behauptung, das Regime von Baschar al-Assad habe vorige Woche nahe Damaskus Chemiewaffen gegen Zivilisten eingesetzt, mit hunderten Todesopfern als Folge. Barack Obama und David Cameron hätten »keinen Zweifel« mehr an dieser Version der Ereignisse, teilten Washington und London nach einem Telefonat des US-Präsidenten mit dem britischen Premierminister mit. Kein Zweifel heißt gleichwohl: Überzeugung statt Information.

Russland bezweifelte die Stichhaltigkeit der Ergebnisse und forderte einen Informationsaustausch. Die Recherchen in Syrien scheinen jedoch nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Am Mittwochnachmittag wurde bekannt, dass die UNInspekteure ihre Untersuchung nicht wie angekündigt am heutigen Donnerstag, sondern wohl erst am Wochenende abschließen werden. Die Experten brauchten noch vier weitere Tage, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Den Haag. Zuvor hatte sich Ban gegen einen Militärschlag ausgesprochen und für eine diplomatische Lösung geworben.

Die Zustimmung des Londoner Unterhauses für einen Einsatz dürfte Formsache sein. Cameron kündigte über den Informationsdienst Twitter einen Vorstoß im UNOSicherheitsrat an. Er habe eine Resolution vorbereitet, die er den Mitgliedern noch am Mittwoch unterbreiten wollte – also neben den USA, Großbritannien und Frankreich auch China und Russland, die ein militärisches Vorgehen strikt ablehnen. Sie hätten nun Gelegenheit, »Verantwortung gegenüber Syrien zu übernehmen«, teilte die Downing Street mit. Während die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) »entschiedenes Handeln« gegen die syrische Regierung forderte, hat inzwischen Iran als Verbündeter der syrischen Regierung eine drohende Haltung eingenommen. Parlamentspräsident Ali Laridschani warnte vor Konsequenzen, die Israel im Falle eines Angriffs auf Syrien entstehen könnten.

Ein UNO-Mandat für einen Militärschlag gegen Syrien ist angesichts der Haltung Moskaus und Pekings nicht zu erwarten. Gleichwohl wird dies zu einem Kern der Debatten in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab am Mittwoch den Ton vor und forderte Russland und China auf, der britischen Initiative im Sicherheitsrat keine Steine in den Weg zu legen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wünschte sich eine »geschlossene Haltung« des Gremiums. Vor der Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt hatte er zuvor erklärt, Deutschland werde am Ende »zu denjenigen gehören, die Konsequenzen für richtig halten«. Die »Frankfurter Allgemeine« zitierte ihn mit den Worten: »Hierzu stehen wir in enger Abstimmung mit den Vereinten Nationen und unseren Verbündeten.«

Ein Eingreifen auch ohne UNO-Mandat hielt Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) für akzeptabel. Der Chemiewaffenangriff auf Zivilisten rechtfertige eine Strafaktion. Ähnlich argumentierte Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. SPDFraktionschef Frank-Walter Steinmeier empfahl dagegen dringend, den G 20-Gipfel nächste Woche im russischen Petersburg abzuwarten. Wie die Kanzlerin denkt, deutete Regierungssprecher Steffen Seibert an: Ein Vorfall wie der Giftgaseinsatz müsse »geahndet« werden.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013


Weitere Berichte aus Istanbul,Tel Aviv, Washington, London, Paris, Moskau und von der Arabischen Liga

Türkei steckt zwischen Baum und Borke

Erdogan will eine »Schutzzone«

Von Jan Keetman


Angesichts des erwarteten Militärschlages gegen Syrien fällt in der Türkei vielen der 1. März 2003 ein. Überraschend lehnte das Parlament an jenem Tag den Antrag der noch neuen Regierung von Recep Tayyip Erdogan ab, den USA die Eröffnung einer Nordfront gegen Irak von der Türkei aus zu gestatten. Es war das einzige Mal, dass ein erheblicher Teil der Abgeordneten von Erdogans AK-Partei gegen die eigene Regierung stimmte. Das türkische Parlament warf den USA ein milliardenschweres Hilfspaket vor die Füße. US-Generäle machten die Türkei später dafür verantwortlich, dass die Army es schwer hatte, Irak zu kontrollieren.

Heute ist es unwahrscheinlich, dass die Regierung das Parlament in ähnlicher Weise fragen wird. Die Operationen gegen Syrien werden wohl ohne türkische Beteiligung und ohne die Verwendung der US-Basis Incirlik in der Türkei ablaufen.

Innenpolitische Probleme bereiten sie trotzdem; dies nicht nur von Seiten der Opposition, die geschlossen gegen eine Unterstützung der Kriegsalliierten stimmen will, falls es doch zu einer Parlamentsentscheidung käme. Die Zeitung »Zaman« schreibt: »Sollen nun die kommen‚ ›die Blut und Öl trinken‹ und das Assad-Regime zerstören?«

Damit erinnert die Zeitung an die scharfe antiwestliche Rhetorik Erdogans zum Militärputsch in Ägypten. Die AKP hat gute Beziehungen zu den Muslimbrüdern und sieht in ihnen eine verwandte Bewegung. Erdogan macht insbesondere den Westen für den Putsch verantwortlich. Andererseits fordert die Türkei seit langem ein westliches Eingreifen in Syrien. Ihr schwebt die Errichtung einer »Schutzzone« an ihrer Grenze vor. Sie würde die syrischen Flüchtlinge fernhalten und den Rebellen als Basis dienen.

Eine bloße Strafexpedition ist nicht im Interesse Erdogans. Er will mehr, ohne selbst teilzunehmen und damit noch tiefer in den syrischen Bürgerkrieg hineinzuschlittern. Schon jetzt treffen im Grenzgebiet abgefeuerte Geschosse türkische Bürger. Sie machen hierfür die eigene Regierung verantwortlich, weil sie mit ihrer Unterstützung der Rebellen den Krieg an die Grenze geholt hat.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013


Israel bereitet sich auf weiteren Krieg vor

Schlange stehen für Gasmasken

Von Oliver Eberhardt, Tel Aviv


In Israel spricht man dieser Tage nicht gerne über Außenpolitik. Nicht über Ägypten. Und schon gar nicht über Syrien. Das Büro des Regierungschefs habe allen Beamten schriftlich auferlegt, nicht mit den Medien zu sprechen, sagt ein Mitarbeiter des Außenministers. Es drohe ansonsten die fristlose Kündigung.

Doch die Situation ist auch so deutlich: Regierung und Bevölkerung bereiten sich auf einen weiteren Krieg vor. In Jerusalem befindet sich das »Sicherheitskabinett «, ein innerer Kreis von Ministern, der Entscheidungen über Krieg und Frieden fällt, in einer Art Dauersitzung. An den Grenzen zu Syrien und Libanon werden zusätzliche Armee-Einheiten und Abwehrbatterien stationiert. Und überall stehen Menschen Schlange, um eine neue Gasmaske zu bekommen. Seit dem Irakkrieg Anfang der 90er Jahre schien die Gefahr eines Giftgasangriffs auf Israels Städte nicht mehr so real wie heute. Mit den Sparmaßnahmen im Ende Juli beschlossenen Haushalt hatte man sogar das Budget für die Gasmasken gestrichen.

Nun versucht die Regierung händeringend, diesen Schritt, der ab 2014 gelten sollte, rückgängig zu machen. Denn selbst ohne dieses Detail wird ihr Krisenmanagement häufig kritisiert. Premier Benjamin Netanjahu warnte zwar, jeder Angriff auf Israel werde eine harte Reaktion nach sich ziehen, und Verteidigungsminister Mosche Jaalon erklärte, das Militär sei auf jedes Szenarium vorbereitet.

Aber die Medien melden Zweifel an. So haben die »Iron Dome«-Systeme, also Raketenabwehrbatterien, mehrfach Raketen nicht abfangen können. Und längst ist klar, dass »Iron Dome« selbst im Idealfall nur so viel abfängt, wie es Abfangraketen in der Batterie gibt. Und deren Zahl ist begrenzt.

Ein Kommentar der Zeitung »Haaretz « wirft dem Premier »strategische Blindheit« vor: Er habe die Allianzen mit westlichen Staaten vernachlässigt, sich lieber auf die Innenpolitik konzentriert. Und auch in »Jedioth Ahronoth« wird der Eindruck geäußert, dass Israels Regierung bei den Beratungen des Westens über Syrien nur eine Beobachterrolle einnimmt.

(neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013)


USA beharren auf Rolle des Weltpolizisten

Bevölkerungsmehrheit dagegen

Von Max Böhnel, New York


Etwas anderes als der Ehrgeiz der USA, ihre »credibility« (Glaubwürdigkeit) als Weltpolizist unter Beweis zu stellen, ist wenige Tage oder Stunden vor den zu erwartenden Angriffen auf Syrien nicht zu entdecken. Wie immer vor einer Aggression Washingtons werden die Münder von Offiziellen in den Ministerien ebenso schmal wie die Kanäle, durch die Informationen aus Weißem Haus, Pentagon und Außenministerium fließen. Interessanterweise berichteten bis Mittwochmorgen die von PR-Beauftragten gefütterten Medien ausgerechnet darüber, was die Obama-Regierung nicht beabsichtige: Es gehe nicht um einen Regimewechsel und nicht darum, Präsident Assad an den Verhandlungstisch zu bomben. Weder habe man vor, Bodentruppen einzusetzen, noch seien Angriffe auf Anlagen mit chemischen Waffen oder die Durchsetzung einer Flugverbotszone vorgesehen. Es gebe vorerst auch keine Planungen, Flugzeugrollbahnen zu zerstören. Auf keinen Fall würden sich die USA in den syrischen Bürgerkrieg ziehen lassen.

Offensichtlich versucht das Weiße Haus den Eindruck zu erwecken, es gehe mit Samthandschuhen zu Werke. Das ist kein Wunder. Denn eine neue militärische Intervention Tausende Kilometer von den USA entfernt findet in der Bevölkerungsmehrheit Umfragen zufolge keine Unterstützung. Etwa 60 Prozent sind Reuters/ Ipsos zufolge der Meinung, die USA sollten sich aus dem Bürgerkrieg heraushalten.

Selbst wenn sich beweisen ließe, dass die umstrittenen Giftgasangriffe vom Assad-Regime zu verantworten sind, betrüge die Ablehnung noch 46 Prozent. Nur ein Viertel der Bevölkerung wäre dafür. Aber diese Umfragen sind ein paar Tage alt. Erfahrungsgemäß lässt die Kritik am Weißen Haus erheblich nach, wenn der Präsident, zum militärischen Oberbefehlshaber mutiert, Angriffe auf ein anderes Land zur Angelegenheit der nationalen Sicherheit erklärt.

Bis Mittwochmorgen wurde in den Medien die Version, dass die Giftgasangriffe dem Assad-Regime zuzuschreiben seien, nur ganz vorsichtig hinterfragt. Demnach wartete man auf Beweise, die USA-Auslandsgeheimdienste innerhalb kürzester Zeit vorlegen würden.

In der »New York Times« hieß es am Dienstag, Obama strebe mit den Angriffen die »Abschreckung und Reduzierung« der Fähigkeit zum Einsatz chemischer Waffen durch Assad an. Auf einer ersten Liste stünden bis zu 50 Ziele, darunter Luftwaffenbasen, Kommando- und Kontrollgebäude und »konventionelle« Einrichtungen der syrischen Armee. Die Mehrzahl der Angriffe würde von vier USAZerstörern im Mittelmeer ausgehen – mit Tomahawk-Marschflugkörpern.

(neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013)


London meint die UNO nicht zu brauchen

Blair begeistert über Cameron

Von Ian King, London


»Wir können nicht untätig zusehen, wie ein Diktator sein Volk mit Giftgas ermordet «, sagte der britische Premier David Cameron. Am Donnerstag wird im Unterhaus über angeblich »chirurgische« Angriffe gegen Assads Stützpunkte debattiert.

Doch viele Abgeordnete und noch mehr Wähler erinnern sich mit Grauen an Irak und die Folgen. Auch 2003 hatte die »Doktrin der humanitären Interventionen« einen Schießkrieg rechtfertigen müssen. Auch damals plädierten Waffeninspektoren für mehr Zeit: damals, um Massenvernichtungswaffen zu finden; heute, um genau zu wissen, wer sie im Vorort von Damaskus gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt hat.

Damals waren die Regierungen der USA und Britanniens sich ihrer Sache sicher, heute steht sogar Frankreich auf ihrer Seite. Auch 2003 hieß es, Rückendeckung durch die UNO sei nicht nötig. Und von Bord einer Luxusjacht im Mittelmeer zwischen St. Tropez und Sardinien meldete sich ein alter Kriegstreiber: Tony Blair stimmte dem geplanten Syrienkrieg begeistert zu. Der Mann, der seit Jahren dem Nahen Osten Frieden bringen soll.

Aber nicht alle Briten sind von Gedächtnisschwund befallen. Vor den Ferien verlangten über 80 konservative Abgeordnete »keinen Krieg ohne vorherige Parlamentsabstimmung!« Labours Schattenaußenminister Douglas Alexander laviert: »Wir sagen nicht definitiv Nein zur Intervention, aber die Regierung soll vorher die juristischen Grundlagen für den Krieg verdeutlichen. Auf keinen Fall gibt es von uns einen Blankoscheck.« 2003 war Alexander vertrauensseliger.

Tory-Hinterbänkler wie Adam Holloway mahnen, Entsetzen über ein Verbrechen sei keine Strategie: Was sei der von Cameron angestrebte Endzustand? Sogar der rechte Julian Lewis warnt davor, Al- Qaida-Sympathisanten und religiösen Fanatikern unter den syrischen Rebellen den Rücken zu stärken. Sowohl rechte Militärstrategen wie Max Hastings im rechten »Daily Telegraph« wie engagierte Christen um Giles Fraser im linksliberalen »Guardian« monieren »leere, gefährliche Gesten«, die den Syrern noch mehr Blutvergießen bescheren würden. Von den Folgen fürs Verhältnis zu Russland, China und Iran spricht keiner – außer Blair, der gegen Teheran marschieren lassen will. Von Russland hat er noch nichts verlauten lassen.

Das YouGov-Institut meldet unverändert, nur 25 Prozent der Briten würden den Bombenkrieg unterstützen, 50 Prozent seien dagegen. Die Lügen, Fehler und Massenmorde vor zehn Jahren sind nicht vergessen. Gewiss, die Briten trauen Assad nicht über den Weg. Aber ihren eigenen Regierenden auch nicht.

(neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013)


Frankreich will Verantwortliche »bestrafen«

Linksfront warnt vor Krieg

Von Ralf Klingsieck, Paris


Frankreichs Präsident François Hollande hat am Dienstag im Elysée vor den französischen Botschaftern in aller Welt angekündigt, dass sich Paris an einer militärischen Aktion zur »Bestrafung« der Verantwortlichen für den Chemiewaffeneinsatz in Syrien beteiligen werde. Gleichzeitig werde die militärische Hilfe für die Gegner Präsident Assads verstärkt, »denen wir vertrauen«. Vorgesehen ist beispielsweise die Lieferung von Boden-Luft-Raketen.

Dieses militärische Engagement hält der Präsident, der die UNO in diesem Zusammenhang nicht erwähnte, für »nötig, um die Bedingungen zu schaffen, dass in Syrien später einmal eine politische Lösung gefunden werden kann«. Das militärische Engagement, das sich zunächst auf den Einsatz von Flugzeugen und Raketen beschränken dürfte, begründet der französische Präsident nicht zuletzt mit der »völkerrechtlichen Verpflichtung zum Schutz der Zivilbevölkerung«.

Nach der Sozialistischen Partei, die sich vorbehaltlos hinter die Entscheidung ihres Präsidenten stellt, hat nach anfänglichem Zögern auch die Führung der oppositionellen Rechtspartei UMP ihre Zustimmung erklärt. Einzelne rechte Politiker wie der Senator Philippe Marini geben allerdings zu bedenken, es existiere bisher kein Beweis dafür, dass der Chemiewaffeneinsatz in den Vororten von Damaskus tatsächlich durch die Armee Assads erfolgt sei und dass es sich nicht um eine Aktion von Aufständischen handelte, die eine ausländische Militärintervention gegen Damaskus provozieren wollen. »Wir sollten uns an das Beispiel der angeblichen Massenvernichtungswaffen in Irak erinnern, mit denen seinerzeit das Eingreifen gerechtfertigt wurde«, betonte Marini.

Andere kritische und warnende Stimmen kommen fast ausschließlich von den Kräften links der Sozialisten. So verlangte der Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei (FKP), Pierre Laurent, eine Debatte im Parlament vor einem »Militärschlag« in Syrien und nicht erst danach. Der Vizepräsident der Linksfront Jean-Luc Mélenchon schätzte ein, dass eine militärische Aktion »ein gigantischer Fehler« wäre, weil er »möglicherweise der Einstieg in einen Krieg sein kann, der noch größer und vernichtender wäre als alles, was wir bisher in dieser Region erlebt haben«. Auch Mélenchon führte das Beispiel Irak zum Vergleich an: Es habe Frankreich zur Ehre gereicht, dass es sich seinerzeit nicht an dem Irak-Kriegsabenteuer der Vereinigten Staaten beteiligte..

(neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013)


Russland pocht aufs Völkerrecht

»Militärschlag« wird abgelehnt

Von Irina Wolkowa, Moskau


Lob für die Ablehnung eines »Militärschlags « gegen Syrien und für die Warnungen vor den Folgen an die Adresse der »Hitzköpfe« im Westen, wie Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch formulierte, bekamen Kreml und Außenministerium sogar von kritischen Medien wie Radio »Echo Moskwy«. Der versuchte Export der Demokratie habe schon in Irak, in Libyen und in Ägypten für Instabilität gesorgt und Tausende Menschen das Leben gekostet. Die »Demokratisierung « Syriens werden ähnlich katastrophale Folgen haben. Auch sei die Beweislage bei der Giftgasattacke ähnlich prekär wie bei den Kernwaffen, die angeblich im Besitz des irakischen Diktators Saddam Husein waren.

Während Außenminister Sergej Lawrow den Westen dazu aufforderte, wenigstens die Ergebnisse der UN-Untersuchungen abzuwarten, glauben Beobachter in Moskau inzwischen, ein Angriff werde nicht vor dem G-20-Gipfel nächste Woche in St. Petersburg beginnen. Immerhin ist US-Präsident Barack Obama nun doch zu einem Gespräch mit Amtskollegen und Gastgeber Wladimir Putin bereit. Der russische Präsident, davon sind Experten mehrerer Denkfabriken überzeugt, werde alles daran setzen, den Amerikaner davon zu überzeugen, dass militärische Interventionen ohne UNMandat die von Moskau und Washington mühsam ausgehandelte globale Sicherheitsarchitektur zu Makulatur machen. Und damit zugleich das Völkerrecht, das die Anwendung militärischer Gewalt gegen souveräne Staaten nur mit dem Mandat der Weltorganisation erlaubt. Ein solches Mandat indes dürfte allein schon an Russlands Veto im Sicherheitsrat scheitern.

Assads Verbleib an der Macht und damit der Schutz russischer Interessen in Syrien sind dabei zweitrangig. Moskau pocht vor allem deshalb auf Einhaltung völkerrechtlicher Normen, weil anderenfalls Einfluss und Rolle der Vereinten Nationen weiter abnehmen. Denn die UNO – vor allem der Sicherheitsrat, zu dessen ständigen Mitgliedern Russland gehört – spielt eine Schlüsselrolle in den Plänen von Kreml und Außenministerium, den Status einer Supermacht zurückzugewinnen, wie ihn die Sowjetunion einst besaß. Ohne sie oder gar an ihren Interessen vorbei ging nichts in der internationalen Politik. Mit außenpolitischen Erfolgen – das war am Beispiel der Sowjetunion ebenfalls zu besichtigen – lässt sich auch eine autoritäre Innenpolitik besser durchsetzen. Moskaus Rückzug aus Afghanistan stärkte Reformanhänger und Dissidenten, eine politische Niederlage in der Syrienkrise könnte der Anfang vom Ende der Ära Putin sein.

(neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013)


Arabische Liga hat Assad ausgeschlossen

Wenig Gefahr droht von Osten

Von Roland Etzel


Die von den USA angestrebte »Koalition der Willigen« für einen Angriff auf Syrien fühlt sich auch deshalb so sicher, weil sie von anderen arabischen Staaten so gut wie keinen Gegenwind zu erwarten hat. In der Arabischen Liga, der alle arabischen Staaten zwischen Marokko im Westen und Oman im Osten angehören, ist die syrische Regierung fast völlig isoliert. Seit zwei Jahren ist die Mitgliedschaft von Damaskus suspendiert, im März wurde sie auf die Dachorganisation der Exilgruppen in Istanbul übertragen. Die Liga hat den Sturz von Präsident Baschar al-Assad zum offiziellen Ziel erklärt und unterstützt die Kriegspläne des Westens ohne Einschränkung – auf dem Papier.

Die Entscheidungen der Liga sind notorisch intransparent. Nach früheren Beschlüssen gegen die syrische Regierung wurde nie das Abstimmungsverhalten der einzelnen Staaten bekannt gegeben. So auch diesmal. Lediglich aus inoffiziellen Quellen war bekannt geworden, dass sich zum Beispiel Irak und Libanon dem Beschluss gegen Syrien widersetzt hätten. Algerien, Irak und Jemen sollen sich der Stimme enthalten bzw. an dem Votum nicht teilgenommen haben. Von der jetzigen Entschließung der Liga für einen Angriff auf Syrien gibt es erneut keine Nachrichten über das Stimmverhalten.

Es ist aber davon auszugehen, dass die arabische Front keineswegs so einheitlich steht wie behauptet. Während zum Beispiel Jordanien als erstes arabisches Nachbarland Syriens öffentlich Assads Rücktritt forderte, ist die Haltung des Nachbarn Irak genau gegensätzlich. Die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad verweigert Anti-Assad- Kämpfern das Einsickern über die irakische Grenze respektive den Waffenschmuggel über sie.

Von dieser, der Ostseite, droht Damaskus die wenigste Gefahr, zumal sich dahinter Iran befindet, der potenteste Verbündete Assads in der Region. Die Regierungen und Herrschaftssysteme beider Staaten – schiitisch bzw., dem verwandt, alawitisch dominiert – befinden sich in einer Art Schicksalsgemeinschaft.

Nicht wenige Beobachter sehen den Hauptgrund für den in seiner Einseitigkeit und Rigorosität nicht rational nachvollziehbaren Kurs des Westens gegen Assad sogar darin, dass so die Islamische Republik Iran isoliert und entscheidend geschwächt werden soll.

Etwas unerwartet ist, dass die Wortführer der Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder Südafrika bisher jegliche klare Positionierung gegen den Westen in der Frage vermieden. Das war beim Krieg gegen Libyen noch anders.

(neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013)


Stellungen sind bezogen

Von Uwe Kalbe ***

Zurückhaltend klingen die Kommentare deutscher Politiker, nachdenklich beinahe. Die Frage nach den Folgen für Syrien, für den Nahen Osten wird gestellt, auf Risiken verwiesen. Wenigstens die Untersuchungen der UNO-Spezialisten, die dem Verbrechen an der Zivilbevölkerung nachgehen sollen, seien abzuwarten, lautet der Rat, nicht zuletzt von Politikern der Regierungskoalition.

Wer sieht, wie die bekannten Rituale in den NATO-Hauptstädten jetzt ihren Lauf nehmen, wie Waffen und Worte geschärft werden, ahnt, dass Warnungen nichts fruchten werden. Der ahnt, wie alles endet. Und beinahe könnte er auf die Idee kommen, einen feinen Unterschied in deutschen Kommentaren zu erkennen gegenüber dem grobschlächtigen Drohen etwa in London oder Washington.

Diesen feinen Unterschied gibt es auch. Er trägt ein Datum: 22. September. Selbst wenn nicht alles vom Wahlkampf bestimmt wird, gefärbt wird es davon schon. Bei einer Zweidrittelmehrheit in der Bevölkerung, die einen Militäreinsatz auch im Falle Syriens ablehnt, bleiben Befürwortungen in jedem Politikerhals stecken.

Doch man möge genau zuhören. Den Krieg aus prinzipiellen Gründen, nicht nur wegen fehlender Mandate oder Erfolgsaussichten, lehnt außer der LINKEN niemand ab. Und schon gar nicht wird über Kriegsschiffe geredet, die auf dem Weg ins Mittelmeer sind oder bereits dort kreuzen. Oder die Patriot- Raketenstaffeln, mit denen Deutschland längst seine Stellungen gegen Syrien bezogen hat.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 29. August 2013 (Kommentar)


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