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Unruhe schüren

USA raten syrischen Oppositionellen, ihre Waffen trotz angekündigter Amnestie nicht abzugeben

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die Syrer hatten auf ein ruhiges Opferfest (Eid Al-Adha) der Versöhnung gehofft. Gemäß dem Abkommen mit der Arabischen Liga Mitte vergangener Woche hatte die syrische Regierung eine Amnestie für alle angekündigt, die sich bewaffnet am Aufstand beteiligt hatten. Wer nicht getötet habe und seine Waffe innerhalb einer Woche abgebe, bleibe straffrei, teilte das Innenministerium mit. Am nächsten Tag folgte eine Amnestie für alle, die sich unerlaubt von der Truppe entfernt hätten, sofern sie sich innerhalb von 60 Tagen bei ihrer Einheit zurückmelden würden. Am Samstag wurden rund 700 Gefangene freigelassen und angekündigt, daß der Rückzug der Armee aus Wohngebieten am ersten Festtag beginnen solle. Der selbsternannte Anführer der »Freien Syrischen Armee« (SFA), Riad Asa’ad erklärte daraufhin gegenüber Reportern, seine Kämpfer sollten ihre Angriffe einstellen. Auf dem Blog »Syria Comment« berichtete ein Teilnehmer, er habe bei der Fahrt von Homs nach Aleppo (am Donnerstag) »nicht einen einzigen Panzer gesehen, wo sie seit Sommer postiert« gewesen waren, »weder in Idlib, Rastan noch in Khan Shaikhoon«. Zwei Tage zuvorwaren sie noch präsent gewesen. Der Nachrichtensender Al-Dschasira ließ allerdings einen »Augenzeugen« berichten, daß das Regime wieder mehr Panzer und mehr Soldaten in Stellung bringe.

Für den vom Westen favorisierten Syrischen Nationalrat (SNF) wandte sich am Freitag dessen Sprecher Burhan Ghalioun über Al-Dschasira mit einer Ansprache zum Opferfest an die Syrer. Die »Tage des Assad-Regimes« seien »gezählt«, versprach Ghalioun. Alles müsse getan werden, um Menschenleben zu retten. Später meldete sich die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, zu Wort. Sie rate allen, sich von der Amnestie nicht irreführen zu lassen und ihre Waffen zu behalten, sagte Nuland auf die Frage von Journalisten in Washington. SFA-Führer Asa’ad erklärte daraufhin, seine Einheiten würden den Kampf doch fortsetzen. Internationale Satellitensender wie Al-Dschasira und BBC wiederholen seit Freitag Meldungen von neuen Toten und Massenprotesten im ganzen Land. Am Samstag legte die Arabische Liga nach. Scheich Hamad bin Jassem Al-Thani (Katar) kündigte eine Sondersitzung der Liga für das kommende Wochenende an. Grund sei »die anhaltende Gewalt und weil die syrische Regierung ihre Verpflichtungen des arabischen Planes nicht erfüllt, um die Krise in Syrien zu lösen«. Man werde entsprechende Maßnahmen einleiten. Der französische Außenminister Alain Juppe äußerte, das fortgesetzte Morden mache klar, daß das Regime Assad nicht vorhabe, die blutige Niederschlagung seiner Gegner zu beenden. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil Al-Arabi, sprach von »katastrophalen Konsequenzen«, sollte Syrien den Plan nicht umsetzen.

Syriens Außenminister Walid Al-Mou’allem wandte sich schriftlich an die Arabische Liga, die arabischen Außenminister, die Außenminister von Rußland, China, Indien, Südafrika und Brasilien sowie an den Präsident des UN-Sicherheitsrates. Die Äußerungen des US-Außenministeriums seien ein Hinweis, daß die USA direkt in die Auseinandersetzungen und in die Gewalt in Syrien involviert seien, hieß es in dem Schreiben. Die Unterstützung von bewaffneten Gruppen richte sich gegen die friedlichen Demonstrationen für Veränderungen in Syrien und solle alle Bemühungen der Arabischen Liga für eine Lösung zunichte machen.

In der EU wie in den USA und deren Leitmedien wird die Existenz von bewaffneten Gruppen in Syrien bisher weitgehend ignoriert. Während allgemein davon ausgegangen wird, daß es sich bei den Kämpfern um bezahlte Söldner und desertierte Soldaten handelt, gibt es von seiten der Opposition in Damaskus die Vermutung, es könne sich auch um Beduinenstämme handeln, die in Homs vor allem gegen die Aleviten kämpften. Während im Westen von bis zu 100 getöteten Zivilisten in den letzten fünf Tagen gesprochen wird, eine Zahl, die nicht überprüfbar ist, wurden im gleichen Zeitraum offiziell mindestens 36 Soldaten und Sicherheitskräfte beerdigt.

* Aus: junge Welt, 8. November 2011


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