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Syrien-Einsatz und Russland. Alles halb so schlimm?

Von Alexej Jerjomenko, RIA Novosti *

US-Kriegsschiffe haben sich im Mittelmeer für einen möglichen Militäreinsatz in Stellung gebracht. Was kann Moskau dagegen tun, das eine militärische Intervention des Westens in den Syrien-Konflikt kategorisch ablehnt? Was steht für Russland auf dem Spiel? Es ist zwar überraschend, aber viele Experten sind der Ansicht, dass Russland außenpolitisch kaum etwas gewinnt oder verliert, egal wie sich die Situation entwickelt.

Hier geht es zu einer Info-Grafik von RIA Novosti:

Mögliche Teilnehmer eines Militärschlages gegen Syrien und ihre Kräfte [externer Link]



Die USA und ihre Nato-Verbündeten Frankreich und die Türkei sind bereit, gegen die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in den Krieg zu ziehen. Assad wird vorgeworfen, Ende August bei Damaskus Giftgas eingesetzt zu haben. Einigen Quellen zufolge könne ein Militärangriff bereits am Freitag vorgenommen werden. Das Weiße Haus will jedoch nichts überstürzen: Associated Press zitierte in der Vorwoche eine anonyme Quelle im US-Geheimdienst, die die von Washington erhaltenen Beweise für den Einsatz von Chemiewaffen durch die Assad-Truppen in Frage stellt.

Russland, das nach den westlichen Interventionen in mehreren arabischen Ländern 2011 selbst geringerere Anti-Assad-Maßnahmen ablehnt, ist der Ansicht, dass hinter der Gasattacke die syrischen Rebellen stehen. Klar ist allerdings, dass Washington und seine Verbündeten nicht auf Moskau hören werden, wenn sie einen Militärschlag beschließen. Sollte es doch dazu kommen, hat Russland mehrere Wege, darauf zu reagieren.

Folgen:

1. für Russlands Image in der Welt

Ob Russland in der Syrien-Frage seine diplomatische Stärke verloren habe oder nicht, sei diskutabel, findet der Syrien-Experte und Orientalist Wladimir Achmedow. „Wenn Russland den westlichen Einsatz gegen Assad nicht verhindert, könnte das als diplomatische Niederlage angesehen werden. Dass Moskau seit mehr als zwei Jahren eine Militäroperation in Syrien verhindere, werde in der Welt als bescheidener diplomatischer Erfolg betrachtet, sagte Wladimir Bartenew von der Fakultät für Internationale Politik der Moskauer Lomonossow-Universität.

Beide Experten sind sich einig, dass die Situation in Syrien an die Invasion im Irak 2003 erinnert. Damals trat Russland im UN-Sicherheitsrat gegen diesen Einsatz auf, konnte ihn allerdings nicht verhindern. Dennoch stellte es damals seine Position als unabhängiger weltpolitischer Akteur unter Beweis und verwies später häufig darauf, dass es Recht hatte, zumal der westliche Irak-Einsatz nicht den erhofften Erfolg brachte.

2. für Russlands Status in der arabischen Welt

Beide Experten zeigten sich überzeugt, dass Russland im Nahen Osten kaum etwas verlieren wird, denn die meisten Länder haben seine Position in Bezug auf Syrien ohnehin nie unterstützt. Die meisten Araber sind Sunniten, so dass Syrien, wo die Schiiten bzw. Alawiten an der Macht stehen, ihr Gegner ist. Laut Quellen versuchte Saudi-Arabien, Russland mit einem Waffendeal für 15 Milliarden Dollar zum Umdenken zu bewegen. Dafür müsste der Kreml den syrischen Präsidenten Assad fallen lassen. Doch selbst wenn die arabischen Länder einen solchen Waffendeal angeboten haben, hänge ihre künftige Position vom Erfolg der Operation zur Entmachtung Assads ab, warnte Experte Achmedow. Die Chancen dafür stehen jedoch 50:50.

3. für Russlands Wirtschaft

Seit Jahrzehnten war Russland der wichtigste Waffenlieferant Syriens. Damaskus bekam russischen Rüstungen von MiG-Kampfjets über Bastion-Raketen bis hin zu ultramodernen S-300-Abwehrraketen, deren Lieferung lange vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges vereinbart worden war.

Achmedow zufolge könnte Assads Sturz der militärtechnischen Kooperation von Moskau und Damaskus schaden, würde jedoch nicht ihr Ende bedeuten. Denn die syrischen Streitkräfte seien an die russischen Waffen gewöhnt. Außerdem kaufen der Irak und Afghanistan – zwei Länder, wo es in den letzten 15 Jahren zum Machtsturz nach Militäreinsätzen kam – wieder russische Waffen. Selbst wenn Russland Syrien als Absatzmarkt verlieren sollte, wäre das nicht allzu schmerzhaft, denn auf dieses Land entfallen nur fünf Prozent seines gesamten Waffenexports. Dieses Land sei ein deutlich kleinerer Waffenabnehmer als Indien, Indonesien oder Malaysia, stimmte Ruslan Puchow vom Zentrum für Strategien- und Technologienanalysen zu.

Ein Syrien-Einsatz könnte die internationalen Ölpreise in die Höhe treiben. Sie könnten auf 125 bis 150 Dollar pro Barrel steigen. Das geht aus einem Bericht der Bank Société Générale hervor. Das wäre hilfreich für die ölabhängige russische Wirtschaft, die sich am Rande einer Rezession befindet.

4. für den russischen Marinestützpunkt in Syrien

Seit 1971 hat Russland einen kleinen Marinestützpunkt im syrischen Hafen Tartus. Er ist mittlerweile das letzte russische Militärobjekt außerhalb der früheren Sowjetunion. Die Experten sind sich jedoch einig, dass dieser Stützpunkt keine große Rolle für Russlands militärische Stärke spielt. „Er hat keinen großen Nutzen“, so Puchow. Nach seinen Worten besteht der Stützpunkt aus mehreren Kasernen und kann höchstens zwei mittelgroße Schiffe gleichzeitig aufnehmen.

Was könnte Russland tun bzw. nicht tun?

Was sollte Russland tun:

- Veto im UN-Sicherheitsrat

Moskau hält es für notwendig, dass jegliche militärische Maßnahmen vom UN-Sicherheitsrat gebilligt werden müssen. Russland wird wahrscheinlich eine Resolution blockieren, die eine Invasion in Syrien genehmigt. Nach seiner Auffassung gibt es keine Beweise dafür, dass Kampfstoffe von Assad und nicht von seinen Gegnern eingesetzt wurden. Diese Meinung äußerten alle von RIA Novosti befragten Experten.

„Russland wird sagen – ohne die Worte besonders zu wählen – dass jegliche Strafaktionen bzw. Gegenmaßnahmen gegen dem syrischen Regime illegal sind. Auf dieser Position gegenüber den Strafaktionen der USA steht es seit den frühen 1990er-Jahren“, sagte Roy Allison, Experte für internationale Beziehungen vom St. Antony’s College bei der University of Oxford. (Die einzige Ausnahme war die Kriegskampagne in Libyen 2011. Damals enthielt sich Russland der Stimme, was im Grunde eine Zustimmung bedeutete. Diese Entscheidung wurde allerdings noch unter Präsident Dmitri Medwedew getroffen, der viel liberaler als Wladimir Putin war.)

- weitere Syrien-Gespräche in Genf

Wahrscheinlich wird Russland weiterhin auf einer politischen Regelung des Syrien-Konfliktes bestehen, vielleicht im Rahmen der so genannten „Genf-2“-Konferenz, die es initiierte, um Assad und seine Gegner an den Verhandlungstisch zusammen zu bringen. Luftschläge würden für die beiden Konfliktseiten negative Folgen haben, aber Moskau werde weiter versuchen, die syrischen Konfliktlager zu Verhandlungen zu bewegen, zeigten sich Bartenew und Achmedow überzeugt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte am Montag, dass das US-Außenministerium ebenfalls die Idee unterstütze, die Genfer Syrien-Gespräche fortzusetzen.

- Hilfe für Assad-Regime

Moskau werde auch weiterhin Assads Regierung mit Waffen und Hilfsgütern versorgen, so Olga Oliker von der US-amerikanischen Analyse-Agentur RAND Corporation. Die russischen Experten stimmten dieser Meinung zu, denn Moskau hat offenbar beträchtliche Mittel in Assads Regime investiert. Auch seine Waffenlieferungen nach Syrien waren vermutlich groß, obwohl es noch keine entsprechenden Informationen gibt. Eine Erweiterung der militärischen Kooperation mit Syrien sei aber nicht zu erwarten, so Bartenew.

Was sollte Russland vermeiden:

- Annäherung an den Iran

Der Iran ist Syriens engster Verbündeter in der Region und der größte Unterstützer der Schiiten weltweit. Russland verfügt über große Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Islamischen Republik: Es hat ein Atomkraftwerk im iranischen Bushehr gebaut und den Verkauf von S-300-Raketenkomplexen mit Teheran vereinbart. Der Deal musste jedoch 2010 annulliert werden, weil der Druck Israels und des Westens enorm hoch war. Der Kreml könne mit dem Iran enger kooperieren, wolle aber nicht in die damit verbundene Verschärfung des Syrien-Konfliktes verwickelt werden, findet Allison. Nach seiner Auffassung versucht Moskau, die positiven Beziehungen mit Teheran beizubehalten ohne seinen guten Verbindungen zu Israel zu schaden. Außerdem wage es Russland nicht, die Islamische Republik aufzurüsten, besonders wenn man deren Atomambitionen und ihr fragwürdiges Image in der Region bedenke.

- Spannungen mit den USA

Die russisch-amerikanischen Beziehungen erleben nicht gerade ihre besten Zeiten. Syrien sei nicht der einzige Streitpunkt, äußert die Expertin Oliker. John Lough (Chatham House) vermutet, dass der Kreml eine symbolische Geste machen und sein militärisches Zusammenwirken mit dem Westen, darunter in der iranischen und afghanischen Richtung, einstellen könne. Es sei jedoch „unwahrscheinlich, dass Russland wirklich das tut, womit es droht.“

- Krieg

Was Russland definitiv nicht tun wird, ist eine Einmischung in einen militärischen Konflikt wegen Syrien. Außenminister Lawrow äußerte sich in der vorigen Woche klipp und klar zu diesem Thema. Die Beobachter waren sich alle einig, dass seine Worte nicht anders verstanden werden können. Genauso wie die anderen Militäroperationen unter US-Führung wird ein Einsatz gegen Syrien Russlands geopolitische Interessen kaum berühren. Moskau habe keinen Grund, beträchtliche finanzielle und militärische Mittel in einen Militäreinsatz im Ausland zu stecken, so die Experten.

Eine andere Frage ist die öffentliche Meinung. Im Grunde hat sich Russland nur ein einziges Mal in einen US-Militäreinsatz eingeschaltet: 1999 wurde ein Flughafen im Kosovo von russischen Luftlandekräften überraschend besetzt. Dieses Manöver hatte aber kaum irgendwelche Folgen. Der Kreml zeigte den Russen jedoch, dass er das serbische Brudervolk unterstützt, das vom Westen angegriffen worden war.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der Meinung der Redaktion von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 3. September 2013; http://www.de.rian.ru


Israelisch-amerikanische Raketentests im Mittelmeer sorgen für Aufregung

Der Vorfall war den Medien hier zu Lande allenfalls eine Randnotiz wert. In Russland wurde er ernster genommen. Im Folgenden ein paar meldungen der Russischen nachrichtenagentur RIA Novosti.

Moskau warnt vor "Spiel mit Feuer" in brisanten Regionen

Starts ballistischer Raketen im Mittelmeerraum könnten die Region nach Worten von Russlands Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow sprengen

"Denken Sie nur darüber nach, wo das geschah und in welche Richtung die Rakete flog - in den östlichen Mittelmeerraum", sagte der Militär am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Moskau. "Gibt es denn eine andere brisantere Region, die stärker mit Waffen gespickt ist? Ich kann nicht verstehen, wie man in dieser Region mit Waffen und Raketen spielen kann."

Antonow erinnerte daran, dass der Start einer meteorologischen Rakete durch Norwegen im Jahr 1996 von Moskau als ein möglicher Angriff gewertet worden war. Der Minister rief die Teilnehmer der jüngsten Raketentests im Mittelmeer auf, nicht mit dem Feuer zu spielen. Dabei hob er insbesondere hervor, dass einer der Testteilnehmer ein ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates ist.

Am Dienstag hatte ein Radar in Armawir im Süden Russland um 08.16 Uhr MESZ den Start von zwei ballistischen Raketen im zentralen Teil des Mittelmeeres Richtung Osten geortet. Später wurde bekannt, dass es sich um Erprobungen eines Raketenabwehrsystems durch Israel und die USA handelt.

(RIA Novosti, 03.09.2013)


Nach Raketentests Israels: Russland versetzte Kommandozentrale in erhöhte Kampfbereitschaft

Nach den jüngsten Teststarts von Raketen im Mittelmeer durch Israel und die USA hat Russland die Kommandozentrale des Generalstabes und die Leitungszentrale der Luftabwehrtruppen nach eigenen Angaben in erhöhte Kampfbereitschaft versetzt.

"Das russische Raketenangriff-Frühwarnsystem hat heute seine Effizienz unter Beweis gestellt", sagte Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow am Dienstag vor der Presse in Moskau. Am gleichen Tag hatte ein Radar in Armawir im Süden Russland um 08.16 Uhr MESZ den Start von zwei ballistischen Raketen im zentralen Teil des Mittelmeeres Richtung Osten geortet. Später wurde bekannt, dass es sich um Erprobungen eines Raketenabwehrsystems durch Israel und die USA handelt.

(RIA Novosti, 03.09.2013)


Pentagon: Raketentests im Mittelmeer haben mit möglicher Syrien-Operation nichts zu tun

Die jüngsten amerikanisch-israelischen Raketenabwehr-Erprobungen im Mittelmeer haben mit der möglichen bewaffneten Operation in Syrien nach Angaben des Pentagon nichts zu tun.

"Die USA haben Israel beim Start einer Sparrow-Zielrakete über dem Mittelmeer technisch unterstützt", sagte Pentagon-Sprecher George Little am Dienstag in Washington. "Diese Erprobungen waren schon längst geplant gewesen, um die Fähigkeit der Raketenabwehr zu überprüfen, für Israel gefährliche Ziele zu orten… Die USA und Israel kooperieren im Rahmen mehrerer langfristiger Raketenabwehrprojekte, um auf Herausforderungen in der Region gefasst zu werden", sagte Little.

(RIA Novosti, 03.09.2013)


Ballistische Ziele stürzten ins Mittelmeer

Die ballistischen Ziele, deren Starts Russlands Verteidigungsministerium am Dienstag im Mittelmeer registriert hat, sind ins Meer gestürzt, erfuhr RIA Novosti telefonisch aus einer gut informierten Quelle in einer syrischen Staatsstruktur.

„In der Tat gab es zwei Starts, die Ziele sind ins Meer gestürzt“, hieß es. Die Quelle präzisierte nicht wie weit von der syrischen Küste die Ziele ins Meer stürzten.

Der Start war um 10.16. Moskauer Zeit (08.16. MESZ) von der funktechnischen Zentrale des Raketenüberfall-Warnsystems geortet worden. Verteidigungsminister Sergej Schoigu informierte Präsident Wladimir Putin darüber.

Die Lage um Syrien hat sich in den letzten Tagen angesichts der von einigen westlichen Staaten mit den USA an der Spitze geäußerten Drohungen zugespitzt, Syrien einen Schlag zu versetzen. Damaskus wird verdächtigt, C-Waffen eingesetzt zu haben, die syrischen Behörden dementieren das kategorisch.

RIA Novosti, 3. September 2013




Israels zündende Idee

Von Roland Etzel **

Zwei radargesteuerte ballistische Raketen fielen am Dienstag ins östliche Mittelmeer. Erst Stunden nachdem russische Aufklärer das Erscheinen der Marschflugkörper am Himmel und später ihren Sturz ins Meer gemeldet hatten, befand man es in Israel für richtig, die Absenderschaft nicht länger zu leugnen und zu erklären, das Waffensystem habe sein »Ziel geortet und getroffen«.

Da darf man doch gratulieren; erstens zum entschiedenen Eintreten gegen das offenbar befürchtete Nachlassen der Spannungen an der Levante; und zweitens zum erfolgreich absolvierten Russisch-Roulette-Test, wie hoch denn die Kriegsschwelle nun wirklich liegen könnte. Oder ist man gar enttäuscht, weil die Lieblingsfeinde nicht darauf eingestiegen sind? Da hinterher zu erfahren war, wiederum allein aus israelischer Quelle, dass die USA mit von der Partie waren, weiß man, dass dem Pentagon die zündenden Ideen für die Region ebenfalls nicht ausgegangen sind. Und man versteht besser die kryptischen Äußerungen von Israels Staatspräsident Peres vom Montag, er habe Vertrauen in die Art und Weise, wie Obama in einen Krieg zu ziehen gedenke.

Als vor einem reichlichen halben Jahr Nordkorea – mit Ankündigung – einen Raketentest absolvierte, war man in Seoul, Jerusalem, Tokio und vor allem Washington außer sich vor Empörung über eine derartige Verantwortungslosigkeit Pjöngjangs angesichts der Spannungen in Fernost; und das mit einiger Berechtigung.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 4. September 2013 (Kommentar)


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