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Syrien-Krise zerreißt die Region

Nachbarstaaten tief in Konflikt involviert / Herber Rückschlag für zivile Kooperation

Von Karin Leukefeld *

Der politische, wirtschaftliche und militärische Druck auf Syrien sendet Schockwellen in die Nachbarländer. Die Bewältigung gemeinsamer Probleme der Region wie Wassermangel, politische und wirtschaftliche Reformen sowie ein Friedensprozess mit Israel sind vorerst gestoppt.

In Jordanien, Libanon, der Türkei und in den kurdischen Autonomiegebieten Iraks sammeln sich syrische Flüchtlinge. Obwohl die Grenzübergänge zu diesen Ländern weiterhin geöffnet sind, ziehen sie den Weg über die »grüne Grenze« und eine meist damit verbundene Bezahlung vor. Internationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk sagen für die Zukunft gewaltige Flüchtlingsströme aus Syrien voraus und fordern Millionen Dollar Hilfe.

Nach bisher bekannten Zahlen haben die Türkei 24 000, Libanon 10 000 und Jordanien mehr als 2000 Flüchtlinge aufgenommen. Im kurdischen Nordirak leben einige hundert.

Im jordanisch-syrischen Grenz-gebiet leben syrische Familien, die 1982 nach der Niederschlagung des Aufstands der syrischen Muslimbruderschaft kamen und heute logistische und humanitäre Unterstützung für den bewaffneten Aufstand in Syrien leisten. Um drei überfüllte Wohnblocks, die sich in einem militärischen Sperrgebiet in Ramtha an der Grenze zu Syrien befinden, zu entlasten, werden Medienberichten zufolge neue Containerlager errichtet, in denen 1000 Flüchtlinge unterkommen können. Neben arabischen Rote-Halbmond-Gesellschaften aus Kuwait, Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind Hilfsorganisationen wie die Gesellschaft des Islamischen Wohlfahrtszentrums und »Al-Kitab wa al-Sunna« aktiv. Letztere steht der jordanischen Muslimbruderschaft nahe, die wiederum den bewaffneten Aufstand in Syrien unterstützt. »Die Muslimbruderschaft spielt bei der Hilfe eine große Rolle, aber verdeckt«, zitiert das UN-Informationsnetzwerk IRIN einen syrischen Oppositionellen in Jordanien.

Der jordanische König Abdullah II. steht innenpolitisch nicht nur unter Druck der Muslimbruderschaft, die mit der Islamischen Aktionsfront über eine starke und bestens organisierte Oppositionspartei verfügt. Konflikte hat der König auch mit einflussreichen Beduinenstämmen im Süden des Landes, die häufig gegen die Herrschaft des Monarchen aufbegehren. Obwohl Jordanien offiziell die von der Arabischen Liga beschlossenen Sanktionen gegen Syrien unterstützt, hat die Regierung erklärt, sie aus wirtschaftlichem Eigeninteresse nicht umzusetzen. Jordanien ist Transitland für syrische Waren auf die arabische Halbinsel und für türkische Waren, die an den Persischen Golf, nach Ägypten und Israel geliefert werden. Syrien versorgt den südlichen Nachbarn zudem mit Wasser.

In Libanon sorgt der Konflikt in Syrien für eine neue Polarisierung. Während die Regierung sich offiziell nicht an Strafmaßnahmen gegen Damaskus beteiligt und die libanesische Armee illegale Grenzübertritte nach Syrien zu verhindern versucht, findet der Aufstand bei vielen Libanesen begeisterte Zustimmung, besonders unter Salafisten und Anhängern der Muslimbruderschaft. Geschäftsleute um Expremier Saad Hariri sorgen für die Unterbringung von Angehörigen der Kämpfer und finanzieren Waffenschmuggel. Die berüchtigte US-Sicherheitsfirma Blackwater heuert Journalistenberichten zufolge arbeitslose Libanesen an, die nach einer kurzen Ausbildung nach Syrien in den Kampf ziehen. Es ist nur etwas mehr als ein Jahr her, da stand eine gemeinsame Handelsunion von Jordanien, Libanon, der Türkei und Syrien kurz vor der Unterzeichnung.

Irak, das nach Übernahme des Vorsitzes der Arabischen Liga nicht auf Konfrontation mit Syrien, sondern auf Vermittlung setzt, traf unmittelbar darauf die volle Wucht saudischen Zorns. Bagdads Ministerpräsident Nuri al-Maliki hatte etwaige Waffenlieferungen Katars und Saudi-Arabiens kritisiert. Den Aufstand in Syrien mit Geld und Waffen zu unterstützen, würde »zu einer noch größeren Krise in der Region« führen.

Konservative arabische Medien forderten daraufhin den Boykott der irakischen Regierung. Jeder, der »an der Seite des Tyrannen von Damaskus« stehe, müsse »bestraft werden, allen voran die Regierung Maliki«, hieß es in der in London erscheinenden Zeitung »Al-Sharq al-Awsat«. Es müsse verhindert werden, dass »ein neuer Saddam oder ein anderer Baschar« geboren werde, hieß es unter Bezugnahme auf Saddam Hussein und Baschar al-Assad. Der innerirakische Konflikt zwischen Maliki und seinem politischen Widersacher, Vizepräsident Tariq al-Haschimi, wird von den Golfstaaten offenbar benutzt, um den latenten Konflikt zwischen verschiedenen islamischen Sekten in der Region weiter zu schüren.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. April 2012


Helikopter nach Syrien

UN-Generalsekretär und Europäische Union wollen Ausweitung der Beobachtermission. Syrischer Außenminister fordert neutrale Vertreter

Von Simon Loidl **


Die Beobachtermission der Vereinten Nationen in Syrien hat noch gar nicht richtig begonnen, da werden bereits Forderungen nach einer Ausweitung laut. Bei einem Treffen mit Vertretern der Europäischen Union am Dienstag abend hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Frage nach einer Unterstützung der Mission durch die EU aufgeworfen. Die derzeit geplante Entsendung von 250 UN-Beobachtern sei aufgrund »der gegenwärtigen Lage und der Größe des Landes« nicht ausreichend, sagte Ban. Es gebe bereits Gespräche mit der EU über den Einsatz von Hubschaubern und Flugzeugen. Am Mittwoch wollte Ban diese Ideen dem Sicherheitsrat vorstellen.

EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sagte sofort ihre Unterstützung zu. Die Mitgliedsstaaten würden »jegliche angeforderte Hilfe« leisten, erklärte sie vor dem Europaparlament. Ein Diplomat sprach nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP davon, daß es sich bei dieser »Hilfe« etwa um gepanzerte Fahrzeuge, Personal, Kommunikationsausrüstung oder um die Ausbildung von Beobachtern handeln könnte.

Syrien wies diese Überlegungen umgehend zurück. Bei einem Besuch in Peking sagte Außenminister Walid Muallem am Mittwoch, daß weder mehr Beobachter nötig seien, noch bräuchten diese Flugzeuge oder Hubschauber. Sie könnten syrische Hubschrauber zur Überwachung der Waffenruhe verwenden. Er sagte außerdem, daß die Beobachter aus neutralen Ländern kommen sollten und nannte Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika.

Wie der chinesische Außenminister Yang Jiechi erklärte, hat Muallem zudem versichert, daß Syrien die in dem vom ehemaligen UN-Generalsekretär und Syrien-Beauftragten Kofi An­nan ausgearbeiteten Plan vorgesehene Waffenruhe einhalten würde. Die Regierung würde die Truppen aus den Städten abziehen und mit der Beobachtermission zusammenarbeiten.

Das in London ansässige »Syrische Observatorium für Menschenrechte« sprach unterdessen von neuerlichen Kampfhandlungen. Die Stadt Homs würde nach wie vor mit Mörsergranaten beschossen. Syrische Medien berichteten dagegen, daß bei zwei Anschlägen auf Regierungstruppen am Mittwoch mindestens zehn Soldaten getötet wurden.

Sevim Dagdelen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und Sprecherin der Fraktion Die Linke, sprach sich gegen die von Ban geforderte Ausweitung der Beobachtermission aus. Eine Ausstattung mit Flugzeugen und Helikoptern könnte der Mission den Charakter einer militärischen Intervention verleihen, so Dagdelen. Sie wandte sich auch gegen eine EU-Beteiligung. Die Union sei keineswegs neutral: Während sie mehrfach den Rücktritt von Assad gefordert und Sanktionen gegen die syrische Regierung verhängt habe, wurde die Unterstützung und Bewaffnung der Opposition durch einzelne Mitgliedsstaaten der EU zu keinem Zeitpunkt moniert, so Dagdelen.

Seit Sonntag ist eine erste Delegation von UN-Beobachtern in Syrien. Für Donnerstag wird die Ankunft von ungefähr zwei Dutzend weiteren Personen erwartet. Der Leiter des Teams, der Marokkaner Ahmed Himmisch, erklärte erneut, daß Kontakt zu allen Konfliktparteien aufgenommen werden würde.

Am Donnerstag abend wollen sich in Paris die Außenminister mehrerer westlicher und arabischer Staaten treffen, um über die Lage in Syrien zu beraten. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach von einem »Aufflackern der Gewalt«, das nicht akzeptiert werden könne.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. April 2012

Bewaffnete Gruppen in Syrien werden immer aktiver

Nach der Waffenruhe mit dem Assad-Regime hat die Aktivität der bewaffneten Oppositionsgruppen in Syrien deutlich zugenommen. Das erfuhr RIA Novosti aus informierten Quellen.

Allein vom 12. bis 14. April haben die Rebellen mehr als 80 Mal den Waffenstillstand verletzt, hieß es. Täglich würden Militärposten und Streifen der Regierungstruppen überfallen. Auch gebe es Anschläge auf militärische und zivile Fahrzeuge, Ermordungen und Entführungen von Soldaten und Zivilisten.

So seien in den ersten drei Tagen der Waffenruhe in Homs, Aleppo, Daraa und Damaskus zehn Sicherheitskräfte von Rebellen getötet worden. Banden aus der Türkei, dem Libanon, dem Irak und Jordanien würden nach Syrien eindringen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Donnerstag, 19. April 2012




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