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Salafistische Söldner

In Syrien spielen ausländische Kämpfer eine immer größere Rolle. Viele kommen aus Tunesien

Von Karin Leukefeld *

Nur eine Woche nach dem verheerenden Doppelanschlag in Damaskus mit 55 Toten und 400 Verletzten hat erneut ein Attentat in Syrien neun Menschenleben gefordert. Hundert Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Explosion ereignete sich am Samstag morgen in dem Wohnviertel Ghasi Ayasch Masaken in der ostsyrischen Stadt Deir Essor. Nach Angaben von Augenzeugen soll ein Fahrzeug explodiert sein. Basman Hassan Al-Hassan, der bei dem Anschlag eine Kopfverletzung erlitt, beschrieb gegenüber syrischen Medien, daß er gerade mit seiner Familie frühstückte, als er die laute Detonation hörte. »Ein Teil des Hauses« sei zerstört worden, »die Möbel flogen durcheinander«. Neben den anliegenden Wohnhäusern wurde auch ein Gebäude schwer zerstört, das zum militärischen Geheimdienst gehört. Die syrische Führung macht »Terroristen der Al-Qaida« für den Anschlag verantwortlich.

Der im Ausland agierende Syrische Nationalrat (SNR) hingegen beschuldigte umgehend die Regierung für das Attentat. Auch der Doppelanschlag in Damaskus soll dem SNR zufolge von der syrischen Führung inszeniert worden sein. Der Sprecher der UN-Mission, Ahmed Fawsi, sprach indes gegenüber Medien in Genf von einer »dritten Partei«, die in Syrien Angriffe ausführe. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon geht davon aus, daß islamistische Kämpfer von Al-Qaida für die schweren Anschläge verantwortlich sind.

In Syrien gewinnen salafistische Kämpfer immer mehr Einfluß. Sie kommen aus dem Libanon, Jordanien, Ägypten, Libyen und aus Tunesien und werden von den Golfmonarchien Katar und Saudi-Arabien unterstützt. Die Mobilisierung der Männer erfolgt durch salafistische Prediger, die ihre Brandreden über Satellitensender aus Riad oder Doha verbreiten. Ahmed Bergaoui, ein Mitarbeiter des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten in Tunis räumte vor wenigen Tagen gegenüber dem Internetportal »Middle East Online« ein, daß von den 5000 Moscheen in Tunesien inzwischen 400 von Salafisten kontrolliert würden. Junge gläubige Männer würden dort zum »Heiligen Krieg« gegen die Führung von Baschar Al-Assad in Syrien aufgerufen, das sei »ein Problem«, sagte Bergaoui. Der tunesische Innenminister Ali Larayedh sagte, man bedauere, daß die jungen Leute sich »auf solches Mißgeschick« einließen. »Einige wurden getötet, andere wurden verhaftet, und andere kämpfen weiter in Syrien.« Damaskus hatte Anfang Mai dem UN-Sicherheitsrat eine Liste mit den Namen von 26 ausländischen Kämpfern vorgelegt, die festgenommen worden waren. Allein 19 davon sind aus Tunesien.

Hintergrund des wachsenden Einflusses der Salafisten in Tunesien dürfte auch die hohe Arbeitslosigkeit sein, die seit den politischen Umwälzungen 2011 offiziell von 13 auf 18 Prozent gestiegen ist. Allein 44 Prozent der Studienabgänger finden keine Arbeit, die Schere zwischen den armen ländlichen Gebieten und der reicheren Küstenregion geht weiter auseinander. Der wachsende Zulauf zum Salafismus in Tunesien sei eher ein »sozio-ökonomisches Phänomen als ein religiöses«, sagte Mongi Amami von der Allgemeinen Tunesischen Arbeitergewerkschaft (UGTT) kürzlich dem britischen Guardian. Der Salafismus ist eine reaktionäre Variante des dogmatischen sunnitischen Wahhabismus, der in Saudi-Arabien praktiziert wird. Die Salafisten orientieren sich an den ersten Anhängern des Propheten Mohammed, deren einfaches Leben sie nicht nur für sich zum Maßstab nehmen. Sie wollen die arabischen Gesellschaften, in denen sie leben, dem islamischen Recht der Scharia unterwerfen und agitieren gegen Werte der Moderne wie Pressefreiheit und Rechte von Frauen. Dabei gehen sie auch gewalttätig gegen andere Religionsgruppen vor – nicht zuletzt gegen Sunniten, die für einen moderaten Islam und für eine Trennung von Religion und Politik eintreten. Hauptgegner der Salafisten aber sind die schiitischen Muslime in all ihren Strömungen, die von ersteren als »Ketzer« bekämpft wurden.

* Aus: junge Welt, Montag, 21. Mai 2012


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