Nur die Stickerinnen in Khil Khila blieben bisher verschont
Der Krieg in Syrien bedroht auch ein jahrelang erfolgreiches Frauenprojekt
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Ein Stickereiprojekt in Syrien hat
bisher etwa 1000 Frauen ein Einkommen
gesichert. Doch um die Zukunft
ist es schlecht bestellt.
»Das sind acht Dreiecke, die zu einer
Kuppel zusammenkommen. In
vier der Dreiecke sind Frauen. Die
eine webt, die andere stickt, eine
spinnt und die vierte fertigt Körbe
aus Stroh. In den vier anderen
Feldern stehen Strophen eines
Volksliedes, in dem sich ältere
Frauen an ihre Jugend erinnern
und sagen: Oh, wie war es schön,
als wir an der Quelle gesessen und
gestickt haben. Oh, wie war es
schön, als wir zusammen im Garten
vor dem Haus gesessen und
unsere Kleider bestickt haben.«
Heike Weber steht in ihrem Laden
in Damaskus und beschreibt die
farbenfrohe Kuppel, die sich über
dem kleinen, in der Mitte des Raumes
liegenden Brunnen wölbt. Das
Geschäft liegt nahe am Bab Scharki,
dem Osttor der Damaszener
Altstadt. Stickereien, Wandbehänge,
Decken, Kissenbezüge,
Schals, Kleidung und Textilhandwerk
aller Art werden in dem Laden
angeboten, der als Verkaufszentrum
für das Projekt ANAT
entstanden ist und Kunden aus aller
Welt anlockte.
Der Name ANAT geht auf eine
nordwestsemitische Göttin zurück,
die bereits im 2. Jahrtausend
v. Chr. erwähnt wird. In der Mythologie
gilt sie als Mutter der Götter
und streitbare Amazone. Das
Projekt ANAT entstand 1988 und
gab mehr als 1000 Frauen in verschiedenen
Teilen Syriens ein festes
Einkommen. In Dörfern um Idlib,
Aleppo und Sweida, dem südsyrischen
Drusengebiet, stickten
und strickten, webten und häkelten
Frauen die Waren, die in Damaskus
verkauft wurden.
Die Bewahrung der traditionellen
Handarbeitskultur war das
eine Ziel von ANAT, erläutert Heike
Weber, die seit 30 Jahren in Syrien
lebt. Das andere Ziel war,
Frauen in ländlichen Gebieten zu
mehr Unabhängigkeit zu verhelfen.
In der traditionellen Handarbeit
konnten die Frauen im eigenen
Rhythmus zu Hause arbeiten.
Viele der Stickerinnen konnten
zwar nicht lesen und schreiben,
auch malen konnten sie nicht.
Doch mit Stickgarn und Nadel ließen
sie in allen Farben des Regenbogens
ihr ländliches Leben, Motive
aus Natur und Mythologie oder
die klassischen Muster entstehen,
die eine Jahrtausende alte Tradition
haben. Mit wachsender Bekanntheit
von ANAT und steigenden
Verkaufszahlen konnten die
Stickerinnen sogar etwas sparen.
Manche finanzierten mit ihren
Einnahmen Busse, mit denen die
Kinder zur Schule in den nächsten
größeren Ort gefahren werden
konnten. Einige jüngere Frauen
zogen nach Damaskus, um im
Verkauf oder in der zentralen
Werkstatt von ANAT zu arbeiten.
Geräumig und modern eingerichtet,
war die Werkstatt Anfang 2011
eröffnet worden, um die vielen
Aufträge zu bewältigen.
Das Projekt war auf Zuwachs
geplant, erzählt Heike Weber.
Frühjahr und Herbst versprachen
ein gutes Geschäft, die Frauen
hätten vermutlich schon in einer
Saison alle Schulden zurückzahlen
können. »Wir wollten auch die Arbeit
in den Dörfern erweitern, doch
nun können wir dort gar nicht
mehr hinfahren, und Verkauf gibt
es auch nicht mehr.« Nachdenklich
lässt sie den Blick über die Werkstatt
schweifen – der Krieg hat alle
Pläne zunichte gemacht. Mit Beginn
der Unruhen im März 2011
blieben die Kunden aus. Touristen
kamen nicht mehr nach Syrien,
internationale Organisationen,
Firmen und westliche Botschaften
zogen ihr Personal ab, Sanktionen
verhindern den Export. In der
oberen Etage der Werkstatt lebt
inzwischen eine der Stickerinnen
mit Eltern und Schwestern. Die
Familie musste aus einer südlichen
Vorstadt von Damaskus vor
Kämpfen fliehen.
Die einzigen Stickerinnen, die
derzeit arbeiten, sind Maha und
ihre Schwester Suheila. Sie leben
im Dorf Khil Khila, im südlichen
Drusengebiet, das bisher vom
Krieg verschont blieb. Überschwänglich
begrüßen sie Heike
Weber, die mit Stoffen, Stickmustern
und Garnen beladen vor der
Tür steht. Im Zimmer werden die
neuen Stickarbeiten auf dem Boden
ausgebreitet und begutachtet.
Maha studiert die kunstvollen
Kreuzstichmuster mit Vögeln und
Zypressen, die ein Kleid zieren
sollen, eine private Bestellung.
Bei den Frauen in Khil Khila
vergisst Weber für einige Zeit ihre
Sorgen um die Zukunft Syriens. Sie
weiß nicht, ob das alte Kunsthandwerk
den Krieg überleben
und den Frauen weiter Arbeit geben
wird. Vertreibung, Angst und
Misstrauen, der gesellschaftliche
und wirtschaftliche Verfall seien
enorm, sagt sie. »Es ist nicht so
leicht wieder gutzumachen, was da
verloren geht.«
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 30. Januar 2013
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