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"Holt unsere Söhne nach Hause"

Tunesien: Widerstand gegen das Anwerben von Jugendlichen für den Krieg in Syrien

Von Gerrit Hoekman *

Rund 40 Prozent aller Ausländer, die in Syrien gegen Präsident Baschar Al-Assad kämpfen, sollen einen tunesischen Paß besitzen. Das berichtete die libanesische Tageszeitung As Safir. Mehr als zwei Drittel dieser meist jungen Männer haben sich demnach der berüchtigten Nusra-Front angeschlossen, die als Ableger der Al-Qaida gilt. Die Familien daheim wissen oft gar nicht, wo ihre Söhne stecken, so die Angehörigen von Ahmad Al-Tuhami, ein junger Tunesier. »Nach der Revolution fing Ahmad an, regelmäßig die Moschee zu besuchen«, erzählte seine Schwerster in As Safir. »Dann teilte er uns mit, er würde nach Libyen gehen, um dort Arbeit auf dem Bau zu suchen. Er kam nie zurück.« Aus dem Fernsehen erfuhr die Familie vom Tod ihres Sohns in Syrien.

Bereits vor knapp zwei Wochen veröffentlichte auch die tunesische Tageszeitung Ash-Shuruq eine Liste von mehreren Dutzend Tunesiern, die in Syrien auf Seiten der Islamisten im Krieg gefallen sind. Viele stammen demnach aus Bin Qirdan, einer Hafenstadt an der Grenze zu Libyen. Nach Ansicht der Zeitung soll vor allem Katar bei der Rekrutierung der Dschihadisten seine Finger im Spiel haben. Das reiche Scheichtum am Persischen Golf hält gemeinsam mit Saudi-Arabien den bewaffneten Aufstand in Syrien mit Millionen Petrodollars am Leben. Katar zahle islamischen Gruppen in Tunesien »3 000 Dollar im Austausch für jeden Jugendlichen, der sich in die Listen einschreibt«, so das Blatt. Nach Informationen der As Safir erhalten die so geworbenen Rekruten in Ausbildungslagern in Libyen eine kurze militärische Ausbildung. Nach nur einem Monat schickt man sie dann als Kanonenfutter nach Syrien. »Sie werden für ihre Passage nach Istanbul in den libyschen Hafen Brega gebracht. Danach geht es an die syrische Grenze, wo sie der Freien Syrischen Armee (FSA) und der Nusra-Front übergeben werden«, haben die Journalisten aus Beirut recherchiert. Wenn die Kämpfer in Damaskus, Homs oder Hama eingesetzt werden sollen, reisen sie zuerst in den Libanon und gelangen von dort über verschlungene Wege nach Syrien. Deren Angehörige daheim organisieren inzwischen Demonstrationen und fordern von der Regierung in Tunis, ihre Söhne aus Syrien zurückzuholen. Das gestalte sich jedoch sehr schwierig, zitierte As Safir eine Mitarbeiterin der Tunesischen Liga für Menschenrechte. »Für uns als zivile Organisation ist das fast unmöglich.

Selbst für die Regierung ist es extrem kompliziert, seitdem die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern unterbrochen sind.« Die Regierung könne allerdings die Kontrollen an der Grenze zu Libyen verstärken. Ash-Shuruq verdächtigt jedoch Abgeordnete des Parlaments, gemeinsame Sache mit den islamischen Gruppen zu machen, die Jugendliche für den Dschihad in Syrien, aber auch für den in Mali anwerben. In der vergangenen Woche berichtete ein junger Mann, der sich Abu Zayd nannte, in einer tunesischen Talkshow über seine Erlebnisse als Dschihadist in Syrien. Er habe im festen Glauben gehandelt, seine Religion brauche ihn im »Heiligen Krieg«. Aber er habe seine Ideale bald verloren und sei nach Tunesien zurückgekehrt: »Die meisten Kämpfer der FSA kämpfen für die Kriegsbeute und die ausländische Hilfe, die sie voraussichtlich bekommen.« Scheich Osman Battich, als Großmufti der höchste religiöse Würdenträger Tunesiens, hat im Fernsehen die Jugend aufgerufen, nicht nach Syrien zu gehen: »Der Islam ist immer eine friedliche Religion gewesen. Der Kampf in Syrien ist kein Heiliger Krieg.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. März 2013


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