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"Die Regierung rennt voran"

Verurteilung Syriens durch UNO-Plenum kreuzt sich mit Reformvorschlägen des Assad-Regimes

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

137 der 192 Mitgliedsstaaten der Generalversammlung der Vereinten Nationen haben nach mehrtägiger Debatte eine Resolution zur Lage in Syrien angenommen.

Die nicht bindende Resolution entspricht dem Resolutionstext, der im UNO-Sicherheitsrat vor wenigen Tagen an einem Veto Russlands und Chinas gescheitert war. 12 Staaten, darunter Russland, Iran, Kuba und China, lehnten den Text ab. 17 Länder enthielten sich. 26 Staaten hatten an der Abstimmung nicht teilgenommen.

Der von Katar und Saudi Arabien im Namen der Arabischen Liga vorgelegte Text wiederholt die Forderungen des 1. Arabischen Aktionsplans, den Syrien am 2. November 2011 unterzeichnet hatte. Die Regierung wird aufgefordert, Angriffe auf Zivilisten und Demonstranten unverzüglich zu stoppen und das Militär in die Kasernen zu holen. Auch bewaffnete Gruppen sollen ihre Angriffe einstellen. Zugleich wird der 2. Arabische Aktionsplan unterstützt, der die Machtübergabe von Präsident Baschar al-Assad an einen Stellvertreter fordert, um den Übergangsprozess einzuleiten. Außerdem soll ein UN-Sonderbeauftragter für Syrien ernannt werden.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach von einem »Zeichen der Solidarität mit dem syrischen Volk und der Verurteilung der Gewalt des Assad-Regimes«. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuvor erklärt, Deutschland werde sich für weitere Sanktionen gegen Syrien einsetzen. Der iranische UN-Botschafter warnte davor, dass die Resolution die Krise in Syrien verschärfen könne, »mit allen Auswirkungen für die gesamte Region«. Syriens Botschafter Baschar al-Jaafari kritisierte die einseitige Verurteilung Syriens und warf der Arabischen Liga vor, sich von den »Westmächten ausnutzen« zu lassen, die den Konflikt in Syrien »internationalisieren« wollten.

Gruppen der Auslandsopposition berichteten derweil über »die schwersten Zerstörungen in den vergangenen 14 Tagen« in der Stadt Homs. Die Angriffe hätten unmittelbar nach der Entscheidung des UN-Plenums dramatische Ausmaße angenommen, hieß es. Der Syrische Rote Halbmond hatte vor wenigen Tagen eine große Menge (vier Lastwagen) Lebensmittel und Medizin in die umkämpften Viertel von Homs, Baba Amr und Khaldiye, gebracht.

Diplomatische Quellen in Damaskus bewerten das Vorgehen der syrischen Armee weiter als zögerlich. Würden die Truppen tatsächlich die Waffengewalt anwenden, die ihnen nachgesagt wird, wären die betroffenen Viertel längst eingenommen, sagte ein Gesprächspartner der Autorin, der um Anonymität bat. Die Behörden wiederholten, die Armee gehe gegen bewaffnete Gruppen und nicht gegen Demonstranten vor. Angesichts der zunehmenden Gewalt sind friedliche Proteste deutlich zurückgegangen. Am Freitag wurde die Beerdigung von 30 Soldaten und Sicherheitskräften gemeldet, die bei Einsätzen getötet worden waren.

Neben der Sorge um die bewaffneten Auseinandersetzungen bestimmt der Entwurf einer neuen Verfassung die Diskussion in Damaskus. Darüber soll in einem Referendum am 26. Februar entschieden werden. Laut einer Radioumfrage lehnt es eine Mehrheit von 60 Prozent ab, zum jetzigen Zeitpunkt über die Verfassung zu entscheiden. Im Gespräch mit der Autorin sagten Syrer, sie hielten es für besser, erst ein neues Parlament zu wählen und dann über eine neue Verfassung zu entscheiden. »Die Regierung rennt voran, um zu zeigen, dass sie Reformen will«, sagte ein Gesprächspartner. Die Opposition und ihre Anhänger würden die Abstimmung sicher boykottieren. Er werde dennoch für die Verfassung stimmen, denn sie sei »völlig anders als die, die wir bisher hatten«. Neben dem Wegfall von Artikel 8, der die herausragende Rolle der Baath-Partei festschrieb, sei für ihn Artikel 50 das Wichtigste: »Syrien ist ein Rechtsstaat«, heiße es darin. Niemand könne mehr willkürlich verhaftet oder verfolgt werden, die neue Verfassung sehe ein Mehrparteiensystem und eine begrenzte Amtszeit für den Präsidenten vor.

* Aus: neues deutschland, 18. Februar 2012


Gegen Syrien

Von Detlef D. Pries **

Merkel begrüßt UN-Resolution gegen Syrien«, überschreibt die Deutsche Presse-Agentur (dpa) ihre Meldung. »Gegen Syrien«? Das ist mehrdeutig. Das Ergebnis der Abstimmung in der Vollversammlung der Vereinten Nationen war freilich eindeutig: Mit 137 gegen 12 Stimmen wurde die Gewalt des Assad-Regimes verurteilt. Ein »unüberhörbarer Appell der Weltgemeinschaft«, ließ die Bundeskanzlerin ihren Sprecher verkünden. So traurig das ist: Er wird überhört werden! Die Resolution wird dem seit elf Monaten andauernden Blutvergießen in Homs, Hama, Damaskus und anderen Städten leider kein Ende setzen.

Für eine bewaffnete Intervention in Syrien plädiert derzeit - zumindest offen - niemand. Und das ist gut so. Der Bürgerkrieg sollte möglichst rasch durch Waffenstillstand und Verhandlungen beendet werden. Voraussetzung wäre Verhandlungsbereitschaft auf beiden Seiten. Die zugegeben vorerst schwächere Seite, die Assad-Gegner, werden jedoch von außen ständig - und durch die Resolution erneut - in ihrer Haltung bestärkt, sich keinesfalls auf Gespräche einzulassen, solange Assad an der Spitze des Regimes steht. Faktisch bedeutet das eine Absage an alle Verhandlungen. Denn dass der Mann, der das Schicksal Gaddafis vor Augen hat, bedingungslos zurücktritt, ist nicht zu erwarten. Das Blutvergießen wird demnach andauern, Beobachter vermuten sogar eine Zunahme der Gewalt von beiden Seiten. Also doch eine Resolution »gegen Syrien«?

** Aus: neues deutschland, 18. Februar 2012 (Kommentar)

General Assembly demands Syria halt violence without delay ***

16 February 2012 – The General Assembly today strongly condemned the continued “widespread and systematic” human rights violations by the Syrian authorities and demanded that the Government immediately cease all violence and protect its people.

The 193-member body adopted a resolution backing Arab League efforts to resolve the crisis in Syria, where UN officials estimate that security forces have killed well over 5,400 people since the popular uprising began last March.

Thousands of people are also believed to be missing, some 70,000 people are internally displaced and 25,000 have fled the country to avoid the violence.

The resolution strongly condemned the continued “widespread and systematic violations of human rights and fundamental freedoms by the Syrian authorities,” such as the use of force against civilians, arbitrary executions, the killing and persecution of protesters, human rights defenders and journalists, arbitrary detention, enforced disappearances, interference with access to medical treatment, torture, sexual violence and ill-treatment, including against children.

The text, which was adopted by a vote of 137 in favour to 12 against with 17 abstentions, also called on Syria “to immediately put an end to all human rights violations and attacks against civilians.”

The adoption of the resolution was welcomed this evening by General Assembly President Nassir Abdulaziz Al-Nasser and Secretary-General Ban Ki-moon, who both issued statements through their spokespersons.

Mr. Al-Nasser said the resolution “demonstrates the world’s concern, commitment and solidarity with the Syrian people, especially regarding the protection of civilians and the overall situation in Syria. Today’s development also shows that Member States, through the UN General Assembly, are willing to act to maintain stability.”

He called on “all peace-loving nations to continue to support efforts aimed at finding an urgent solution to the crisis in Syria, including plans to host a conference in Tunisia [scheduled for 24 February] involving countries in the group of friends of Syria.

Mr. Ban said the Assembly resolution had indicated “a way… toward a political solution and a peaceful future in Syria, with democracy, human rights and dignity for all of the Syrian people.”

The UN chief said he welcomed “this much awaited message, and calls on the Syrian authorities to heed the call of the international community and the voice of the Syrian people.”

Speaking before the vote in the Assembly, Ambassador Bashar Ja’afari of Syria called the draft a “biased” text that has nothing to do with the situation in his country. He cited several developments that respond to popular demands, including the referendum set for 26 February on a new constitution and the intention to hold a national dialogue.

No country can allow the presence of armed terrorist groups on its territory, he stated, adding that he had “deep concerns” vis-à-vis the real intentions of the countries that have co-sponsored the text. He called on these countries to stop interfering in internal Syrian affairs and stop adding fuel to the fire of the tensions in his country.

Today’s action follows the recent failure by the Security Council to agree on collective action on the issue after Russia and China vetoed a draft resolution endorsing Arab League efforts to end the crisis.

It also follows a debate in the Assembly on Monday during which the UN human rights chief appealed to Member States to act now to protect the Syrian people as the Government’s violent crackdown on peaceful protests continues unabated and the number of dead and injured continues to rise.

“The longer the international community fails to take action, the more the civilian population will suffer from countless atrocities committed against them,” High Commissioner for Human Rights Navi Pillay told the Assembly.

“The Government of Syria has manifestly failed to fulfil its obligation to protect its population,” she stated. “Each and every member of the international community must act now to urgently protect the Syrian population.”

The text also called for “an inclusive Syrian-led political process, conducted in an environment free from violence, fear, intimidation and extremism and aimed at effectively addressing the legitimate aspirations and concerns of the people.”

Earlier today, in Vienna, Mr. Ban discussed the situation in Syria during bilateral meetings with key international officials, including French Foreign Minister Alain Juppé, Russian Foreign Minister Sergey Lavrov and Austria’s Foreign Minister Michael Spindelegger.

*** Source: UN News Centre; www.un.org/apps/news/




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