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Opfer des USA-Überfalls auf Syrien beigesetzt

Frankreich und Russland äußern tiefe Besorgnis über Gewaltakt

Frankreich und Russland äußern tiefe Besorgnis über Gewaltakt Die USA haben bei ihrem Militärschlag am Sonntag in Syrien angeblich einen Terroristenführer getötet. Substanzielle Erklärungen verweigerte das Weiße Haus.

Wie die Zeitungsgruppe McClatchey Newspapers am Montag unter Berufung auf einen nicht genannten US-Beamten berichtete, galt der Einsatz dem hochrangigen Al-Qaida-Mitglied Abu Ghadija. Die USA haben ihn in der Vergangenheit für den Schmuggel ausländischer Kämpfer und Waffen in den Irak verantwortlich gemacht. Dem Medienbericht zufolge bezeichnete der Beamte Ghadija als einen der »herausragendsten, wenn nicht sogar den herausragendsten Schleuser« in der Grenzregion. Der Militärschlag sei eine »erfolgreiche Mission« gewesen. »Abu Ghadija gilt als getötet«, wurde der Beamte weiter zitiert. Das Weiße Haus hatte zuvor Angaben zu der Aktion abgelehnt. »Ich werde dazu nichts sagen«, erklärte Sprecherin Dana Perino vor Journalisten.

Die Aktion stieß nicht nur in Syrien auf Kritik. Die französische Regierung äußerte »tiefe Besorgnis« und rief zu Zurückhaltung auf. Die territoriale Integrität von Staaten gelte es zu respektieren. Präsident Nicolas Sarkozy sprach den Familien der Opfer sein tiefstes Beileid aus.

Syriens Botschafter bei der Arabischen Liga in Kairo, Jussif al- Ahmed, sagte: »Das ist wohl der Abschiedsgruß der US-Regierung, erst die Finanzkrise und jetzt noch dieses Verbrechen.« Der völkerrechtswidrige Angriff zeige, dass es besser für Irak wäre, kein Abkommen über eine weitere Stationierung von US-Truppen zu unterzeichnen.

Ein Sprecher des russischen Außenministeriums sprach von einem Besorgnis erregenden einseitigen Gewaltakt. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, warnte, die Situation in der Nahostregion sei ohnehin schon hochexplosiv, »da brauchen wir keinen zusätzlichen Sprengstoff.

In der syrischen Stadt Al-Bukamal wurden am Montag nach Angaben von Augenzeugen sieben Opfer der Kommandoaktion vom Vortag beigesetzt. Nach offiziellen Informationen aus Damaskus waren am Sonntag vier US-Militärhubschrauber aus Irak nach Syrien geflogen. Auf einem Bauernhof erschossen sie den Angaben zufolge zwei Männer sowie eine Frau und ihre vier Kinder. Bewohner des Dorfes Al-Sukkarija, das acht Kilometer von der Grenze entfernt liegt, bestätigten diese Angaben im Großen und Ganzen. Sie sagten, es seien sieben syrische Zivilisten getötet worden. Ein weiterer Mann sei von den Soldaten nach der Kommandoaktion verschleppt worden.

Ein syrischer Regierungssprecher sagte am Montag, nicht nur die USA seien Schuld am Tod der syrischen Zivilisten, sondern auch die irakische Regierung. Während sich die Regierung in Bagdad weiter bedeckt hielt, erklärte die Islamische Partei von Vizepräsident Tarik al-Haschimi, der Angriff ?????? die Beziehungen zwischen Irak und dem »Bruderland« Syrien, das nach der US-Invasion im Frühjahr 2003 Hunderttausende irakischer Flüchtlinge aufgenommen habe.

Der arabische Sender »Al-Arabija« berichtete am Dienstag, die US-Soldaten hätten von den irakischen Sicherheitsbehörden Informationen über den Aufenthaltsort des angeblichen Terroristen erhalten.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Oktober 2008


Yes, we can!

US-Überfall auf Syrien

Von Werner Pirker **

Bei ihrem Abgang legt die Bush-Administration noch einmal eine gesteigerte Aggressivität an den Tag, die freilich nur noch den Eindruck von Frusthandlungen hinterläßt. Nach den militärischen Übergriffen auf Pakistan, dessen Führung sie vorhält, nicht aktiv genug in den »Krieg gegen den Terror« einzugreifen, reagierte Washington seine Wut über das Fehlschlagen seiner Kriegspolitik nun gegen Syrien ab, das sich ähnlichen Vorwürfen wie Pakistan ausgesetzt sieht. Bush will damit auch zum Ausdruck bringen, an seiner Doktrin des permanenten Präventivkrieges gegen das Böse bis zum Ende seiner Amtstage festzuhalten. Daß sich der scheidende Präsident noch zu einer letzten Verzweiflungstat hinreißen lassen könnte, wie das die Washington Post befürchtet, ist eher zu bezweifeln. Zur Entfesselung eines weiteren Krieges hat er, längst als »lahme Ente« stigmatisiert, nicht mehr die nötige Führungsstärke.

Der Überfall auf Syrien hat dem Image der USA in Nahost weiteren Schaden zugefügt. Die Marionettenregierung in Bagdad fühlt sich dem für sie peinlichen Verdacht ausgesetzt, die Aggression gegen einen arabischen »Bruderstaat« zumindest geduldet zu haben. Der das antisyrische Lager im Libanon anführende Ministerpräsident Siniora sah sich zu einer scharfen Verurteilung der Kriegshandlung gegen Syrien genötigt. Die Arabische Liga beklagt eine weitere Destabilisierung der Region. Und in Damaskus sieht sich die Politik der Annäherung an den Westen auf eine harte Probe gestellt. Das alles nimmt die US-Administration in Kauf, um noch einmal deutlich zu machen, daß es in ihrem »War on terror« keine Grenzen und kein Völkerrecht gibt.

Das ist das politische Erbe, das George W. Bush hinterläßt und das von seinem Nachfolger, egal ob Obama oder McCain, nicht so ohne weiteres beiseite geschoben werden kann. Denn auf die Idee, die nach dem Kalten Krieg entstandene Weltordnung mit militärischer Gewalt abzusichern, sind ja nicht erst die Bushkrieger gekommen. Imperialistische Ordnungskriege gab es davor schon. Über ihre Berechtigung gibt es in der westlichen Wertegemeinschaft keinen Dissens. Die Bush-Doktrin und die mit ihr verbundene Erosion des Völkerrechts entstand also nicht von heute auf morgen.

Inzwischen aber hat die internationale Finanzmarktkrise den Blick der westlichen Führungskräfte auf die inneren Widersprüche des kapitalistischen Globalisierungsregimes geschärft. Das wird früher oder später auch zur Entwicklung neuer außenpolitischer Strategien führen. Dabei wird es keineswegs um einen Abbau der Abhängigkeitsverhältnisse in der Welt gehen, sondern ausschließlich um eine Erhöhung der Effizienz. Das meint der sich als der neue Held der »freien Welt« gekonnt in Szene setzende US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama, wenn er »Yes, we can!« ruft. Und deshalb wird er auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum neuen US-Präsidenten gewählt werden.

** Aus: junge Welt, 29. Oktober 2008



Syrien schließt US-Einrichtungen

Damaskus reagiert auf Militärangriff. Irak, Ägypten und China verurteilen Washington ***

Syrien schließt als Reaktion auf einen US-Angriff mehrere amerikanische Einrichtungen in Damaskus. Betroffen sind eine Schule und ein Kulturzentrum, wie die amtliche Nachrichtenagentur SANA am Dienstag berichtete. Das Kabinett von Ministerpräsident Nadschi Otari habe eine entsprechende Entscheidung getroffen und den Bildungsminister mit der Umsetzung beauftragt. Außerdem legte Damaskus bei der UNO Protest ein. In einem Brief an den UN-Sicherheitsrat forderte Syrien, daß das Gremium die Verantwortung dafür übernehme, daß solche »gefährlichen Verletzungen« sich nicht wiederholten. Bei dem US-Angriff auf ein Dorf bei Damaskus am Sonntag wurden nach syrischen Angaben acht Menschen getötet. Ein namentlich nicht genanntes »Mitglied der US-Terrorabwehr« behauptete gegenüber Nachrichtenagenturen, bei der Kommandoaktion sei ein ranghohes Al-Qaida-Mitglied getötet worden, das vermutlich einen Anschlag im Irak geplant habe.

Doch auch der von US-Truppen besetzte Irak verurteilte den Militäreinsatz im Nachbarland. Die irakische Führung lehne solche Aktionen ab, auch wenn die USA diese für rechtmäßig erklärten, sagte Regierungssprecher Ali Al-Dabbagh in Bagdad. Der Irak wolle auch nicht, daß sein Territorium für Angriffe in Nachbarstaaten genutzt werde. Die Europäische Union kritisierte moderat das Vorgehen Washingtons. Er sei »besorgt« über den Angriff von US-Hubschraubern in Syrien, erklärte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana am Montag abend in Brüssel. Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy ließ mitteilen, sein Land erwarte eine restlose Aufklärung des Vorfalls. Frankreich bedaure den Tod syrischer Zivilisten, so das Präsidialbüro in Paris. Staatsgrenzen seien »streng zu achten«.

Deutlichere Kritik am Vorgehen des US-Militärs kam von Washingtons Verbündetem Ägypten. Kairo betrachte den Vorfall als »schwerwiegende Verletzung der Souveränität Syriens«, sagte ein Sprecher des ägyptischen Außenministeriums nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Mena. Die USA sollten »von jeder Handlung oder Maßnahme absehen, die die Region destabilisieren könnte«. Und die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums in Peking, Jiang Yu, bekräftigte: »Wir lehnen jede Handlung ab, die die Souveränität und territoriale Unversehrtheit eines anderen Landes verletzt.« (AFP/AP/jW)

*** Aus: junge Welt, 29. Oktober 2008


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