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Streit um die Beobachter - Streit um die Sanktionen

Der Druck auf Syrien nimmt zu. Betrachtungen von Karin Leukefeld *

Die Auseinandersetzung darüber, wer für die Gewalt in Syrien verantwortlich ist und wie sie gestoppt werden kann, bekommt eine deutlich internationale Dimension. Die Bevölkerung fühlt sich derweil von Entscheidungen über die eigene Zukunft zunehmend ausgeschlossen.

US-Präsident Barack Obama dankte bei einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II in Washington (Mittwoch) diesem ausdrücklich, dass dieser als Erster (BBC Interview 14.11.2011) den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zum Rücktritt aufgefordert hatte. Die USA werde weiterhin „sehr eng mit Jordanien zusammenarbeiten, um internationalen Druck und ein Klima zu erzeugen, dass die derzeitige syrische Führung zum Rücktritt ermutigt“, sagte Obama. Dann könne ein „demokratischer Übergangsprozess“ eingeleitet werden. Die Middle East Onlinezeitung fasste seine Worte weniger verklausuliert zusammen: „US-Präsident will Anstrengungen verdoppeln, um einen Regimewechsel in Syrien zu erzwingen“.

Zu der Äußerung des Emirs von Katar, der einen arabischen Truppeneinsatz in Syrien gefordert hatte, äußerte sich das syrische Außenministerium am Dienstag (17. Jan.) „überrascht“. Die Entsendung arabischer Truppen nach Syrien würde die Lage verschärfen und einer fremden Einmischung in die syrischen Angelegenheiten „die Türen weit öffnen“, hieß es in der staatlichen Nachrichtenagentur SANA unter Verweis auf eine „offizielle Quelle“. Es wäre bedauerlich, wenn „arabisches Blut in Syrien vergossen würde“ um bekannten Plänen Vorschub zu leisten. Syrien werde weiter mit der Arabischen Liga kooperieren, umgekehrt sollten auch arabische Staaten daran festhalten.

Arbeit der arabischen Beobachtermission geht weiter

Über die bisherige Arbeit der arabischen Beobachtermission soll am kommenden Wochenende am Sitz der Arabischen Liga in Kairo gesprochen werden. Die Arbeit der 163 Beobachter in Syrien geht unvermindert weiter. Täglich sind die Gruppen im Land unterwegs und dokumentieren zahlreiche Gespräche mit Vertretern aller Seiten.

Während einige arabische Staaten eine Fortsetzung der Mission wollen und einer zusätzlichen Schulung der Beobachter durch die Vereinten Nationen zustimmen würden, forderte Riad al-Asa’ad, der Anführer der „Freien Syrien Armee“ von seiner Basis in der Türkei, der „Fall Syrien müsse schnell an den Sicherheitsrat“ überwiesen werden. „Um den Frieden zu erhalten“, müsse der die UN gemäß „Artikel 7 der UN-Charta gegen das Regime vorgehen“, hieß es in einer Stellungnahme. Artikel 7 beinhaltet auch die Möglichkeit einer militärischen Intervention.

Russland legte am Montag (16. Jan.) erneut einen Resolutionsentwurf zu Syrien im UN-Sicherheitsrat vor, der Medienberichten zufolge von den USA, Deutschland und Frankreich als unannehmbar abgelehnt wurde. Sie weisen vor allem zurück, dass für die Gewalt in Syrien gleichermaßen die Regierung und bewaffnete Gruppen verantwortlich seien. Russlands Außenminister Sergei Lavrov erklärte vor Journalisten am Mittwoch, der Text fordere alle beteiligen Seiten auf, die Gewalt sofort zu beenden und unterstütze einen nationalen Dialog in Syrien. China, Brasilien, Indien und Südafrika unterstützen den Entwurf. Lavrov wies jede ausländische militärische Intervention in Syrien zurück. Russland setze auf eine Verlängerung der arabischen Beobachtermission und betonte die Notwendigkeit eines innersyrischen, nationalen Dialogs. Egal, wer Gewalt einsetze, so Lavrov, alle Seiten müssten ihr gewaltsames Vorgehen sofort einstellen. Ausdrücklich kritisierte er den anhaltenden Waffenschmuggel nach Syrien, mit dem bewaffnete Gruppen „und Extremisten in Syrien“ unterstützt würden.

Der libanesische Fernsehsender Al Jadeed strahlte kürzlich Interviews mit Waffenhändlern im Libanon aus, die freimütig über ihr „gutes Geschäft“ in Syrien berichteten. Besonders heftige Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen und der syrischen Armee finden seit einigen Tagen in Zabadani statt, etwa 35 km nordwestlich von Damaskus. Der Ort ist ein beliebter Urlaubsort, viele Einwohner sind vor den Kämpfen geflohen. Ein Mann, der als Hausmeister in einer der vielen Villen arbeitet, die zumeist reichen Golfstaatenbewohnern gehören, berichtete seinen Angehörigen in Damaskus, die Villen würden von Bewaffneten systematisch geplündert. Ihm sei die Flucht nur gelungen, weil er den Männern Geld gezahlt habe.

Sanktionen und Sabotage sollen das Regime destabilisieren

Sanktionen, Sabotage und militärische Angriffe auf den syrischen Energiesektor haben Syrien in den letzten Monaten Schäden in Milliardenhöhe zugefügt. Mitarbeiter werden bedroht, entführt und getötet, die Versorgung der Bevölkerung ist nur teilweise gewährleistet.

Als der Ingenieur Firas Kaddar, Leiter der Strombehörde von Douma, einem Vorort von Damaskus, auch Stunden nach Dienstschluss am Donnerstag nicht zu Hause war, machte seine Familie sich Sorgen. Schließlich fand man seine Leiche, zusammen mit der von Bassam Barakat, einem technischen Mitarbeiter. Beide Männer waren entführt und getötet worden, die Leichname waren entstellt. Erst am Mittwoch war eine Angestellte der gleichen Behörde in Homs gestorben, sie war auf dem Nachhauseweg in den Kopf geschossen worden. Mitarbeiter staatlicher Betriebe werden seit Monaten bedroht und aufgefordert, ihre Arbeit (für das Regime) einzustellen.

Alle Bereiche des Stromsektors seien von Angriffen betroffen, erläuterte Imad Khamis, Minister für Elektrizität am vergangenen Mittwoch vor Journalisten. Er bezifferte die materiellen Schäden auf 713 Millionen SYP (Syrische Pfund) (9,5 Mio Euro), der wirtschaftliche Sachen liege bei rund 23 Milliarden SYP. Bewaffnete Gruppen, in den Worten des Ministers „terroristische Banden“, kappten gezielt Stromleitungen, sprengten Strommasten, Transformatoren und Umspannwerke. Die Anschläge hätten zum zeitweiligen Zusammenbruch der Stromversorgung in Deraa, Hama, Homs, Idlib, und im Osten des Landes geführt. Auch Reparaturteams würden angegriffen. In Hardeh (bei Homs) und Zahra, einem Stadtteil von Homs, könnten die Schäden aufgrund der Kämpfe nicht repariert werden. 4 Elektrizitätswerke seien derzeit außer Kraft. In ländlichen Gebieten sei die Stromversorgung teilweise bis zu 10 Stunden unterbrochen, in der Hauptstadt Damaskus müsse der Strom täglich 2 Stunden abgestellt werden. Wegen der kalten Winterzeit und dem sanktionsbedingten Mangel an Heizöl sei der Bedarf besonders hoch.

Die angerichteten Schäden könnten aber nicht nur materiell bemessen werden, der Bevölkerung werde eine schwere psychologische Last zugemutet, so der Minister. Strom spiele im Alltag, in Industrie und Wirtschaft eine zentrale Rolle, der Staat sehe sich in der Pflicht, jeden Haushalt mit Strom zu versorgen. Das rund 150.000 km lange Stromnetz in Syrien produziert durchschnittlich bis zu 8500 MW Strom, derzeit können davon nur etwa 80 Prozent erreicht werden.

Schäden in Milliardenhöhe - zahlreiche Tote und Verletzte

Der Ölsektor des Entwicklungslandes ist neben gezielten Angriffen und Sabotage durch bewaffnete Gruppen zusätzlich durch die Sanktionen der USA, der Europäischen Union und einiger arabischer Staaten betroffen, erläuterte der zuständige Minister für Öl und mineralische Ressourcen Sufian Allaw vor Journalisten am Donnerstag. Die durch Sanktionen entstandenen Schäden seit September 2011 bezifferte Allaw auf 2 Milliarden US-Dollar. Angriffe auf Öl- und Gaspipelines hätten bisher zusätzliche 2 Milliarden SYP (26,5 Mio Euro) gekostet. 21 Mitarbeiter des Ölsektors wurden getötet, 24 verletzt. Fahrzeuge, Gebäude und jede Art von Infrastruktur werde angegriffen, führte Allaw aus.

Die Sanktionen gegen Syrien bezeichnete er als „ungerechtfertigt und illegal“, die Bevölkerung sei direkt betroffen. Wegen des Mangels an Heizöl müssten Haushalte zum Heizen auf Gas ausweichen. Das könne derzeit in ausreichendem Maße wieder produziert werden, obwohl Anschläge auf die Produktion anhielten. Syrien habe Verträge mit europäischen Firmen, die gezwungen seien, ihre Arbeit in Syrien einzustellen. Die rund 140.000 Barrel Öl, die Syrien täglich fördern kann, anderweitig zu verkaufen, scheitert ebenfalls an den Sanktionen. Transportunternehmen seien in Europa und den USA zugelassen, ebenso verhalte es sich mit Firmen für Versicherung und Rückversicherung der Ladung.

Beide Beiträge beruhen auf Artikeln von Karin Leukefeld, die am 19. Januar in der "jungen Welt" und am 21. Januar im "neuen deutschland" erscheinen.


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