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Terrorstrategie

Syrien: Mindestens 87 Tote nach zwei schweren Explosionen an der Universität von Aleppo

Von Karin Leukefeld *

Bei zwei schweren Explosionen in einem Wohngebäude der Universität von Aleppo und der angrenzenden Fakultät für Architektur sind am Dienstag mindestens 87 Menschen getötet worden. Die Zahl der Verletzten wird mit mehr als 160 angegeben. In den Gebäuden, die im Westen der Stadt liegen, befanden sich zum Zeitpunkt der Anschläge viele Studierende, die den ersten Tag der landesweit stattfindenden Prüfungen absolvierten. In den Wohngebäuden waren zudem viele Binnenflüchtlinge untergebracht, die vor Kämpfen in anderen Teilen von Aleppo geflohen waren. Das syrische Bildungsministerium setzte die Prüfungen vorerst aus, landesweit blieben die Universitäten aus Trauer über die Toten in Aleppo geschlossen. Bildungsminister Mohammad Yahya Mu’ala teilte mit, Präsident Assad habe angeordnet, die zerstörten Gebäude an der Universität von Aleppo umgehend wieder aufzubauen.

Fotos vom Universitätsgelände zeigten die Front eines Wohngebäudes, an der sämtliche Fenster zerborsten und Wände aufgerissen waren. Betten, Decken, Kleidungsstücke und Einrichtungsgegenstände lagen wirr durcheinander. Vor dem Gebäude waren zahlreiche zerstörte Fahrzeuge zu sehen.

Die Ursache der Explosionen wird unterschiedlich dargestellt. Nach Angaben von Mohammed Wahid Akkad, dem Gouverneur von Aleppo, und offizieller Stellen in Damaskus, wurden die Explosionen durch zwei Raketeneinschläge ausgelöst. Die Raketen seien von den Aufständischen in Al-Lairamun, nördlich der Universität abgefeuert worden, hieß es. Die in London ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« gab an, eine der Explosionen sei möglicherweise durch ein brennendes Fahrzeug ausgelöst worden. Die Zahl der Toten wurde in London mit 87 angegeben, allerdings wurden lediglich elf Namen von Opfern genannt, die offenbar aus Aleppo übermittelt worden waren. Im britischen Fernsehsender BBC wurde ein junger Mann interviewt, der sich als »Studentenaktivist in Aleppo« bezeichnete und seinen Namen mit Mohammed Saed angab. Per Skype sagte er, die Raketen seien von Kampfjets der syrischen Luftwaffe abgefeuert worden.

Der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Baschar Al-Dschaafari, verurteilte »den feigen Angriff auf die Studierenden«. Dschaafari, der am Dienstag bei einer Debatte im UN-Sicherheitsrat über den »Gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus« sprach, wies darauf hin, daß »terroristische Anschläge in Syrien ein gefährliches Ausmaß angenommen« hätten. Ohne sie namentlich zu nennen, verurteilte der Diplomat »regionale Staaten«, die mit Hilfe »terroristischer Gruppen« in Syrien einen Politikwechsel erzwingen wollten. Viele »Terroristen, die in Syrien sind, haben vorher in anderen Staaten gekämpft«, sagte er. Diejenigen, die »den Geist der Terroristen aus der Flasche« gelassen hätten, könnten morgen schon selbst zur Zielscheibe werden, warnte Dschaafari.

Das vom Westen weitgehend isolierte Syrien rückt derweil näher an seinen langjährigen strategischen Partner Iran. Seit Montag verhandeln hochrangige Delegationen beider Staaten über eine engere Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel, Gesundheitswesen, bei der Strom- sowie Öl- und Gasversorgung. Bisher waren Deutschland, Frankreich und Italien die größten Abnehmer des syrischen Öls. Der iranische Präsidentenberater Hassan Kazemi Qomi erklärte, angesichts des »terroristischen Krieges, den der Westen und einige Staaten der Region« gegen Syrien führten, werde Iran Volk und Regierung des Landes weiter unterstützen.

Die US-Regierung ist offenbar von der Beschuldigung abgerückt, syrische Truppen hätten Giftgas gegen die Aufständischen eingesetzt. Das hatte das Magazin Foreign Policy kürzlich unter Berufung auf einen Bericht des US-Außenministeriums berichtet. Dieses hatte wiederum »Aktivisten, Deserteure und Ärzte« als Quellen angegeben. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Tommy Vietor, erklärte nun, man sei den Vorwürfen nachgegangen, habe aber keine Beweise für einen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien gefunden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 17. Januar 2013


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